Mordprozess gegen 86-Jährige: Tonaufnahme des Notrufs sorgt für Bestürzung
Bodenseekreis / Lesedauer: 5 min

Bereits zum zweiten Mal muss sich eine Seniorin aus dem Bodenseekreis wegen des Mordes an ihrem Ex-Mann verantworten, am Mittwoch startete erneut der Prozess. Das Landgericht Konstanz hatte die Frau bereits im August 2020 zu elf Jahren Freiheitsstrafe wegen Mordes verurteilt.
Die Verteidigung legte vor dem Bundesgerichtshof erfolgreich Revision ein. Jetzt wird das Verfahren vor der dritten Strafkammer des Landesgerichts Konstanz neu aufgerollt.
Wegen des Gesundheitszustands der Frau findet die Verhandlung in Schwäbisch Gmünd statt. Dort sitzt die mittlerweile 86-Jährige ihre Freiheitsstrafe ab. Die Reise nach und die Präsenz vor dem zuständigen Landgericht in Konstanz wollte man ihr nach einem Vorgespräch mit den Prozessbeteiligten nicht mehr zumuten.
Mutter und Tochter treffen wieder aufeinander
Auf Seiten der Staatsanwaltschaft saß als Nebenklägerin auch die Tochter der Angeklagten und des Opfers. Sie sei hier in Vertretung ihres ermordeten Vaters. Das sei sie ihm schuldig, sie wolle Gerechtigkeit. Allein schon das Gegenüber von Tochter und Mutter wirkte auf die Prozessbeobachter bedrückend und ließ einiges über die Tragödie erahnen.
Geschildert wurde mehrfach das Bild einer Familie mit einer sehr herrschsüchtigen und exzentrischen Mutter und einem sanftmütigen und liebevollen Vater.
Nach strengen Einlasskontrollen führte eine Justizbeamtin die 86-jährige Angeklagte herein. Die Seniorin trug Corona-Maske und einen bunten, offenbar selbstgestrickten Poncho und ebensolche Handschuhe.
Sie wirkte aufmerksam, überließ allerdings ausschließlich ihrem Verteidiger Nicolaus Doubleday das Wort. Auch Rechtsanwältin Kristina Müller stand der Angeklagten zur Seite und versicherte sich wiederholt, ob sie denn alles Gesagte verstanden habe.
Das wird der Frau vorgeworfen
Oberstaatsanwalt Gerlach verlas die Anklageschrift. Geschildert wurde ein Delikt mit Todesfolge: Am Morgen des 17. Januar 2020 kam es zwischen der Angeklagten und ihrem damals 73-jährigen Ex-Ehemann im gemeinsam bewohnten Haus zu einem Streit.
Das Paar hatte 1968 geheiratet, ließ sich 1972 scheiden, pflegte aber in einem 1995 gemeinsam erbauten Haus eine Art Zweckgemeinschaft. Spannungen nahmen dramatisch zu. Am besagten Morgen soll die Angeklagte mit einem eisernen Fleischklopfer und mit „mehreren wuchtigen Schlägen“ auf den Mann eingeschlagen haben, diesen dann während seines nachfolgenden Notrufs in der Rettungsleitstelle des Bodenseekreises mit einem Eimer Benzin überschüttet und angezündet haben.
„Hierbei ist das Opfer qualvoll zu Tode gekommen“, so die Anklage. Der Beschuldigten wird auch vorgeworfen, für die Tat im Wohn- und Esszimmer zuvor einen Zehn-Liter-Benzinkanister auf dem Balkon bereitgestellt zu haben.
Verteidiger schildern eine andere Version
Rechtsanwalt Nicolas Doubleday schilderte eine ganz andere Szenerie, verbunden mit einer jahrelangen Vorgeschichte – nämlich die eines brutalen Widersachers der Angeklagten. Die Seniorin sei wegen ihres schlechter werdenden Gesundheitszustandes wirtschaftlich und fürsorglich von ihrem Ex-Mann abhängig gewesen.
