Rittersaal
Heißblütiger Wahnsinn im Rittersaal
Tettnang / Lesedauer: 3 min

Schwäbische.de
Seit seinem Sieg beim Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerb 2015 in Moskau wird der Pianist Dmitry Masleev aus dem sibirischen Ulan-Ude weltweit begeistert gefeiert. Am Sonntagabend ist Tettnang als zweite Station in den Genuss des phänomenalen Spiels des Artists in Residence des Bodenseefestivals gekommen.
Bürgermeister Bruno Walter zeigte sich in seiner Begrüßung stolz auf Spectrum Kultur Tettnang als Veranstalter, der auch dank der ehrenamtlich Mitwirkenden eine ganz entscheidende Rolle im Kulturleben der Stadt spiele: „Ohne bürgerschaftliches Engagement gäbe es diese Kultur in Tettnang nicht.“
Dann betrat Dmitry Masleev die Bühne: Gerade erst 30 Jahre alt geworden, zierlich, eher jungenhaft, doch welch unbändige Kraft, welch elektrisierende Energie bringt er herüber, ganz besonders im furiosen Schlusspunkt mit Sergej Prokofjevs Sonate Nr. 2 d-Moll op. 14, die er in Abänderung des Programms ans Ende des Konzerts gesetzt hat.
Mit Franz Schuberts vier Impromptus op. 90 D899 hat er den leiseren Einstieg gewählt. Intensiv ergründet er die Botschaft, die Emotionen der Impromptus, die auch als Sätze einer Sonate gesehen werden. Tiefe Wehmut lässt er aus dem ersten Takt von Nr. 1 c-Moll sprechen. Als trage der Musiker eine schwere Bürde, tastet er sich vor zum Thema, das langsam Gestalt annimmt, an Kraft gewinnt, die Farben wechselt. Klar steht die Melodie über der Begleitung durch die Linke, taucht in die Tiefe, ersteht wieder, wird licht und trostvoll, auf stille Ergebenheit folgt Seelenfrieden. Heiter und lebendig wie ein Wildbach funkelt und sprüht das Allegro in Es-Dur, während das Impromptu Nr. 3 Ges-Dur mit seiner geheimnisvoll schwebenden, beseligten Melodie wie ein demütiges Gebet erscheint, das aus unruhiger Seele aufsteigt und zu vollkommener Seligkeit findet. Erneut perlen in Nr. 4 As-Dur die Skalen, unablässig lässt Masleev die Wellen heranbranden, nimmt den Zuhörer mit in einen kraftvollen Lebensstrom.
Vom Barock zur Frühklassik
Sehr schön passen dazu die vier ausgewählten Klaviersonaten von Domenico Scarlatti, virtuose Meisterwerke, die eine Brücke schlagen vom Barock zur Frühklassik. In eine lichte Atmosphäre führt Masleev mit der f-Moll-Sonate K466, strenger ist die K1 in d-Moll, die sich immer mehr befreit. In herrlich lebhaftem Strom fließt K 141 in d-Moll und erinnert an eine Mandoline oder flirrende Domra, milde Ruhe liegt zuletzt über der lyrischen d-Moll Sonate K32.
Nach nur kurzem Atemholen setzt Masleev sogleich zur Prokofjev-Sonate an – welch ein Gegensatz. Heftige Kontraste prägen die Sonate, die die spätromantischen Züge ablegt und die eigene Handschrift des Komponisten offenbart. Hochdramatisch ist der Einstieg, doch gleich folgt der heftigen Attacke eine sanfte Idylle, auch fröhlicher Mutwille. Jazzige Rhythmen tauchen auf und gehen wieder unter, auf fiebrige Unruhe folgt eine ausgelassene Tanzmelodie, die ebenso vorüberfliegt wie der vehemente Schluss des Satzes – als kämpften heftige Gemütsbewegungen gegeneinander, als fegte ein Sturm alle weichen Regungen hinweg. Ein Genuss ist, die Gestaltung der so unterschiedlichen Elemente zu erleben. Fein gesponnen, wie ferner Glockenklang, hebt das Andante an, der Klang wird intensiver, drängender, düsterer, helle Elemente entschweben wieder, ein spannendes Wechselspiel von Licht und Dunkel. Zur fiebrigen Hetzjagd, zum stampfenden Hexensabbat, zum heißblütigen Wahnsinn wird der Schluss unter Masleevs Händen.
Mit zwei Sätzen aus Tschaikowskys 18 Pieces op. 72 entlässt der Pianist seine begeisterten Zuhörer.