Wiederaufbau
Als die Anti-Faschisten das Leben in Lindau organisierten
Lindau / Lesedauer: 4 min

Schwäbische.de
75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert die Lindauer Zeitung an die Zeit damals. Im 15. Teil geht es darum, wie nach dem Kriegsende der Wiederaufbau begann.
Alle bisherigen Hotel-Lazarette auf der Insel mussten bereits am 3. und 4. Mai 1945 für die französischen Soldaten geräumt und die Verwundeten in Lazarettzüge nach Reutin verlegt werden. Im Hotel Seegarten wurden französische Soldatinnen der AFAT (Frauenhilfscorps der französischen Landarmee) einquartiert. Das Hauptquartier der 1. Armee schlug General Jean de Lattre de Tassigny im Hotel Bad Schachen auf. Als seine Privatwohnung belegte er die Villa Wacker, welche er stark befestigen ließ. Bis zum Eintreffen des an de Gaulle orientierten Generals Pierre Koenigs war er faktisch der Oberbefehlshaber in der französischen Zone. Zum 1. August wurde er allerdings nach Baden-Baden berufen.
Die Besatzungstruppen am Bodensee stellte zunächst die 14. Division Infanterie, die Division d’Alsace mit Divisionsstab in Konstanz. Für Lindau wurde kurz darauf die 5. Division Blindee (Panzerdivision) mit Divisionsstab in Sigmaringen zuständig. Die örtliche Militärregierung unterstand der in Tübingen errichteten Delegations Superieures unter General Guillaume Widmer.
Die Betreuung des Kriegsgefangenenlagers in und an der Lindauer Sängerhalle, welches bis November 1945 bestand, wurde von Frauen und Männern des Lindauer Roten Kreuzes übernommen, an deren Spitze stand Karl Bachmann sen. Meist waren es in diesen Tagen und Wochen Lindauer Frauen, welche den in Bedrängnis geratenen Männern gerade noch rechtzeitig die passende Zivilkleidung, neue Papiere, Lebensmittel oder sonstige Hilfestellungen organisierten. Trotzdem wurden immer wieder Verhaftete in die zentralen Kriegsgefangenenlager bei Rottweil bzw. Balingen oder als Arbeitskräfte zum Wiederaufbau nach Frankreich transportiert. Die städtische Verwaltung Lindaus und Lindenbergs wurde zur strikten Weiterarbeit angewiesen, musste sich aber in Lindau vorübergehend mit Räumen in der Villa Holdereggen sowie in der Hospiz-Dependance bescheiden. Rechtsanwalt Dr. Franz Eberth wurde am 1. Mai zum Bürgermeister und am 14. Mai zum Landrat ernannt.
Am 8. Mai feierten die französischen Soldaten das Ende des Krieges und der NS-Herrschaft, einige Lindauer Antifaschisten taten dies in kleinem Kreise ebenfalls, jedoch mit weit weniger alkoholischen Getränken.
Ende Mai begann der frühere Reichssender München wieder fünfmal täglich mit aktuellen Radiosendungen. In Lindau wurden unter Leitung von Radiohändler Schmid zudem seit Mai die amtlichen Bekanntmachungen im Stadtgebiet mittels eines Lautsprecherwagens veröffentlicht. Seit dem 7. August erschien das Lindauer Amtsblatt wieder in gedruckter Form.
Zu den damaligen Nachrichten gehörten auch die Meldungen, dass General de Gaulle am 12. und 13. Mai auch in Lindau zu Gast sei sowie dass vom 12. bis 16. Juni das große Fest der französischen Armee in Anwesenheit des Sultans von Marokko stattfinden werde. Am 9. Juli wurde öffentlich angeprangert, dass Lindauer Jugendliche bekannte frühere NS-Gegner geschmäht hatten.
Diese NS-Gegner, speziell aus den Arbeiterorganisationen, hatten inzwischen großen Anteil an der Reorganisation eines funktionierenden öffentlichen Lebens. Am 29. Juni berief Bürgermeister Eberth in Rücksprache mit der Militärregierung 21 Männer als provisorischen Stadtrat zu Stadtbeiräten, also keine einzige Frau. Ehemalige KZ- Häftlinge im provisorischen neuen Stadtrat waren die Sozialdemokraten Wilhelm Klemm, Gustav Röhl, Balthasar Schliersmaier und Max Rothaupt sowie der Kommunist Hans Kukowitsch.
NS-Gegner standen im März 1946 auch meist an der Spitze der vier neu oder wieder gegründeten Parteien CDP/CSU, DVP/FDP, SPD sowie KPD. Anfang Dezember 1945 wurden wieder Gewerkschaften gegründet. Dem zwölfköpfigen Antifaschistischen Ausschuss Lindau vom 12. Oktober 1945 gehörte mit Katharina Seifrid wenigstens eine Frau an.
Bereits im September begannen die Vorbereitungen zur Gründung des Kreispräsidiums Lindau. Dieses war nun die oberste Behörde für das Gebiet des Landkreises Lindau, da dieser als Verbindungskorridor zwischen den französischen Besatzungszonen in Baden, Württemberg, Vorarlberg und Tirol vom Land Bayern losgelöst worden war. Der Landkreis Lindau zählte zum 1. Januar 1946 exakt 54 371 Einwohnerinnen und Einwohner, die Stadt Lindau selbst rund 17 800.
Zuerst sollte der ehemals nationalliberale Reichswehrminister Dr. Geßler aus Lindenberg Kreispräsident werden. Nachdem die US-Militärregierung Bayerns aber erfahren hatte, dass dieser in der Weimarer Republik ein Mitschöpfer der illegalen Schwarzen Reichswehr war, wurde seine Lindauer Einsetzungsfeier von München aus telefonisch abgesagt. Gustav Röhl und andere Sozialdemokraten schlugen nun dem französischen Militärgouverneur Goiset erfolgreich den ehemaligen Lindauer SPD-Vorsitzenden und Landtagsabgeordneten Oskar Groll vor, den 1933 eine berufliche Versetzung sowie später ein NS-Berufsverbot nach München-Ottobrunn verschlagen hatte. Mit Datum vom 6. November 1945 erhielt dieser den Auftrag, mit den Vorbereitungen zum Kreispräsidium zu beginnen.
Groll starb aber kurz danach, sodass die Franzosen den Landmaschinenfabrikanten Anton Zwisler zum Kreispräsidenten ernannten. Er hatte dieses Amt fast zehn Jahre lang inne.