Fisch
Gibt es genügend Fische im Bodensee? Forscher wollen es herausfinden
Langenargen / Lesedauer: 4 min

Schwäbische.de
Üblicherweise finden Zählungen statt, um statistische Daten über die Bevölkerung zu sammeln. Bei einer Kampagne geht es ab Mitte September allerdings vier Wochen lang um Fische, und zwar um die im Bodensee. Dabei zählen und vermessen Wissenschaftler Barsch, Felchen, Karpfen und Co., um herauszubekommen, was sich im Vergleich zur letzten Bestandsaufnahme 2014 geändert hat. Beteiligt am Fisch-Zensus sind Mitarbeiter der Fischereiforschungsstelle in Langenargen und der Fischereiverwaltung des Landes Baden-Württemberg.
Und so sieht die Aktion einer Pressemitteilung zufolge aus: Früh morgens treibt ein Boot mitten auf dem See. Fische aller Größen werden stichprobenartig von Wissenschaftlern mithilfe von Netzen aus der Tiefe des Sees an Bord gezogen. Kisten werden gestapelt, in denen die Fischernetze nach geographischer Position und Wassertiefe getrennt verstaut werden. An Land wartet bereits das Vermessungsteam, das den Fang nach Art bestimmt, die Länge misst und das Gewicht protokolliert. Fische werden sorgfältig verpackt und eingefroren, um sie für spätere Analysen zu konservieren. Währenddessen tuckert ein weiteres Boot am Ufer entlang, auf dem mit Hilfe von Elektrofischerei Fische kurzzeitig betäubt, vermessen und unversehrt wieder ins Wasser entlassen werden.
Die Zählung ist deutlich angelehnt an eine Befischungskampagne im Jahr 2014, schreibt die Fischereiforschungsstelle (FFS). Damals sei im Zuge des „Projet Lac“ der Bodensee durch die Eawag (Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung & Gewässerschutz) mit der Langenargener Fischereiforschungsstelle in einer groß angelegten Aktion befischt worden. „Dies war die erste standardisierte Fischbestandsaufnahme des kompletten Sees. Barsch, Rotauge, Felchen, Brachse, Hecht, Schleie, Karpfen und viele andere Arten wurden dabei gezählt und vermessen“, heißt es.
Alles hängt zusammen
Neben einem einzigartigen Gesamtüberblick über die Fischfauna, das Wachstum und die Artenzusammensetzung und -verteilung seien auch einige überraschende Erkenntnisse ans Licht gekommen: „Der Stichling beispielsweise zeigte eine ungewöhnlich hohe Präsenz im Freiwasser. Der Tiefseesaibling, eine bis dahin als ausgestorben geglaubte Art, wurde gefangen. Nicht nur angesichts dieser Erkenntnisse, sondern auch aufgrund der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie ist ein Fischmonitoring des Sees auch in Zukunft wesentlich.“
Diese Richtlinie verpflichte die EU-Mitgliedsstaaten, ihre Gewässer in einen guten ökologischen Zustand zu bringen beziehungsweise diesen zu erhalten und entsprechend ein regelmäßiges Monitoring von Wasserpflanzen, Plankton und eben auch Fischen zu organisieren.
„Man kann sich den See wie ein Spinnennetz vorstellen“, veranschaulicht Alexander Brinker, Leiter der FFS und der Themengruppe Fische im internationalen Interreg-Projekt „Seewandel“. „Ein Ökosystem, in dem alles miteinander verwoben ist – Wasserqualität, Nahrungskette, Klima.“ Normalerweise sei das Ökosystem im Gleichgewicht, das Netz hänge entspannt. Wenn aber an nur einem einzigen Faden gezogen werde, habe das Auswirkung auf das ganze System.“
Erst erforschen, dann schützen
In der heutigen Zeit würden viele Faktoren auf einmal ziehen. Klimawandel, invasive Arten, Nährstoffrückgang oder die menschliche Nutzung sind nur Beispiele, die alle zugleich auf den See einwirkten. Es sei leicht vorstellbar, dass dies starke Auswirkungen auf das Ökosystem haben muss. Umso schwieriger sei es aber, die Art von Auswirkungen und das Ausmaß in diesem komplexen Zusammenspiel vorherzusehen.
„Die Grundlage, um solche Vorgänge überhaupt verstehen zu können, ist ein regelmäßiges, standardisiertes Monitoring“, erklärt die für das Projekt verantwortliche Biologin Barbara Scholz von der FFS „Wir müssen wissen, wie sich der Fischbestand mit der Zeit entwickelt, ob sich die Artenzusammensetzung verschiebt, welche Arten profitieren und welchen Arten es weniger gut geht. Erst dann kann man potenzielle Gründe und daraufhin Schutzmaßnahmen etablieren.“
Schon 2014 viele Stichlinge
Das Vorhaben in diesem Herbst dient laut Mitteilung gleich mehreren Zwecken. Zum einen sollen die Daten mit der Bestandsaufnahme von 2014 abgeglichen werden, um herauszubekommen, ob sich in der Zusammensetzung der Arten etwas verschoben hat. Ob sich beispielsweise die hohe Stichlings-Population im Freiwasser seitdem verändert hat. Solche quantitativen Daten seien nur bei einer standardisierten Methode genau zu erfassen. Aufgrund der sehr schlechten Entwicklung in der Fischerei wird auf den Felchen-Nachwuchs und die Trüschen-Population besonderes Augenmerk fallen.
Außerdem ist bei der Kampagne mit einem Methodenversuch der Zwiespalt des enormen finanziellen und personellen Aufwands und der Notwendigkeit eines regelmäßigen Monitorings für die Zukunft angesprochen. Die Frage dazu lautet: Ist es möglich, durch spezielle Modifikationen der Netze und des Befischungsdesigns den Aufwand für die Zukunft auf ein praktikables Maß zu reduzieren?
Projekt Seewandel
Die Befischungskampagne und die Auswertung der Daten ist Teil von „Seewandel: Leben im Bodensee – gestern, heute und morgen“. Dabei handelt sich um ein internationales Großprojekt rund um den Bodensee, das zu großen Teilen Mittel aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung erhält sowie Fördergelder vom Schweizer Bund und den Kantonen, im Rahmen des Interreg V-Programms „Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein (Deutschland/Österreich/Schweiz/Liechtenstein)“. Informationen unter www.seewandel.org