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Umweltaktivisten

Klimacamp gegen Flächenfraß: Radikale Waldbesetzer ziehen nach Kressbronn

Kressbronn / Lesedauer: 6 min

Seit zweieinhalb Jahren besetzen Aktivisten Teile des Altdorfer Waldes. Jetzt ziehen sie für zwei Tage nach Kressbronn. Das ist geplant.
Veröffentlicht:23.10.2023, 19:00

Von:
  • Alexander Tutschner
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Eigentlich nur eine Formalie ist die endgültige Verabschiedung des Regionalplans am Mittwoch in Kressbronn durch die Verbandsversammlung. Nicht so für die Mitglieder verschiedener Umwelt-Initiativen, die mit einem zweitägigen Protest-Camp und zwei Demonstrationen ihren Unmut über die Planungen des Regionalverbandes Bodensee-Oberschwaben kundtun und Haltung zeigen wollen.

Bosch benennt „Klimahöllenplan“

„Der Plan ist nicht vereinbar mit unserer Zukunft, weil der Flächenverbrauch viel zu hoch ist“, sagt der Ravensburger Samuel Bosch (20), der das Klimacamp vor der Kressbronner Festhalle zusammen mit anderen Aktivisten organisiert. Zwar verweist Bosch auf die Fraktion der Grünen, die wohl angekündigt hat, gegen den Plan zu stimmen. Man sei aber auch nicht naiv, man werde wohl die Mehrheit in der Versammlung mit dem Protest nicht umstimmen können.

Aus einem Gewerbegebiet bei Hirschlatt wird erstmal nichts. Die Fläche wurde nicht im Regionalplan hinterlegt. (Foto: fey)

Es gehe viel mehr darum, „ganz viel Öffentlichkeit zu schaffen“, wie er sagt, und die Menschen darauf hinzuweisen, was von den Mitgliedern der Versammlung beschlossen wurde. „Ein Klimahöllenplan“ seiner Meinung nach.

Ein Klimacamp ähnlich dem von Horgenzell im Jahr 2021 haben Aktivisten für die Regionalversammlung in Kressbronn angekündigt. (Foto: privat)

Aktivisten wohnen in Baumhäusern

Bosch ist bekannt als zentrale Figur der Protestbewegung gegen den im neuen Regionalplan vorgesehenen Kiesabbau im Altdorfer Wald. Seit zweieinhalb Jahren besetzen die Aktivisten ein Stück Wald bei Oberankenreute, 100 Besetzer und 100 Unterstützer gehören der Bewegung laut Bosch an.

Der Kiesabbau im Altdorfer Wald ist ein zentraler Kritikpunkt beim Regionalplan. (Foto: Elke Obser)

Dauerhaft seien immer rund 15 von ihnen vor Ort, Sommer wie Winter, Tag und Nacht. Die Aktivisten wohnen in Baumhäusern, gerade haben sie hier einen 800 Kilogramm schweren bemalten Wohnwagen in sieben Metern Höhe zwischen zwei Buchen gezogen und festgeklemmt.

Auf der grünen Wiese nahe der Autobahn bei Kißlegg soll das interkommunale Gewerbegebiet Ikowa entstehen. Nun wurde eine Diskussion über einen alternativen Solarpark angestoßen. (Foto: Archiv/Pau)

„Wir bleiben hier so lange bis der Altdorfer Wald gerettet ist.“ Am Dienstag und Mittwoch verlassen Bosch und seine Mitstreiter den Wald und protestieren in Kressbronn. Das Klimacamp soll eine Plattform sein für mehrere Aktionen. Direkt vor der Festhalle Kressbronn, wo die Verbandsversammlung am Mittwoch um 13 Uhr tagt, stellen die Aktivisten bereits am Dienstag vier Zelte auf, etwa zehn von ihnen schlafen hier, „um da zu sein, als Zeichen des Protests“, wie Bosch sagt.

Pfeifkonzert und Sprüche

Bosch erwartet dann rund 30 Aktivisten am Mittwoch. Die Mitglieder der Versammlung dürfen sich auf aussagekräftige Banner, ein Pfeifkonzert und Sprüche gefasst machen, wenn sie die Halle betreten und sie verlassen. Bosch will aber auch den Austausch suchen mit Interessierten, Ansprechpartner sein für die Menschen in Kressbronn. Das Klimacamp beginnt am Dienstag um 15 Uhr und endet am Mittwoch um 20 Uhr. Es ist laut Bosch eine angemeldete Versammlung, alle seien willkommen, „die sich gegen den Regionalplan engagieren“.

Zwei Demos angemeldet

Zusätzlich findet bereits am Dienstag von 17 bis 18.30 Uhr ein Demonstrationszug durch Kressbronn statt. „Wenn der Regionalplan so umgesetzt wird, bedeutet das, dass unzählige wertvolle Flächen zerstört werden. Das müssen wir verhindern“, sagt dazu die Aktivistin Ulla Köberle-Lang (55) aus Oberankenreute laut einer Pressemitteilung.

