Pendeln nach Frankfurt
Vom Bodensee in die Welt: Wie eine Flugbegleiterin ihren Alltag meistert
Tettnang / Lesedauer: 7 min

Simon Federer
Immer wieder spaziert ein Mensch an diesem Herbsttag entlang des Bodensees in Richtung Landungssteg in Kressbronn. Die Alpen schimmern vom anderen Ufer herüber. Die Sonne scheint durch die Wolken hindurch auf den See, der ruhig da liegt. Hin und wieder ist ein Segelschiff zu sehen, vereinzelt kreischen Möwen. Spaziergänger, die ganz nah am Wasser sein möchten, laufen am Strand auf Steinen, entlang von angeschwemmten Ästen.
Auch Alexandra Henseler kommt gerne hierher. Der Landungssteg ist einer ihrer Lieblingsplätze und ob Winter oder Sommer, an diesen Ort zieht es sie immer wieder hin. „Selbst wenn es nur ein oder zwei Stunden am Bodensee sind, fahre ich hin“, erzählt Alexandra Henseler und ergänzt: „Die Bodenseeregion ist meine Heimat, hier bin ich aufgewachsen und habe meine Wurzeln.”

Diese ruhigen Momente am See waren früher selten. Alexandra Henseler aus Tettnang , die meist Alex genannt wird, entschied sich für eine Laufbahn als Flugbegleiterin bei der Lufthansa und wohnte fünf Jahre lang in der Nähe des Frankfurter Flughafens. Die Rhein-Main-Region habe jedoch nicht den Charme, den der Bodensee hat. „Ich bin oft an freien Tagen runtergefahren“, erzählt Alex. Als es mit ihrem damaligen Freund um die Familienplanung ging, entschieden sie sich, in die Bodenseeregion zu ziehen. Seiher pendelt die 48-Jährige zwischen Tettnang, Frankfurt und der großen weiten Welt.
So sieht der Monatsplan der Flugbegleiterin aus
Als Alex noch in Vollzeit arbeitete, kam sie von einem Einsatz nach Hause, hatte oft nur Zeit ihre Wäsche zu waschen und flog dann wieder los. „Das viele Hin und Her ist körperlich anstrengend“, weiß Alex. Also entschied sich die Flugbegleiterin, zurück nach Oberschwaben zu ziehen und in Teilzeit zu arbeiten. Dadurch hatte sie fünf Tage mehr frei im Monat. Bei einer 75 Prozent-Tätigkeit sieht ihr Monatsplan nun beispielsweise so aus: Fünf Tage São Paulo und zurück, eine Pause, vier Tage Barcelona, Rom, Bukarest, eine Pause und drei Tage Washington und zurück.
„Vom Ländle ins Ausländle“: Auf einem Charity-Stand der Flugbegleiter-Basis am Frankfurter Flughafen hat Alex diesen Flugzeug-Aufkleber gefunden, der, wie sie findet, super zu ihrem Lebensstil passt und der seither hinten an ihrem Auto klebt.
Dieser Lebensstil erlaubt, viele Länder und Kulturen zu erleben. Alex genießt den Trubel in Großstädten wie San Francisco als Ausgleich zur ländlichen Idylle am Bodensee. Höhepunkte sind für sie, wenn sie ungewöhnliche Reiseziele kennen lernt, wie etwa Usbekistan oder Ghana. Freude bereitet ihr, im Flugzeug innerhalb kürzester Zeit mit Fremden ein Team zu bilden.
Alex hat später Feierabend als ihre Kollegen
Ist Alex‘ Leben also nur eitel Sonnenschein? Nein, es gibt auch Schattenseiten, das macht Alex deutlich. Oft passiere es, dass Alex in einem Hotel aufwacht und nicht weiß, wo sie ist. Es könne dabei gut passieren, dass sie gegen einen Glastisch läuft oder sich verirrt. „Du merkst jedes Jahr, das du älter wirst“, erklärt Alex.

