Landtagswahl 2023
„Das Grundschulabitur ist der größte ideologische Streit mit der CSU“
Lindau / Lesedauer: 4 min

Julia Baumann
Die umkämpfte Kindergrundsicherung, der ideologische Streit ums Grundschulabitur und die Herausforderung Ganztagsbetreuung: Wenn es um das Thema Kinder geht, dann gibt es in Bayern viel zu tun, finden die Grünen. Am Weltkindertag diskutieren sie mit denen, die täglich mit Kindern arbeiten.
Thomas Gehring, Direktkandidat für den Stimmkreis Lindau/Sonthofen, moderiert die Veranstaltung auf der Hinterbühne des Stadttheaters, zu der nur knapp 25 Interessierte gekommen sind. Im Townhall-Format, also einem Format mit dem Charakter einer Bürgerversammlung, sollen alle miteinander diskutieren.
An Gehrings Seite ist Ludwig Hartmann, Spitzenkandidat der Grünen bei den bayerischen Landtagswahlen. Neben Energieversorgung und Klimaschutz seien Kinder das dritte große Wahlkampfthema der Grünen, so Hartmann. „Wie unsere Kinder aufwachsen, entscheidet letztendlich, wie sich unsere Gesellschaft entwickelt.“

Los geht’s mit zwei Impulsvorträgen. Die halten aber nicht Gehring oder Hartmann, sondern zwei, die täglich mit Kindern arbeiten. Den Anfang macht Kinderarzt Harald Tegtmeyer-Metzdorf. „Wir gelten in Lindau als überversorgt“, sagt er. „Trotzdem haben Eltern Probleme, für ihren Säugling einen Kinderarzt zu finden.“ Wer einen Termin in einer speziellen Kinderklinik brauche, der warte darauf etwa ein Jahr, so Tegtmeyer-Metzdorf weiter. Dabei gebe es immer mehr Kinder, die Unterstützung brauchen: „Nach der Corona-Pandemie gibt es eine große Zunahme an Essstörungen und Zwangsstörungen.“
Visnja WitschJedes fünfte Kind in Deutschland ist von Armut betroffen.
Visnja Witsch, Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes Lindenberg, kritisiert, dass zu wenig in Kinder investiert wird. „Jedes fünfte Kind in Deutschland ist von Armut betroffen.“ Dass die geplante Kindergrundsicherung hilft, bezweifelt sie.
Der Bundesverband des Kinderschutzbunds habe den Entwurf bewertet: Das Urteil falle zum Teil vernichtend aus. Nicht nur, aber auch, weil zu wenig Geld im Topf ist. Von den zwölf Milliarden Euro, die die Grünen dafür gefordert hatten, sind nach Verhandlungen in der Ampel noch 2,4 Milliarden Euro übrig. Auch Bunte-Liste-Stadträtin Ulrike Lorenz-Meyer will wissen: „Ist das Problem die finanzielle Ausstattung ‐ oder ist das Gesetz schlecht?“
Entscheidend bei der Kindergrundsicherung sei, dass der Bezug von Leistungen vereinfacht werde, so Hartmann. Er versichert aber: „Das ist erst der Referentenentwurf. Entscheidend sind die Debatten.“

Doch nicht nur bei der Kindergrundsicherung ist ein zu kleines Budget Thema. „Die Förderung von Schulgebäuden liegt bei 35 Prozent“, gibt Gehring zu bedenken. Im Straßenbau seien die Fördersätze zum Teil doppelt so hoch.
Als Claudia Metzdorf den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung 2026 anspricht, bekräftigt Hartmann: „Das ist eine ganz große Baustelle.“ Denn wenn beide Eltern wieder zu arbeiten beginnen wollen und es keine Betreuung für das Kind gebe, dann sei das „eine Ungerechtigkeit“.
Ludwig HartmannWir Grünen sind die Einzigen, die Söder aus der Zwangsjacke von Aiwanger befreien können.
Das Thema Ganztagsbetreuung sei in Bayern „verschlafen“ worden, so Hartmann. „Ich habe keine Ahnung, wie der Freistaat das bis Ende 2026 meistern will.“
Thomas Gehring geht sogar noch weiter: „Der Freistaat verweigert sich da seiner Aufgabe“, sagt er. Ständig werde er von Bürgermeistern angesprochen, weil notwendige Antworten und Ansagen vom Land fehlten. „Da wird Zeit vertan.“
Uli Kaiser, Malermeister und ehemaliger Bunte-Liste-Stadtrat, will wissen, wann Bayern „das Grundschulabitur“, also die Übertrittsregelung nach Noten, abschaffe. „Uns fehlen Handwerker.“
Damit rennt er bei Thomas Gehring offene Türen ein. Denn der studierte Pädagoge will zum einen das System der Gemeinschaftsschule etablieren, zum anderen den Übertritt in die weiterführenden Schulen reformieren.
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Doch das, so Gehring, sei der große ideologische Streit mit der CSU. „Die CSU hat die Homo-Ehe akzeptiert, aber beim Schulsystem ist es vorbei“, erläutert er und erntet ein paar Lacher.
Zweistündige Diskussion
Rund zwei Stunden lang diskutieren Politiker, Referenten und Besucher miteinander. Weitere Themen sind Erzieherinnenmangel, Hürden bei der Inklusion, Medienkompetenz und zu viel Bürokratie.
Am Ende geht es auch um einen Wahlkampf, den Ludwig Hartmann als „aufgeheizt“ bezeichnet. „Söder und Aiwanger treiben einen Keilspalt durch das Land“, sagt er. „Was man liebt, spaltet man nicht.“
Seiner Ansicht nach sei die einzig richtige Antwort auf diese Spaltung eine schwarz-grüne Regierung. „Wir Grünen sind die Einzigen, die Söder aus der Zwangsjacke von Aiwanger befreien können.“