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Aloe Vera: Wie die Wüstenlilien auch am Bodensee gedeihen

Lindau / Lesedauer: 7 min

Harald Köhlmeier ist fasziniert von Aloe Vera. So sehr, dass er die Wüstenpflanze nach seiner Kenntnis als einziger im deutschsprachigen Raum anbaut. Im Vorarlberger Rheintal, wo sie fremder nicht sein könnte.
Veröffentlicht:09.09.2023, 12:00

Von:
  • Erich Nyffenegger
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Wenn Harald Köhlmeier durch die Reihen seines offenen Gewächshauses spaziert und die Hand über die fleischigen Blätter jener Pflanze gleiten lässt, die sein Leben so sehr verändert hat, sieht er zufrieden aus. Oder ist es Neugier, die da in seinem von der Sonne verwöhnten Gesicht spielt? Ein bisschen wirkt die Stimmung des 51–Jährigen so, als entdecke da gerade einer eine neue Welt. Und zwar eine, mit der er noch vor wenigen Jahren nicht das Geringste zu tun hatte: die Welt der Wüstenpflanze Aloe Vera. In der Gemeinde Hard, die am Vorarlberger Ufer des Bodensees gelegen ist.

Also ein Aloe–Vera–Bauer im gemäßigten Klima des saftigen Rheintals? Gibt es denn in dieser Gegend keine passenderen Pflanzen? „Ja, freilich. Wir bauen ja auch Wassermelonen an“, sagt Köhlmeier und deutet mit einem verschmitzten Lächeln auf einen Acker hinter dem Gewächshaus. Dort liegen medizinballgroße Melonen am Boden, während sich ein paar Meter weiter Hanfpflanzen im sachten Wind eines schwül–warmen Vormittags wiegen. Harald Köhlmeier ist ganz offensichtlich jemand, der aus der Reihe tanzt.

Die Politik hat er an den Nagel gehängt

Den größten Haken hat der hochgewachsene Mann vermutlich im Dezember des Jahres 2019 geschlagen, als er nach zehn Jahren im Amt des Bürgermeisters der Gemeinde Hard sowie als Präsident des Vorarlberger Gemeindeverbands überraschend und mit sofortiger Wirkung zurücktrat. Wer sich durch österreichischen Zeitungen aus dieser Zeit wühlt und Beiträge des Österreichischen Rundfunks durchforstet, stößt auf eine Volksabstimmung, bei der Köhlmeier mit seiner ÖVP (Österreichische Volkspartei) eine herbe Niederlage hat einstecken müssen. Die Mehrheit der Bürger stellte sich gegen die von ihm angestrebte Entwicklung des Hafenquartiers. Nach dem Rücktritt befragte das Nachrichtenportal Vol.at Bürger in Hard, wie sie Köhlmeiers Abgang einschätzen. Worauf ein Mann lapidar ins Mikrofon spricht: „Der wird die Schnauze voll gehabt haben.“

Ob dem so ist? Den konsequenten Schritt von damals möchte Harald Köhlmeier heute nicht mehr weiter kommentieren. Er sage nur soviel, dass er sich nicht in die Politik zurücksehne, nicht nach dem Zwist mit politischen Gegnern, bei dem es oft weniger um Inhaltliches als um Persönliches gegangen sei. Trotzdem ist der Schritt vom Vollblut–Politiker zum Wüstenlilien–Bauern nicht gerade ein kleiner. Aber wenn Köhlmeier in die Vergangenheit zurückblickt, scheint es, als sei die Aloe Vera immer in seinem Kopf gewesen. Es haben offenbar nur die richtigen Umstände zusammenkommen müssen, bevor er Ernst gemacht hat.

Fast 20 Jahre ist es her, als Köhlmeier die erste Aloe Vera von einem Urlaub auf Lanzarote mit nach Vorarlberg gebracht hat. „Sie hat mich immer schon fasziniert.“ Ihre Heilkraft, ihre vielfältigen Wirkungen, die auch wissenschaftlich belegt seien. „Äpfel gibt’s ja schon im Rheintal.“ Das Souvenir von damals, sozusagen die Pflanze Null, existiert heute noch. Sie steht vor dem Gewächshaus in einem mächtigen Topf. „Unzählige Ableger haben wir aus ihr gezogen“, sagt Sabine Köhlmeier, die Ehefrau des Aloe–Landwirts. Ein Teil seiner Plantage stammt aus zugekauften Pflanzen. Im Augenblick sind es rund 5000 Stück auf einer Fläche von 10.000 Quadratmetern.

