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Kolumne von Dr. Dogs

Wie mich Kriege und Krisen nicht herunterziehen

Lindau / Lesedauer: 5 min

Alles düster und traurig? Schlechte Nachrichten überfluten unser Gehirn. Doch wir sind dem nicht hilflos ausgeliefert. Wie wir unser Leben und unsere Stimmungen aktiv gestalten.
Veröffentlicht:10.11.2023, 05:00

Von:
  • Dr. Christian Peter Dogs
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Seine Klienten sind Menschen wie Du und Ich. Einige brauchen ihn als Psychiater, manche als Psychotherapeuten und wieder andere als Coach. Dr. Christian Peter Dogs lädt die Leser der „Lindauer Zeitung“ dazu ein, ihm bei der Arbeit über die Schulter zu schauen. Dieses Mal geht es darum, was Menschen selbst tun können, um die Lebensfreude nicht zu verlieren ‐ trotz Krieg und Klimakatastrophe.

Bekannte von mir kommen spät am Abend zurück von einer großen Feier zum fünfzigsten Geburtstag. Auf meine Frage, wie der Abend war, kommt die einhellige Antwort: tödlich langweilig. Und, frage ich daraufhin weiter, was habt ihr getan, damit es interessanter und unterhaltsamer wird? Ich ernte erstaunte Gesichter und eine Gegenfrage: Was hätten wir denn tun sollen?

Ich kenne diese Reaktionen hundertfach aus meiner Praxis. Immer wieder, wenn mir Klienten klagen, wie schlimm ihr Leben oder ihre Partnerschaft ist, frage ich sie, was sie denn aktiv tun, um das zu ändern?

Wie man Stimmungen steuern kann

Das Leben ist unsere Party und die entscheidende Frage ist immer, was wir aus diesem Fest machen. Wir können unser Leben und unsere Stimmungen aktiv gestalten. Stimmungen entstehen nicht einfach im luftleeren Raum. Wir können sie beeinflussen und steuern.

Hirnbiologisch sind es die Botenstoffe und die Empfindlichkeit der Rezeptoren, die unsere Stimmungen und Affekte lenken. Aber diese Chemie im Kopf können wir willentlich beeinflussen durch unsere Art zu leben und zu denken. Vereinfacht kann man sagen: Gute Erlebnisse bilden Botenstoffe und negative Erlebnisse kosten ohne Ende Transmitter.

Warum unser Hirn Gutes so schnell vergisst

Will ich mir eine gute Stimmung machen, dann füttere ich mein Hirn mit schönen Informationen, Erlebnissen und Erinnerungen. Wir haben so viele schöne Erinnerungen in unserem Leben. Wir vergessen sie leider nur viel zu schnell.

Gutes ist hirnkonform. Da regt sich unser Hirn nicht auf. Schlechte Erlebnisse hingegen brennen sich ein, weil es eine unglaubliche Aufregung in unserem limbischen System gibt.

Der erste Liebeskummer, die Kränkungen, die körperlichen und seelischen Schmerzen: So vieles davon vergisst man nicht. Und wenn es ganz schlecht kommt, geht man in Therapie ‐ und genau das Negative wird immer wieder getriggert. Meine Stimmung wird dadurch immer instabiler und meine depressive Seite verstärkt.

Worauf lege ich den Fokus ‐ auf das Gute oder das Schlechte?

Also sollte ich gute Erinnerungen aktiv abrufen. Vielleicht auch mal mit den Eltern oder Großeltern darüber sprechen. Stellen Sie sich vor, wir fragen mal nach dem Guten, das uns im Leben begegnet ist? Auch diese Frage wird Erstaunen auslösen.

Ich kann es lenken. Ich kann mich auf das Positive im Leben fokussieren oder auf das Schlechte. Negative Nachrichten finde ich gerade jetzt unendlich viele, und die Medien helfen mir dabei. Wenn ich will, dann kann ich mich aktuell in Kriege streamen, in Klimakatastrophen und Unfallstatistiken. Der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt, um mich negativ zu stimmen.

Die Gegenwart gestalten

Wenn die Nachrichten aus der Außenwelt noch nicht reichen, ergänze ich sie durch die negative Wahrnehmung meiner kleinen, persönlichen Welt. Ja, auch dort, in meinen persönlichen Beziehungen, kann ich meine Wahrnehmung beeinflussen und selbst meine Partnerschaft schlechtreden.

Genauso wie ich mich mit schönen Erlebnissen aus der Vergangenheit stabilisieren kann, muss ich versuchen, meine Gegenwart zu gestalten. Das Leben ist meine Party.

Welche Momente zählen

Dabei sind es fast nie die großen Ereignisse, die mich pushen, sondern ganz viele kleine Momente, die ich oft schon gar nicht mehr wahrnehme, weil das Schöne so selbstverständlich geworden ist.

Die Basics: Dass wir in Frieden leben dürfen. Dass wir Stille und Natur genießen können. Dass wir weitgehend existentiell gesichert leben. Unsere Sicherheit, die viele Menschen gerne erleben würden. Die schönen Minuten der Zweisamkeit. Zärtlichkeit und Geborgenheit.

Ich könnte diese Liste endlos fortsetzen und jedes Mal, wenn uns wieder etwas wirklich bewusst wird, würden wir merken, wie der kleine Rucksack auf unserem Rücken leichter wird. Wir brauchen mehr Bewusstheit und Achtsamkeit und weniger Selbstachtsamkeit.

Einmal Nachrichten pro Tag reichen aus

So entsteht Resilienz. Wenn ich mein Leben austariere und nicht ständig mit negativen Nachrichten flute. In der katastrophalen Welt, in der wir gerade leben, reichen einmal schlechte Nachrichten pro Tag völlig aus. Wenn ich mein Hirn ständig überflute, ist es kein Wunder, wenn es dekompensiert.

Deshalb fühlen sich heute so viele Menschen erschöpft. Weil sie sich overloaden. Für diese belastenden Informationsmengen ist das Gehirn nicht gebaut.

Eigenverantwortung ist gefragt

Es ist eine eigenartige Atmosphäre der Externalisierung und des Outsourcens entstanden. Eigenverantwortung hat sich aufgelöst. Immer sind die anderen schuld und die sollen etwas machen. Es ist doch eigenartig, wenn die Politiker, einschließlich Bundeskanzler, fordern, dass sich etwas ändern muss. Wer denn, wenn nicht sie, muss es tun und endlich handeln?

Es ist wie bei meinen Patienten. Sie kommen zu mir in der Hoffnung, dass ich ihr Leben verändere und vergessen, dass ich auf ihrer Party nur eingeladen bin.