Er ist Dauergast bei der Polizei – Dann wirft er mit Dose nach Polizistin
Lindau / Lesedauer: 5 min

Bei der Polizei ist der 51–jährige Mann aus Lindau bestens bekannt. Ständig ist er in Vorfälle verwickelt. Schließlich muss er sich wegen gefährlicher Körperverletzung vor Gericht verantworten. Mit einem Bein steht er schon im Gefängnis, als sein Betreuer ihn nochmal retten kann.
Eigentlich soll der Prozess am Lindauer Amtsgericht um 10.30 Uhr beginnen. Aber vom Angeklagten fehlt jede Spur. Auch nach einer Viertelstunde taucht er nicht auf. Also schickt Richter Kick zwei Beamte zur Lindauer Obdachlosenunterkunft, die den 51–Jährigen abholen sollen.
Den Beamten dürfte der 51-jährige Mann bekannt sein. Einer ihrer Kollegen wird den Angeklagten später in der Verhandlung als „Dauerbrenner bei der Polizei“ bezeichnen.
Wirft Erdnussdose auf Polizistin
Als der Angeklagte mit einer Stunde Verspätung neben seiner Verteidigerin Platz nimmt, kann die Verhandlung beginnen. Was an einem heißen Sommertag 2022 geschah, daran gibt es später keinen Zweifel: In einer Wohnung in der Fischergasse kam es zwischen dem Angeklagten und seinem angehenden Vermieter zum Streit.
„Er hat mir die Wohnung versprochen und dann wollte er, dass ich gehe“, sagt der Angeklagte vor Gericht. Weil er aber nicht gehen wollte, rief der Vermieter die Polizei.
Als eine Beamtin und ein Beamter kamen, rastete der Angeklagte vollkommen aus. Er sei mit Krücken auf die Polizistin und den Polizisten losgegangen, so die Staatsanwaltschaft.
So schilderte es auch die betroffene Polizistin, die als Zeugin auftritt. Sie habe ihren Schlagstock gezogen. „Wir konnten ihn nicht fassen“, sagt sie. Der Angeklagte sei auf dem Rücken gelegen und habe um sich geschlagen und getreten. Er habe die Beamten mit üblen Wörtern beschimpft.
„Er hat mit dem Fuß auf meinen Kopf gezielt“, sagt der Polizist. Dann habe der 51–Jährige, der an diesem Tag viel Alkohol getrunken hatte, unter anderem einen Blumentopf durch die Einzimmer–Wohnung geworfen.
Als er eine mit Wachs befüllt Erdnussdose auf die Polizistin zielte, konnte diese nicht ausweichen, wie sie berichtet. Die Dose prallte an ihrer Lippe ab. Sie musste im Krankenhaus genäht werden.
Die Polizisten entschieden sich dann dazu, Verstärkung zu rufen. Erst mit vier weiteren Kollegen konnten sie den Angeklagten beruhigen. Sie legten ihm Handschellen an und machten Kabelbinder um seine Füße. Dass das so geschehen ist, daran haben Richter und Staatsanwalt keine Zweifel.
Angeklagter zeigt Reue
Dem Angeklagten tut sein Verhalten von damals leid. Sie zu verletzen, sei nicht sein Ziel gewesen, entschuldigt er sich bei der Polizistin. Er habe sich nur wehren wollen.
Es sei ihm an diesem Tag nicht gut gegangen. Die Tage zuvor habe er mit einem gebrochenen Fuß im Krankenhaus verbracht. „Es war heiß und es ging mir schlecht.“
Aber der Vorfall im Sommer war kein Einzelfall. Innerhalb der vergangenen drei Monate sei der Angeklagte fast 50 Mal polizeilich auffällig gewesen, führt der Polizist vor Gericht aus. 21 Mal habe jemand Anzeige gegen ihn erstattet, fünfmal habe die Polizei ihn in Gewahrsam genommen.
Schwierige Biografie
Der 51–Jährige hat kein einfaches Leben. Nach einem abgebrochenen Soziologie–Studium in Polen sei vor neun Jahren nach Lindau gekommen, berichtet er.
Betreuer über seinen SchützlingAus meiner Sicht hat die Polizei ihn auf dem Kieker.
Zunächst habe er als Pfleger gearbeitet, dann aber ein Burnout bekommen. Mittlerweile lebt er in der Lindauer Obdachlosenunterkunft und hat einen gesetzlichen Betreuer. Ein Gutachten stuft ihn als alkoholabhängig ein.
Sein Betreuer hat ein vollkommen anderes Bild von dem Angeklagten wie die Polizei. „Aus meiner Sicht hat die Polizei ihn auf dem Kieker“, sagt der Betreuer vor Gericht. „Ich glaube, er ist stigmatisiert.“
In der Obdachlosenunterkunft gebe es viele Spannungen, er sei dort als „problematisch“ bekannt. „Ich habe ihn als konstruktiv und zuverlässig erlebt“, so der Betreuer. Dass der 51–Jährige an diesem Tag nicht zur Verhandlung erschienen ist, sei ein blöder Zufall gewesen. Er habe kurz vorher sein Handy verloren.
Vom Verhandlungssaal in den kalten Entzug
Mit seinem Vorschlag rettet der Betreuer dann seinen Klienten. Er wolle den Angeklagten direkt nach der Verhandlung mit nach Kempten in die Entzugsklinik nehmen.
Ab Mitte März könne er dann in einer Wohngruppe für alkoholkranke Männer leben. Der Angeklagte habe sich dort bereits vorgestellt und wolle dort einziehen. „Das wäre die beste Lösung für sein Problem in Lindau.“
Trotz der guten Prognose fordert der Staatsanwalt eine Gefängnisstrafe. Dass der Angeklagte an dem Tag im Sommer getrunken hatte und in einer schlechten psychischen Verfassung war, mindere das Strafmaß.
Der Staatsanwalt hielt ihm auch zugute, dass er sich bei der Polizistin entschuldigt hatte. Wegen der schlimmen Verletzung der Polizistin fordere er aber dennoch eineinhalb Jahre Haft.
Der Richter entscheidet sich gegen eine Gefängnisstrafe. Er verurteilt den Mann zu zwölf Monaten auf Bewährung. Das Kernproblem, der Alkohol, werden angegangen, begründet der seine Entscheidung. „Es wurde ein gutes Setting geschaffen.“
Der 51–Jährige komme aus der Obdachlosenunterkunft und können neu anfangen. Zum Schluss macht der Richter dem Mann klar: „Ich rechne nicht damit, dass Sie weitere Straftaten begehen.“