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Amok-Alarm in Schule: 100 Polizisten trainieren den Ernstfall
Rankweil / Lesedauer: 5 min

- Falk Böckheler
Vom Inneren der Schule dringen Schreie nach draußen. Unentwegt schrillt ein Alarm. Zwei verletzte Streifenpolizisten liegen vor dem Haupteingang. Für die anrückenden Einsatzkräfte eine undurchsichtige Lage.
Die Informationen für die Polizisten sind spärlich. Die Lage ist unklar. In der Schule sollen sich mehrere gewaltbereite Täter mit Waffen aufhalten. Die Angehörigen können nur draußen warten und auf die Einsatzkräfte hoffen. Die Erstmeldung geht von zwei Tätern aus.
„Dabei wird es aber nicht bleiben“, verrät Christian Bihlmayer, stellvertretender Einsatzleiter. Bei der Amoklauf-Übung in Rankweil trainiert die österreichische Polizei für den Ernstfall. 100 Polizisten, eine Hundestaffel, eine Drohne und 450 Schüler der Technischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt (HTL) sind dabei. Knapp 50 Polizeischüler sorgen als Darsteller für reale Bedingungen.
Das Vorrücken in die Schule
Einer von drei Zügen geht durch den Vordereingang. In Zweiergruppen rücken die Beamten Stück für Stück in das Schulgebäude. Immer wieder sind Funksprüche zu hören: „Wir haben einen verletzten Beamten... Hier sind Verletzte!... Wo ist die Sammelstelle?...Täter...Waffe!“
Ein Mann schreit mehrmals laut. Was er sagt, ist nicht zu verstehen. Eine Drohne steht surrend über dem Gebäude und liefert Bilder aus der Luft.
Vorbereitete Schüler und Lehrer
Damit das Eingreifen aus allen Richtungen geübt werden kann, wird die Übung drei Mal wiederholt.Vor der Übung seien die Lehrkräfte und Schüler von der Polizei geschult worden. „Viele Dinge hätten wir nicht gewusst“, sagt Judith Zeiner, Schulleiterin der HTL. Zwar sei ein Ernstfall unwahrscheinlich, man wolle aber vorbereitet sein.
Philip PuzioDas wird echter dargestellt, als ich mir das vorgestellt habe.
Zwischen den Durchgängen ist es laut im Gebäude. Die Schüler sprechen, scherzen und lachen miteinander. Der mentale Stress der Übung fällt von ihnen ab.
Immer wieder laufen Menschen mit täuschend echt aussehenden Wunden durch die Gänge. Die Polizeischüler, die als Opfer und Täter vom Roten Kreuz geschminkt wurden, gehen wieder auf ihre Position. „Das wird echter dargestellt, als ich mir das vorgestellt habe“, sagt der Schüler Philip Puzio.
Das Szenario
Für einen zweiten Zug geht es durch einen Hintereingang in die Werkstatt der Schule. Eine Nebelmaschine sorgt für schlechte Sicht. Nach ein paar Metern liegt ein „Verletzter“ auf dem Boden. Für die Beamten ein erstes Hindernis. Bei einem Amoklauf habe der Täter höchste Priorität, so Christian Bihlmayer.
Der erste Täter steht ein paar Meter weiter vor drei Verletzten ‐ in seiner Hand eine Machete. Im Raum liegt die Attrappe einer abgetrennten Hand. Doch für die Polizisten ist das oberstes Ziel, die Täter zu finden. Die Versorgung von Verletzten muss warten.
Jeder Polizist kann reagieren
Diese Taktik sei auf den ersten Amoklauf an einer Schule in der Columbine High School in Colorado zurückzuführen. Im Jahr 1999 hatte die amerikanische Polizei die Schule nur umstellt und auf die Ankunft der Spezialeinheit „SWAT“ gewartet. Als diese eintraf, hatten die Täter bereits zwölf Schüler getötet und sich anschließend das Leben genommen. Dieser Fall führte zu einem Umdenken der Polizei weltweit.
„Die erste Streife wird nicht warten. Wer als erstes dort ist, hat das Werkzeug einzugreifen“, sagt Bihlmayer. Im Ernstfall würde man die Spezialeinheit „Cobra“ natürlich alarmieren, vorher müssten die Polizisten vor Ort aber reagieren. Lebensgefährliche Einsätze gehören deshalb zur Grundausbildung.
Viele potenzielle Täter
Während der Übung knallt es zwei mal laut ‐ was genau passiert ist, bleibt offen. Schüsse sind es aber nicht. Die Waffen der Polizei sind entweder Attrappen oder nicht geladen. Dann kommen hunderte Schüler in Gruppen mit erhobenen Händen aus der Schule.
PolizeischülerDer hat ne’ Waffe!
Die Polizisten rufen ihnen laut Kommandos entgegen. „Dort rüber! Weiter, weiter!“ So wird den Schülern der Weg zu verschiedenen Sammelplätzen zugebrüllt. Dort werden sie von Beamten des dritten Zugs auf Waffen kontrolliert. Jeder könnte ein Täter sein.
„Der da hat auch geschossen! Der hat ne’ Waffe!“, schreit ein Polizeischüler, der sich unter die Schüler der HTL gemischt hat. Die Polizei reagiert sofort und bringt den vermeintlichen Täter zu Boden. Alle anderen warten mit den Händen über dem Kopf darauf, durchsucht zu werden.
Übung so real wie möglich
Eine ältere Dame, die nur zuschauen will, wird von einem Beamten freundlich aus der „Gefahrenzone“ gebeten. Alles ist so realistisch wie möglich. „Für die Beamten ist das kein Spiel, sondern Ernst“, betont Bihlmayer.
Der Haupteingang schwingt auf. Nacheinander werden zwei blutverschmierte Männer mit Handschellen aus der Schule gebracht. Es sind die übrigen Täter.
Die Übung ist vorbei und alle Täter gefasst. „Im Ernstfall würden wir alle Räume durchsuchen“, sagt Bihlmayer. Es sei nicht abschätzbar, wie lange das bei einem so großen Gebäude dauern würde.
Polizei lobt Zusammenarbeit
Die Polizei zeigt sich nach der Übung zufrieden und lobt die Zusammenarbeit mit der HTL. Man könne so etwas auch in der Kaserne üben, das sei aber nicht so realistisch. „Da heißt es dann, stellt euch vor, da kommen hunderte, panische Schüler auf euch zu“, sagt Pressesprecher Fabian Marchetti.
Mit Hilfe von Videoaufnahmen soll nun das Vorgehen analysiert und verbessert werden. Um sich auf genau solche Szenarien vorzubereiten, sei es enorm wichtig, realistische Übungen durchzuführen.
Aktuelle Nachrichten aus Offenburg und Hamburg zeigen, wie wichtig es für die Polizei ist, auf solche Einsätze vorbereitet zu sein.