Tritte in Genitalbereich und Bauch
Busfahrer erlebt Gewalt: Wie er damit umgeht
Lindau / Lesedauer: 6 min

- Timo Schoch
Eigentlich ist ein Busfahrer dafür da, die Fahrgäste sicher von A nach B zu bringen. Doch immer häufiger werden die Busfahrer mit ganz anderen Problemen konfrontiert. Denn regelmäßig werden sie von aggressiven und respektlosen Fahrgästen attackiert.
Meist verbal ‐ doch vor rund einem Monat wurde in Lindau bei einer Handgreiflichkeit ein Busfahrer verletzt. Wie der 35-Jährige den Angriff erlebte und ob sich sein Verhalten gegenüber den Passagieren geändert hat, verriet er nun in einem Gespräch.
Sonntagmorgen, etwa 9.30 Uhr. Ein Mann mittleren Alters betritt den Bus, der als Schienenersatzverkehr eingesetzt wird. Er hat keinen gültigen Fahrschein dabei ‐ aber der 35-jährige Busfahrer, der anonym bleiben will, lässt Kulanz walten.
Der etwa 30-Jährige steigt trotzdem in den ansonsten leeren Bus ein. Ein Fehler, wie sich kurze Zeit später noch herausstellen sollte ‐ und wie der Busfahrer aus seinen Erinnerungen erzählt.
Mann raucht Zigarette im Bus
Denn der zugestiegene Mann macht bald darauf richtig Ärger. Am Inselbahnhof dreht er sich eine Zigarette und zündet sich diese im Bus an. Als der Busfahrer das im Spiegel sieht, steht er von seinem Fahrersitz auf und läuft zu dem Mann in den hinteren Teil des Busses. „Ich habe ihn daraufhin höflich gebeten, dass er im Bus nicht rauchen darf“, erinnert er sich.
BusfahrerMir wurde übel. Ich bekam Kopfschmerzen und auch mein Finger schmerzte.
Dann geht es schnell. „Er hat das offenbar als Angriff gesehen“, sagt der Busfahrer. Umgehend wird er als „Sch... Busfahrer“ beschimpft. Damit nicht genug: Der Mann steht unvermittelt auf und greift den Busfahrer an. Es folgen zwei Tritte. „Er hat mich mit dem Fuß in den Genitalbereich und in den Bauch getreten“, erzählt er. Der 35-Jährige verliert dabei das Gleichgewicht, stürzt und bricht sich beim Sturz den rechten Zeigefinger. Der Täter flüchtet.
Nach den Tritten setzt der Busfahrer einen Notruf ab
„Ich war total schockiert und konnte gar nicht mehr so schnell reagieren“, sagt der Busfahrer. Voller Adrenalin ‐ und noch unter dem Einfluss der Ereignisse ‐ rappelt er sich wieder auf, eilt nach vorne zu seinem Fahrerplatz, schließt die Türen, informiert die Zentrale und setzt einen Notruf ab.
Neben der Polizei kommt noch der Rettungsdienst. „Mir wurde übel. Ich bekam Kopfschmerzen und auch mein Finger schmerzte“, sagt der Busfahrer. Er wird ambulant behandelt und darf anschließend wieder nach Hause.
Wieder zurück hinter dem Lenkrad
Seit dem vergangenen Montag, also gute drei Wochen nach der Tat, arbeitet der 35-Jährige wieder. „Bei meiner ersten Fahrt hatte ich Respekt, aber es war wieder ein schönes Gefühl, weil ich meinen Job mit großer Leidenschaft ausübe“, sagt der Busfahrer. „Mir macht das Fahren Spaß und ich trete auch gerne mit Leuten in Kontakt.“ Denn es sei mit sehr geringem Aufwand möglich, die meisten Passagiere glücklich zu machen. Die Betonung liegt auf den meisten.
Denn es gibt leider eine unschöne Entwicklung. Auch wenn er erst seit dem 1. August 2023 als Busfahrer arbeitet, so kämen aggressives und respektloses Verhalten doch regelmäßig vor. „Mir ist es selbst schon gehäuft aufgefallen“, sagt er.
Fahrgäste werden immer aggressiver und respektloser
Auch seine dienstälteren Kollegen würden oft Ähnliches erzählen, dass die Menschen immer dünnhäutiger reagieren würden. „Sie können von vielen Vorfällen berichten“, sagt der Busfahrer. So gäbe es nahezu wöchentlich einen verbalen Angriff.