Sie ist laut Bosch Anwohnerin einer möglichen Kiesgrube und hat die Demonstration am Mittwoch in Kressbronn angemeldet. Eine weitere Demo gegen den Regionalplan hat der Verein Pro-Natur Vogt Waldburg angekündigt für den Zeitraum 10 bis 18 Uhr am Mittwoch. Der Verein ist gegen Torfabbau und setzt sich für Moorschutz ein.

Polizei zeigt Präsenz

„Wir bereiten uns entsprechend vor“, kündigt Oliver Weißflog, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Ravensburg, an. Es sei ein größerer Kräfteeinsatz geplant. Störungen der Versammlung könnten nicht ausgeschlossen werden. Die Polizei werde sichtbar sein.

Daran appelliert der Bürgermeister

„Hier wird ein Grundrecht ausgeübt, das ist absolut legitim“, sagt Kressbronns Bürgermeister Daniel Enzensperger. „Ich appelliere aber an die Versammlungsteilnehmer, sich an die Auflagen zu halten und friedlich zu demonstrieren.“

Heine verteidigt Kompromiss

„Der Regionalplan stand in der Diskussion wegen den Themen Kiesabbau und Flächenverbrauch“, sagt der Direktor des Regionalverbands Bodensee-Oberschwaben, Wolfgang Heine, „aber wir haben die Themen sauber abgearbeitet“. Am Ende sei das Ergebnis ein Kompromiss, denn es müsse künftig auch gewerbliche Entwicklung möglich sein und Wohnraum geschaffen werden.

Im Regionalplan wird festgelegt, wo im Verbandsgebiet (Landkreise Sigmaringen, Ravensburg und Bodenseekreis) bis etwa 2035 Wohn- und Gewerbegebiete entstehen, wo Rohstoffe abgebaut werden dürfen und welche Flächen für Straßen und Bahnstrecken benötigt werden. Auf der anderen Seite werden Flächen festgelegt, auf denen der Naturschutz Vorrang hat.

Ministerium gibt grünes Licht

Der aktuell noch gültige Plan stammt aus dem Jahr 1996. Er wurde vom Regionalverband Bodensee-Oberschwaben unter Heines Vorgänger Wilfried Franke in einem langjährigen Verfahren auch unter Beteiligung der Kommunen fortgeschrieben. Im Juni 2021 wurde er von der Regionalversammlung beschlossen. Rund zwei Jahre wurde das Werk dann vom Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen in Stuttgart geprüft und im September 2023 im Wesentlichen für gut befunden.

Neuer Beschluss nötig

Vier geplante Gewerbegebiete wurden aber nicht genehmigt: Friedrichshafen-Hirschlatt, Kißlegg-Waltershofen, Leutkirch-Riedlings und Pfullendorf-Wattenreute, ebenso ein Rohstoffabbaustandort (Kalksteinabbaugebiets Mittelberg Beuron im Oberen Donautal). Wegen dieser Änderungen ist jetzt noch einmal ein Beitrittsbeschluss der Verbandsversammlung nötig. Die Zustimmung der Versammlung gilt als sicher. „Wir treten dem Beschluss des Ministeriums bei“, sagt Heine.

In der aktuellen Version des Regionalplans sind laut Regionalverband 2380 Hektar Land als Potenzialflächen hinterlegt: 1000 für Wohnen, 1080 für Gewerbe und 300 für den Verkehr. Neu ausgewiesen werden davon vom Regionalverband 750 Hektar, der Rest ist auf kommunaler Seite bereits aufgenommen. Dazu kommen 625 Hektar für den Rohstoffabbau.

Fraktionen haben das Wort

Der Verbandsdirektor will am Mittwoch keinen großen Bericht vorlegen, sondern nur die Veränderungen vorstellen. Alle Fraktionen können nochmal eine Erklärung abgeben. Wenn die Versammlung den Beschluss fasst, gibt es eine öffentliche Bekanntmachung im Staatsanzeiger in der ersten Novemberhälfte, dann ist der Regionalplan gültig.

Plan ist rechtmäßig

„Es ist das gute Recht jeder Person und Gruppierung, darauf aufmerksam zu machen, dass man andere Vorstellungen über Regionalplanung und Flächeninanspruchnahme hat“, sagt Heine zu den angekündigten Demos. Der Regionalplan sei in einem Rechtsverfahren auf Basis der einschlägigen Rechtsgrundlagen zustande gekommen und mehrheitlich beschlossen worden. „Der Regionalverband sieht sich durch die Genehmigung des zuständigen Ministeriums in der Rechtmäßigkeit seiner Vorgehensweise bestätigt.“