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Hilfe und Herzlichkeit an Gleis 1

Redakteur packt mit an: Wie ist die Arbeit in der Bahnhofsmission?

Friedrichshafen / Lesedauer: 7 min

Am Stadtbahnhof in Friedrichshafen befindet sich die Anlaufstelle für Hilfsbedürftige. Florian Peking arbeitet einen Tag lang mit – und bekommt emotionale Einblicke.
Veröffentlicht:17.09.2023, 19:00

Von:
  • Florian Peking
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Freitagmorgen, am Gleis 1 des Stadtbahnhofs in Friedrichshafen: Im kleinen Häuschen der Bahnhofsmission haben es sich schon zwei Gäste bequem gemacht.

Angelika Zanzinger kommt aus der Küche und serviert Kaffee, Tee und Butterbrezeln. „Morgens kommen viele fürs Frühstück vorbei“, sagt die Leiterin der Friedrichshafener Bahnhofsmission.

Das Essen — belegte Brötchen, Brezeln und mehr — hat Angelika Zanzinger zuvor in der örtlichen Filiale der Imbisskette „Yormas“ im Stadtbahnhof abgeholt. Diese spendet täglich an die Bahnhofsmission Ware vom Vortag.

Man muss gern Kontakt mit Menschen haben.

Angelika Zanzinger

Nach einem kurzen Plausch mit den Gästen hat Angelika Zanzinger Zeit, mich — ihren übergangsweise neuesten Mitarbeiter — einzuweisen. Ich will ihr einen Tag lang über die Schulter schauen und erfahren, was die Arbeit in der Bahnhofsmission ausmacht.

„Man muss gern Kontakt mit Menschen haben“, sagt die Bahnhofsmission–Chefin, während sie mir eine blaue Weste der Einrichtung aushändigt. Gut mit Menschen können alle aus dem Team der Einrichtung am Stadtbahnhof.

Es besteht aus rund einem Dutzend Ehrenamtlern — und aus zwei hauptamtlichen Mitarbeitern, von denen eine Angelika Zanzinger ist. „Wir sind immer auf der Suche nach weiteren Helfern“, sagt sie.

In der Küche bekomme ich weitere Instruktionen. „Ganz wichtig: Händewaschen. Denn wir haben hier mit Lebensmitteln zu tun“, so Angelika Zanzinger. Und dann darf ich auch schon meinen ersten Kaffee servieren.

Eine Frau holt ihr einziges Essen für den Tag

Ein mal mit Milch und drei Löffeln Zucker. Die meisten, die vorbeikommen, wissen genau, was sie wollen. So wie Stammgast Johannes (sämtliche Namen von Gästen der Bahnhofsmission wurden von der Redaktion geändert). „Er ist eigentlich nicht bedürftig, kommt aber trotzdem regelmäßig vorbei. Hier entstehen eben auch viele Freundschaften“, berichtet Angelika Zanzinger.

Beim Großteil der Gäste handelt es sich aber durchaus um hilfesuchende Menschen. Für sie ist die Bahnhofsmission eine wichtige Anlaufstelle und ein Treffpunkt. Wie für Clara, einer älteren Frau. Sie fragt mich, nachdem sie ihre erste Käsebrezel gegessen hat, ob sie noch eine weitere haben kann. „Weißt du, das ist das einzige, was ich heute essen werde“, sagt sie.

Doch natürlich geht es nicht nur um Essen und Trinken. An dem Tisch im Häuschen oder vor dem Gebäude kommen Menschen zusammen. Sie besuchen die Bahnhofsmission, um einfach ein bisschen Zeitung zu lesen, Gespräche zu führen — und in vielen Fällen auch, um nicht allein zu sein. Es ist herrscht eine herzliche und bisweilen humorvolle Atmosphäre.

Obdachloser berichtet vom Leben auf der Straße

Gerade kam Michael vorbei, ein Mann ohne Wohnung. Er erzählt mir von seinem Leben auf der Straße. Und davon, dass es ihm in Friedrichshafen eigentlich ganz gut gehe. „Ich habe meinen festen Platz und der ist trocken. Das ist das Wichtigste.“

In der Stadt, in der er zuvor lebte, habe es viel häufiger Ärger gegeben. Er kümmere sich außerdem gerade darum, einen Platz in der Obdachloseneinrichtung Herberge zu bekommen.