Doubleday schilderte etliche dramatische Vorfälle. Immer stärker habe sich die Frau bedroht gefühlt und sogar mit Selbstmordgedanken gespielt, um dieser Situation zu entfliehen.
Im Januar 2020 sei das Gegeneinander eskaliert. Bereits am Vortag der Tragödie seien ihr Schläge angedroht worden, nachdem sie vergeblich „doch nur das Gespräch gesucht“ habe. Ihre Schläge mit dem Fleischklopfer seien ohne Tötungsabsicht erfolgt. An das weitere Tatgeschehen könne sie sich nicht mehr erinnern.
Es sei kein geplanter Mord, sondern eine Tat aus dem Affekt gewesen. Die Angeklagte, so der Rechtsanwalt, würde das Ganze am liebsten ungeschehen machen. Sie habe nicht töten wollen. Die Begegnung im Gerichtssaal mit der Tochter aus der geschiedenen Ehe falle ihr sehr schwer.
Gutachter schätzt die Seniorin ein
Die Verhandlung wurde für zwei Stunden unterbrochen, um Gutachter und Gerichtspsychiater Peter Winckler aus Tübingen Gelegenheit zu geben, die Krankenakte aus der Justizvollzugsanstalt Gotteszell einzusehen. Er führte auch ein weiteres Gespräch mit der Seniorin unter vier Augen.
Die jüngste Begegnung der beiden lag schon sieben Monate zurück, wie der Verteidiger feststellte. Winckler schilderte einen wachen und schuldbewussten Geist der 86-Jährigen. Er bezeichnete sie als voll verhandlungsfähig und auch reumütig. „Ich habe sie vorher noch nie so gesprächig erlebt, wie gerade in diesen 40 Minuten“.
Die Angeklagte wolle das Gefängnis in Schwäbisch Gmünd eigentlich gar nicht mehr verlassen, weil sie dort eine religiös orientierte Freundin und Fürsorge der Justizvollzugsanstalt kennen- und schätzen gelernt habe. Sie bereue ihre Tat. Das Gespräch habe sich auch um ihre Tätigkeit als Künstlerin und Autorin gedreht.
Während ihres Gefängnisaufenthaltes sei ein Buch über ihre Kindheit und ihr Leben entstanden. Der Gutachter schlüpfte mit seiner Schilderung fast schon in das Plädoyer für Verständnis und Verteidigung der Angeklagten.
Sechsminütige Tonaufnahme des Notrufs
Der Kontrast dazu folgte mit der Zeugenaussage einer Kripobeamtin. Sie schilderte das Bild einer gefassten und hellwachen Täterin. Ein Feuerwehrmann habe ausgesagt, sie sei an der brennenden Wohnung „mehr grinsend als weinend“ angetroffen worden. Bei der Überführung kurz nach der Tat auf der Fähre zwischen Konstanz und Meersburg sei ihr ein wichtiges Anliegen gewesen, sich in einem Fitnessstudio abzumelden.
Im Gerichtssaal machte sich am Ende des Verhandlungstags Bestürzung und lähmende Stille breit, als der sechs Minuten lange und erschütternde Notruf des Opfers abgespielt wurde. In den ersten eineinhalb Minuten bittet der 73-Jährige um Hilfe. Er sagt, er blute am Kopf, weil gerade seine Frau mit einem Hammer auf ihn eingeschlagen habe.
Dann Schreie und Hilferufe: Er brenne. Das Beweismittel dokumentiert den Todeskampf und auch die Verzweiflung der Mitarbeitenden der Leitstelle. „Hilfe ist unterwegs!“, wird immer wieder versichert. Sie kam zu spät. Die Feuerwehr konnte nur noch einen Leichnam aus dem brennenden Haus bergen – und die verletzte Täterin vom Balkon des Hauses retten.
Die Verhandlung des Landgerichts Konstanz wird am kommenden Montag im Amtsgericht Schwäbisch Gmünd fortgesetzt.