Klassiker im Stadttheater
Bei Hochmair liebt und leidet Werther völlig alterslos
Lindau / Lesedauer: 3 min

Dirk Augustin
Der Mann will spielen. Und er spielt herausragend. Am Samstag spielte Philipp Hochmair wieder einmal auf der Bühne des Lindauer Stadttheaters. Und die Zuschauer waren begeistert von seiner Fassung der „Leiden des jungen Werther“. Minutenlang applaudiert haben dabei auch erfreulich viele junge Menschen
Unter der Woche steht Philipp Hochmair quasi ununterbrochen vor einer Kamera. Er, der an diesem Montag 50 Jahre alt wird, dreht für Fernsehen und Kino. Man kennt ihn aus „Blind ermittelt“, den „Vorstadtweibern“ oder anderen Serien. Hinzu kommen Filme wie zuletzt die Wannseekonferenz, in dem Hochmair den Obernazi Reinhard Heydrich gespielt und dafür den Grimme-Preis erhalten hat.
Während sich Schauspielkollegen am Wochenende ausruhen, frönt Hochmair dem Theater. Vor einer Woche an zwei Abenden in Friedrichshafen, jetzt in Lindau, danach Berlin, Wien ‐ sein Terminplan kündigt quasi an jedem Wochenende weitere Auftritte mit seinen Soloprojekten an.
Schon mal in Lindau aufgeführt
Mit dem Werther war Hochmair vor mehr als zehn Jahren bereits in Lindau. Seit 1997 spielt er dieses Stück, das er mit Regisseur Nicolas Stegmann als 23-Jähriger erarbeitet hat, um in Schulen junge Menschen zu überzeugen, dass der Briefroman zwar fast 250 Jahre alt ist, dass sein Thema aber heute noch aktuell ist.
Hochmair ist mit der Inszenierung schon in aller Welt aufgetreten. Auch im erfreulich voll besetzten Stadttheater springt der Funke sofort über aufs Publikum. Ihm reicht ein Tisch mit Stuhl, ein Blumenstrauß, wenige andere Requisiten und vor allem eine Videokamera, die ein Bild auf die Bühnenrückwand überträgt.
Hochmair zeigt, dass das Hochgefühl der Verliebtheit ebenso alterslos ist wie der Kummer bei unerfüllter Liebe. Nicht nur ein „junger Werther“ leidet. In jedem Alter springt das Herz der frisch Verliebten über, sie stellen Angebete aufs Podest und unterscheiden Wunschvorstellung nicht von Wirklichkeit.
Auch unter Liebeskummer leiden Menschen jeden Alters. Verwirrt ist Hochmair, ob Lottes Verlobter denn Albert oder Alfons oder Claudia Alfons heißt ‐ Lindaus Oberbürgermeisterin sitzt auch im Publikum. Eine groteske Perücke und Pinocchio-Nase ‐ Hochmair spricht von der Mang-Nase ‐ verstärken die Komik, die ein Liebeskranker für unbeteiligte Menschen wohl immer ausstrahlt.
Leiden, Trauer und Verzweiflung
Doch die Komik vergeht schnell. Es folgen Leiden, Trauer und Verzweiflung. Hochmair liegt auf dem Boden, er weint und jammert. Dass er in die Ferne gezogen ist, hilft nicht. Der Kummer bleibt. Nicht mal ein anderes Fräulein kann ihn ablenken. Und so sieht er an Heiligabend, anderthalb Jahre nach dem Kennenlernen, keinen Ausweg als sich zu erschießen.
Seit fast 27 Jahren steht Hochmair nun als Werther auf der Bühne. In manchen Jahren hat er ihn weit über hundert Mal gespielt, inzwischen seien es noch fünf bis zehn Aufführungen pro Jahr. Die Inszenierung verändert er immer wieder. Er filmt sich bei seinem Spiel mit den großen Gefühlen. Und so sieht man am Ende auf der Leinwand, wie er sich die Pistole an den Kopf hält. Den Schuss hört man nicht. Erst Minuten später steht er vor dem Vorhang, deklamiert Goethes letzte Zeilen und lässt sich das Mikro so auf den Kopf fallen, dass die Zuschauer einen Knall hören.
Es ist wunderbar, dass Philipp Hochmair immer wieder nach Lindau kommt. Beim anschließenden Publikumgespräch verrrät er, dass er bereits im Gespräch ist wegen eines Termins für sein neues Projekt: Zum 50. Geburtstag hat er sich „Der Hagestolz“ von Adalbert Stifter geschenkt, dessen Premiere vor zwei Wochen in Wien begeisterte Kritiken bekommen hat. Die Lindauer dürfen sich also freuen.