Es gehe meist um vergleichsweise banale Themen, wie Unpünktlichkeit, zu hohe Fahrpreise oder keinen gültigen Fahrschein. In einigen Fällen sind die aggressiven Fahrgäste alkoholisiert. Körperliche Angriffe seien jedoch seltener ‐ aber längst keine Ausnahme.
BusfahrerIch habe mich zwei Tage nach dem Angriff noch komplett durch den Wind gefühlt und mir selbst anfangs die Schuld gegeben.
Eine Statistik des Deutschen Gewerkschaftsbundes bestätigt diese Aussage in seiner Auswertung für Mitarbeiter der Deutschen Bahn. So meldet der DGB, dass die Zahl der Körperverletzungen gegen DB-Mitarbeiter seit Jahren kontinuierlich ansteigen würde und zwischen 2015 und 2019 um 36 Prozent zugenommen hätte.
Beleidigungen (58 Prozent), Anschreien (55), Androhung von Gewalt (30) und körperliche Bedrohung (25) kämen laut DGB dabei am häufigsten vor. Von Schlägen und Tritten hätten elf Prozent der Beschäftigten berichtet.
Um weiter unvoreingenommen und ruhig auf die Fahrgäste eingehen zu können, hat der 35-Jährige nach den beiden Tritten sogar zwei Therapiesitzungen genommen ‐ um sein erlebtes Trauma zu verarbeiten. Diese seien wichtig gewesen: „Ich habe mich zwei Tage nach dem Angriff noch komplett durch den Wind gefühlt und mir selbst anfangs die Schuld gegeben“, gibt er zu.
Eigene Schuldvorwürfe
Er hätte sich gefragt: Was wäre gewesen, wenn er den Angreifer einfach nur im Bus hätte rauchen lassen? Wäre dann vielleicht gar nicht passiert? Auch den Täter vorab von der Fahrt auszuschließen, wäre eine weitere Option gewesen.
In Zukunft würde er nun tatsächlich anders reagieren. „Wenn jetzt jemand den Ton hebt“, sagt der Busfahrer, dann würde er von diesem Recht umgehend Gebrauch machen und die Person die Mitfahrt verbieten.
35-Jähriger wünscht sich weitreichendere Befugnisse für Busfahrer
Wobei er sich gerne weitreichendere Befugnisse für Busfahrer wünschen würde. „Wir Busfahrer sind offiziell verpflichtet, die Menschen mitzunehmen“, sagt er. Zwar könne man einen respektlosen und aggressiven Fahrgast von der Fahrt ausschließen, müsse ihn aber beim nächsten Mal wieder befördern.
Der 35-Jährige nennt dabei einen besonders heftigen Fall, der seinen Kollegen passiert sei. Ein Passagier sei wegen seines aggressiven Verhaltens vorläufig festgenommen worden. Als er am nächsten Tag wieder frei kam, hätte er gleich den nächsten Busfahrer angepöbelt.
Ein generelles Beförderungsverbot könnten die Busfahrer also nicht aussprechen ‐ obwohl das manchmal notwendig wäre. „Da würde ich mir wünschen, dass die Politik die Fahrgastrechte stärker einschränkt“, sagt der 35-Jährige.
Und auch von anderer behördlicher Seite würde er sich mehr Unterstützung hinsichtlich Sicherheit und Respekt wünschen. „Konkret geht es einfach darum, dass man mehr auf die Sicherheit der Busfahrer eingeht, damit die Polizei schneller vor Ort und Stelle ist“, sagt der Busfahrer. „Wenn ich einen Notruf absetze, kann es sein, dass ich 30 Minuten warten muss, bis die Polizei da ist.“
Mit gesundem Menschenverstand gegen Aggressionen
Ein Deeskalationstraining bekämen die Busfahrer jedoch nicht. „Wir versuchen, mit einem gesunden Menschenverstand zu agieren“, sagt er. Doch manchmal ‐ wie in seinem eigenen Fall ‐ hilft auch das nicht. Die Freude an seinem Beruf hat der körperliche Angriff nicht genommen. Erst wenn jemand ein Messer ziehe, würde er ernsthaft daran denken aufzuhören. „Dann gebe ich meinen Schein ab“, sagt der Busfahrer.
Doch eines weiß er genau: Sollte der geflüchtete Mann, der ihn angegriffen hat und nicht gefasst wurde, nochmals versuchen, bei ihm mitzufahren, würde er ihn nicht mehr mitnehmen. „Ich bewege mich dann zwar auf ganz dünnem Eis, weil wir ja offiziell verpflichtet sind, die Menschen mitzunehmen, aber meine persönliche Sicherheit geht vor.“