Zwischendurch klingelt immer wieder das Telefon in der kleinen Küche, die zugleich das Büro der Bahnhofsmission ist. „Das war ein junger Mann, der gestern wohl eine obdachlose Frau kennengelernt hat und ihr helfen will“, sagt Angelika Zanzinger nach dem Telefonat.

In der kleinen Küche der Bahnhofsmission sortiert Florian Peking die Essensspenden. (Foto: Angelika Zanzinger )

Er wolle sich mit der Frau bei der Bahnhofsmission treffen und hoffe, die Anlaufstelle könne ihr einen Überblick über die Hilfsangebote in der Stadt geben. „Wir vermitteln oft weiter, zum Beispiel an die Herberge oder an die Arkade“, erklärt Angelika Zanzinger.

Kurz darauf kommt der Mann vorbei. Und auch die Frau taucht auf — gemeinsam mit ihrem Partner. Beide stammen aus Rumänien und sind obdachlos. In gebrochenem Englisch fragt die Rumänin, ob sie hier irgendwo schlafen kann. Ihre Müdigkeit sieht man ihr an.

Doch Schlafplätze hat die Bahnhofsmission nicht — dafür gäbe es auch gar keinen Platz. Kaffee und Brezeln nimmt das Paar aber dankbar an. Und dann erklärt Angelika Zanzinger den beiden auf Französisch — es stellt sich heraus, dass sie diese Sprache etwas besser sprechen — und mithilfe eines Stadtplans, wie sie zur Herberge kommen.

Auch Reisenden wird geholfen

Als zwischendurch am Häuschen nicht besonders viel los ist, schlendern meine Chefin und ich an den Gleisen entlang und durchs Bahnhofsgebäude. Denn auch Reisenden helfen die Mitarbeiter der Bahnhofsmission weiter.

„Wissen Sie, wann der nächste Zug zum Flughafen fährt?“, fragt eine Frau mit Rollkoffer, die offensichtlich auf Reisen ist. Angelika Zanzinger hat schon ihr Smartphone parat, das die nötigen Informationen liefert.

Ich packe derweil bei einer Rentnerin mit an, die ihr Fahrrad die Treppen zu Gleis 3 hoch manövrieren will. „Gerade im Sommer sind natürlich viele mit ihren Rädern und E–Bikes unterwegs — oder auch mit Kinderwagen. Wenn es gerade passt, helfen wir da gern“, sagt Angelika Zanzinger.

Eine selbstlose Geste, die berührt

Auf dem Weg zurück zur Bahnhofsmission erzählt mir die Chefin eine Anekdote, die verdeutlicht, wie viel die Einrichtung ihren Gästen bedeutet. Letztens sei ein obdachloser Mann zum ersten Mal da gewesen und habe die Hilfe in Anspruch genommen.

„Am Tag darauf kam er wieder, drückte mir das komplette Kleingeld, das er an diesem Tag gesammelt hat, in die Hand und sagte: ’Ihr könnt es doch brauchen’“, berichtet sie. Ich merke, wie ich einen Kloß im Hals bekomme — die selbstlose Geste rührt mich.

Als Leiterin der Bahnhofsmission gehört zu den Aufgaben von Angelika Zanzinger auch eine Menge Papierkram. (Foto: Florian Peking)

Spenden sind ohnehin ein großes Thema — denn für ihre Arbeit ist die Bahnhofsmission auf solche angewiesen. Wenig später klopft es an der Tür des Büros und als die Leiterin sie öffnet, drückt ihr eine Frau unvermittelt einen 20–Euro–Schein in die Hand.

„So etwas kommt immer wieder vor“, berichtet Angelika Zanzinger. Viele Menschen, Firmen, Vereine und Einrichtungen in Friedrichshafen würden die Arbeit der Bahnhofsmission sehr schätzen. „Das freut uns natürlich“, sagt sie.

Die Bahnhofsmission hat Montag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr geöffnet. Die Mitarbeiter arbeiten in zwei Schichten pro Tag — eine am Morgen und eine am Nachmittag. Am Mittag kommt Willibald Fröhlich, um Angelika Zanzinger und mich abzulösen.

Wie viele im Team ist er schon seit vielen Jahren als ehrenamtlicher Helfer dabei. Und so ist es nicht verwunderlich, dass er sofort mit einem Stammgast ins Gespräch kommt — während Angelika Zanzinger und ich Feierabend machen.