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Proteste nach DGH–Drama? 250 Mitarbeiter arbeitslos — Kritik an der Stadt

Friedrichshafen / Lesedauer: 6 min

Die Betriebsratsvorsitzende hält Proteste vor dem Rathaus möglich. Die IG Metall spricht von einem Drama. Wie die Stadt dem Traditionsunternehmen hätte helfen können.
Veröffentlicht:06.04.2023, 19:02

Von:
  • Alexander Tutschner
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Beim Friedrichshafener Traditionsbetrieb DGH Sand Casting gehen zum Jahresende endgültig die Lichter aus: Die 250 Mitarbeiter des Automobilzulieferers verlieren ihre Jobs, weil kein Investor für das seit Juni 2022 insolvente Unternehmen gefunden wurde. Das teilte Insolvenzverwalter Franz–Ludwig Danko am Donnerstag mit.

Die Betriebsratsvorsitzende Gabriele Süss–Köstler beklagt sich über mangelnde Unterstützung seitens der Stadt Friedrichshafen und hält Proteste der Mitarbeiter für möglich.

„Für Friedrichshafen, den industriellen Standort hier und die Beschäftigten ist das ein Drama“, sagt Helene Sommer, die Erste Bevollmächtigte der IG Metall Friedrichshafen–Oberschwaben. Sie hofft aber, dass die DGH–Beschäftigten aufgrund der guten Arbeitsmarktlage schnell wieder ordentliche Jobs bekommen.

Schwierige Vorgeschichte

Sommer verweist im Gespräch mit der SZ auf die schwierige Vorgeschichte des Unternehmens, das zuvor als MWS Friedrichshafen firmierte, und davor lange als Zeppelin–Gießerei, MB Guss und Georg Fischer in der Region bekannt war.

In der MWS–Zeit habe bereits Insolvenz angemeldet werden müssen, nicht wegen des Standorts in Friedrichshafen, sondern wegen eines Schwesterwerks in München.

Nach zwei Jahren Insolvenzverwaltung, in der wenig investiert worden und Kundenakquise schwierig gewesen sei, sei man froh gewesen, einen Investor gefunden zu haben.

Seit Juni 2022 insolvent

Das amerikanische Investmentunternehmen Oak Hill Advisors hatte MWS 2018 übernommen, die Firma hieß ab sofort DGH Sand Casting. Die Lage sei weiter schwierig gewesen, auch wegen der Corona–Pandemie und der Energiepreissteigerung.

„Der Gießerei–Industrie in Deutschland geht es in Summe sehr schlecht“, sagt Sommer. Die Kunden im Gussbereich hätten seit Jahren die Preise gedrückt. Seit Beginn der Pandemie seien die Umsätze um rund 35 Prozent zurückgegangen, sagt Insolvenzverwalter Danko.

Der Chip–Mangel und der Krieg in der Ukraine mit seinen Auswirkungen auf Lieferketten und Energiepreise hätten die Situation verschärft. Im Juni 2022 hatte das Unternehmen erneut Insolvenz angemeldet.

Kein Investor gefunden

„In den vergangenen Monaten wurde jede Anstrengung unternommen, nochmal einen Investor zu finden“, sagt Helene Sommer. Das sei jetzt leider nicht gelungen.

Der Insolvenzverwalter hatte laut der Mitteilung die rund 250 Mitarbeiter bereits im März über den Rückzug des letzten Übernahme–Interessenten informiert und sich mit dem Betriebsrat auf einen Interessenausgleich und Sozialplan geeinigt.

So richtig verstehen tun es die Leute, wenn sie die Kündigung in die Hand gedrückt bekommen.

Betriebsratsvorsitzende Gabriele Süss–Köstler

Die Beschäftigten hätten inzwischen ihre Kündigungen erhalten. Dass es schlecht läuft, sei schon länger bekannt, sagt dazu die Betriebsratsvorsitzende Gabriele Süss–Köstler. „So richtig verstehen tun es die Leute, wenn sie die Kündigung in die Hand gedrückt bekommen.“

Enttäuscht von der Stadt

Einige wollten es dennoch nicht wahrhaben und könnten nicht fassen, dass das Traditionsunternehmen am Ende ist. „Manche sind noch nicht bereit, Lebensläufe zu schreiben“, sagt sie. „Wir sind sehr, sehr enttäuscht von der Stadt Friedrichshafen, dass es keine Unterstützung gab“, sagt Süss–Köstler weiter.