„Du brauchst ein soziales Umfeld, das damit leben kann, dass du andauernd weg bist und hundemüde nach Hause kommst.“ Flüge gebe es immer, 24 Stunden, sieben Tage die Woche. So könne es gut sein, dass sie an Weihnachten oder Ostern nicht Zeit mit ihrer Familie verbringen kann. Wenn es zu einer Planänderung kommt, gehen der Flugbegleiterin Gedanken durch den Kopf, wie: „Jetzt wäre ich gerne auf der Geburtstagsfeier.“ Aber dafür, dass man manchmal fehlt, würden Flugbegleiter auch bezahlt.
Außerdem hat Alex, so wie alle Berufspendler, einen zusätzlichen Weg zurückzulegen, der Zeit kostet.
sagt die Flugbegleiterin.„Ich habe nicht Feierabend, wenn ich in Frankfurt lande, sondern wenn ich mit dem Zug in Meckenbeuren ankomme“,
Freizeit in Oberschwaben macht es wieder wett
Trotz aller Strapazen lohnt es sich für Alex, wie sie sagt. Denn wenn sie vom „Ausländle“ zurück ins „Ländle“ kommt, genießt sie den hohen Freizeitwert Oberschwabens. Und zwar nicht nur in Kressbronn, sondern auch dort, wo sie von der Ferne einen Ausblick auf See und Alpen hat: auf dem Tettnanger Hopfenpfad.

Alex wohnt in einem mit Weinreben behangenen Häusle mit Garten in Tettnang. Eines ihrer Rituale ist es, einmal pro Woche von dort aus auf dem insgesamt acht Kilometer langen Hopfenpfad in Richtung Siggenweiler zu spazieren. Auf halber Strecke holt sie ihre Freundin ab. Diese hat sie auf einem Klassenfest an der Schule ihrer zwölfjährigen Tochter kennengelernt, sie ist die Mutter einer Schulkameradin.
Die Freundinnen decken sich mit regionalem Obst ein
Fast immer machen die beiden einen Stopp am Obstautomaten der Familie Rösler in Dieglishofen, um sich mit regionalen Produkten wie Äpfeln, Zwetschgen oder Eiern einzudecken. „Melanies Selbstbedienungsladen liegt auf dem Weg und da treffen wir sie oft, wenn sie wieder alles vollmacht“, sagt Alex. Die Flugbegleiterin kennt Melanie Rösler, denn als im Sommer 2020 kaum Flüge gingen und kaum Erntehelfer nach Deutschland kamen, half sie der Landwirtin bei der Kirschernte.

Nicht nur bei Spaziergängen, sondern auch in ihrem Nebenjob genießt Alex die Landschaft des Vierländerecks. Sie ist seit sechs Jahren Flugbegleiterin im Zeppelin. „Das Fliegen im Zeppelin ist ganz anders als im Flugzeug“, erzählt Alex und ergänzt: „Der Zeppelin fliegt viel langsamer und mit offenen Fenstern.“ Hier sei der Weg das Ziel, die Fluggäste weniger gestresst, wenn sie das Allgäu, die Insel Mainau oder Meersburg von oben bewundern.
Bis zur Rente will Alex fliegen
Dass Alex zwischen Oberschwaben und den Metropolen der Welt pendeln würde, wusste sie noch nicht, als sie nach dem Abitur in einem Reisebüro in Ravensburg arbeitete. Doch irgendwann stellte sie sich die Frage, wieso sie in ihrem Beruf anderen Menschen dazu verhalf, in den Urlaub zu fahren, aber sich selbst nicht.

Alex wollte Reiseleiterin werden, allerdings ging das Programm erst ein halbes Jahr später los. Sie sah ein Angebot der Lufthansa , die Flugbegleiter auf Zeit suchte. „Ich wollte das halbe Jahr überbrücken. Mittlerweile bin ich 24 Jahre dabei.“ Und ans Aufhören denkt Alex nicht. Auch wenn es anstrengend ist, will sie bis zur Rente weiter zwischen Budapest und Bangkok unterwegs sein. „Dafür macht mir die Arbeit zu viel Spaß.“
Langsam wird es dunkel am Landungssteg in Kressbronn, mehr und mehr sind die Lichter vom anderen Ufer zu sehen. Die Spaziergänger halten an, um den Sonnenuntergang zu betrachten. Alex kommt auch gerne abends hierher. Sie mag Herbstspaziergänge, doch freut sich auch auf den Sommer, wenn sie am Landungssteg wieder ins kühle Nass springt. Sie freut sich auf ungewöhnliche Reiseziele, nette Begegnungen – und darauf, immer wieder vom Ausland zurückzukehren und den Bodensee zu genießen.