Milde Winter als Chance

Doch wie kann das sein, dass eine Wüstenpflanze im milden Bodenseeklima wächst? Wie übersteht sie den Winter? Was machen die Köhlmeiers überhaupt mit der Ernte? Ein Faktor seien die zunehmend milden Temperaturen während der kalten Jahreszeit. „Die Aloe Vera ist nicht anspruchsvoll, sie verträgt nur keinen Frost und steht nicht gern im Wasser.“

Der Winter des vergangenen Jahres ist so mild gewesen, dass Köhlmeier sein Gewächshaus kaum hat beheizen müssen. Die geernteten Aloe–Vera–Blätter — jedes einzelne Blatt wird von Hand geschnitten, es bleiben aber immer welche stehen, damit die Pflanze weiterwächst — wird mit dem Messer geradezu filetiert, um an den begehrten Wirkstoff zu kommen, die sogenannte Aloverose. Doch bevor man dieses Gel im Blattinneren verarbeiten kann, muss der gelbe Saft, der beim Anschneiden austritt, ablaufen. „Das Aloin ist zwar nicht gefährlich, wirkt aber stark abführend“, erklärt Köhlmeier und demonstriert den Blattschnitt.

Am Ende des Extrahierungsprozesses bleibt das Gel als Rohstoff für die Kosmetiklinie der Köhlmeiers, genannt „Bodensee Aloe“. Ein Partnerunternehmen stellt die Produkte her. Darunter auch zwei, die mit CBD-Öl angereichert sind. Dieses wird aus der Hanfpflanze gewonnen, die Cannabis–Variante auf Köhlmeiers Acker hat allerdings keine berauschende Wirkung. Studien legen nahe, dass CBD-Öl unter anderem positiv aufs das menschliche Immunsystem und die Psyche wirken könnte. Die Segnungen, die Aloe Vera mit sich bringen soll, reichen von Schmerzlinderung über Zellerneuerung bis hin zu Entzündungshemmung. Außerdem helfe es der Haut als Feuchtigkeitsspender.

Aloe Vera — frisch und regional

„Natürlich sind Aloe–Vera–Produkte nicht neu“, sagt Sabine Köhlmeier. Doch oftmals hätten die Pflanzen lange Wege hinter sich, etwas aus Südamerika. Und sie kommen oft als getrocknetes Granulat, bevor sie verarbeitet würden. Die Vorarlberger Aloe Vera werde indes frisch verarbeitet. Der Anbau ist bio–zertifiziert. Auf den Zutatenlisten der Kosmetikprodukte ist der Saft der Pflanze stets an erster Stelle genannt — ist also auch die Zutat mit dem größten Einzelanteil am Produkt. Analysen haben gemäß Köhlmeier ergeben, dass der Wirkstoffgehalt seiner Pflanzen ausgesprochen gut sei. Obwohl die Aloe Vera in unseren Breiten nicht heimisch ist, scheint sie sich trotzdem ausgesprochen wohlzufühlen.

Ob Harald Köhlmeier viele für einen Spinner halten, weiß der Neu–Landwirt nicht so genau. „Die Rückmeldungen sind bis jetzt alle positiv.“ Was aber auch an der Vorarlberger Höflichkeit liegen könne, die meistens verhindere, jemandem direkt ins Gesicht zu sagen, was man wirklich denke. Das ist ihm und seiner Frau aber nicht wichtig. Sie haben vor, ihren Weg weiterzuverfolgen. Auch den Anbau der Wassermelonen, die bereits auf regionalen Märkten verkauft werden. Und den Hanf als Nutzpflanze, mit dem sich Sohn Luis besonders gut auskennt. Er studiert derzeit Agrarwissenschaften in Wien und unterstützt den Familienbetrieb, der so konsequent aus der Reihe tanzt, wann immer er in der Heimat ist.

Viel Einsatz ist gefragt

Harald Köhlmeier glaubt, dass sein Beispiel Schule machen könnte. Für ihn ist der Klimawandel keine Glaubensfrage, sondern eine schlichte Tatsache. „Und wenn andere sehen, dass man mit Aloe Vera oder Melonen gutes Geld verdienen kann, werden die das auch probieren.“ Im Moment befindet sich das Geschäft der Köhlmeiers noch im Aufbau, man arbeite nach den vielen Investitionen jetzt daran, in die Gewinnzone zu kommen. Billig sind die regionalen Aloe–Produkte vom Bodensee allerdings nicht, aber das sollen sie nach Aussage von Ehepaar Köhlmeier auch gar nicht sein. Es beginnt bei 36 Euro für 200 Milliliter Aleo Vera Reinigungsgel im Online–Shop. Aber das Bekenntnis zu regionaler Bioproduktion war schon immer ein bisschen teurer.

Konkrete Expansionspläne hat die Familie im Moment noch nicht. Harald Köhlmeier möchte davon abgesehen, vermeiden, dass die Arbeitsbelastung irgendwann nicht wieder so hoch wird wie damals, als er politische Ämter bekleidet hat. Fragt man seine Frau Sabine, ist die sich gar nicht so sicher, was insgesamt mehr Arbeit gemacht hat. „Der Aloe–Vera–Anbau fordert viel Einsatz. Aber wenn Sie hier an einem schönen Tag inmitten der prächtigen Pflanzen stehen, wissen Sie, warum Sie das machen“, erklärt Harald Köhlmeier und streicht mit der Hand einmal mehr über eines der fleischigen Blätter.