Sie bezieht ihre Kritik darauf, dass die Stadt ein Grundstück der Firma an der Colsmanstraße nicht kaufen wollte, obwohl man das angeboten hätte. „Das hätte uns sehr geholfen“, sagt die Betriebsratsvorsitzende, „aber null Interesse.“

Auch die Mitarbeiter seien deshalb wütend, sie hält Proteste für möglich: „Es kann auch sein, dass die übermorgen vor dem Rathaus stehen und Gas geben“, sagt sie. Aktuell habe man die Situation noch beruhigt.

Stadt bedauert Ende des Traditionsunternehmens

„Der Betriebsrat kam zwar auf die Stadt zu, ein Kauf kam aber aus mehreren Gründen nicht in Frage“, sagt Monika Blank, Sprecherin der Stadt auf Anfrage der SZ.

„Vermutlich hätte auch ein Kauf durch die Stadt die Probleme des Unternehmens nicht gelöst. Natürlich bedauern wir das Ende des traditionsreichen Unternehmens, insbesondere für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beginnt nun eine schwere Zeit. Wir hoffen, dass es gelingt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als Fachkräfte in der Region zu halten und sie mit ihren Familien hier neue Perspektiven finden.“

Aufruf an Betriebe der Region

Der Geschäftsbetrieb wird laut Danko spätestens zum Jahresende eingestellt. Der Insolvenzverwalter ruft gemeinsam mit dem Betriebsrat Unternehmen in der Region auf, Bewerbungen von DGH–Beschäftigen zu berücksichtigen.

In Summe ist die Arbeitsmarktsituation eher günstig

Helene Sommer, IG Metall Friedrichshafen–Oberschwaben

Die Mitarbeiter hätten den ganzen Leidensweg zuletzt mitgemacht, sagt Sommer dazu und auf erhebliches Entgelt verzichtet. Seitens der IG Metall versuche man jetzt, entsprechende Stellen zu vermitteln und die Mitarbeiter mit Bewerbungstraining zu unterstützen.

„In Summe ist die Arbeitsmarktsituation eher günstig“, sagt die Gewerkschafterin, da aktuell viele Kräfte gesucht würden.

Arbeitsbörse

Im Unternehmen wurde laut der Mitteilung eine Arbeitsbörse eingerichtet, auf der Job–Angebote veröffentlicht werden. Wichtig sei, dass die Leute jetzt nicht in prekären Beschäftigungsverhältnissen landen, sondern dass sie „ordentliche Arbeitsplätze bei tarifgebundenen Unternehmen bekommen“, sagt Sommer.

„Die Beschäftigten der DGH Sand Casting sind nicht nur überwiegend sehr gut qualifiziert, sondern auch sehr engagiert und erfahren. Ich kann nur jedem Unternehmen empfehlen, sich deren Bewerbungen anzuschauen“, sagt Insolvenzverwalter Danko.

Ausproduktion in drei Stufen

Im Rahmen des Sozialplans habe es wegen der Insolvenz nicht mehr viel zu verteilen gegeben. Dennoch würden aktuell noch Prämien bezahlt, damit die Beschäftigten, die für die Auslaufproduktion gebraucht würden, noch bleiben, sagt Sommer.

Ausproduktion und Stilllegung des Geschäftsbetriebs am Standort erfolgen laut Danko in drei Stufen. Zunächst werde die Gießerei bis Ende Juni den Betrieb einstellen. Bis zu diesem Zeitpunkt werden alle Gießerei–Aufträge abgearbeitet.

Die mechanische Bearbeitung schließe Ende Juli. Darüber hinaus werde noch ein Team am Standort mit Restarbeiten beschäftigt sein. Dazu zählen unter anderem Auslieferung, Abholung sowie die Abwicklung der restlichen Kundenaufträge. Spätestens zum Jahresende werde der Betrieb vollständig stillgelegt.

37,8 Millionen Euro Umsatz

DGH Sand Casting fertigt laut Mitteilung in Friedrichshafen Aluminium–Sandguss–Teile für Anwendung in der Automobilindustrie sowie in der Energie– und Wärmetechnik.

Zu den Produkten gehören demnach etwa Leichtbau–Teile und Komponenten für Fahrwerk und Antriebsstrang sowie Wärmetauscher für Heizungssysteme.

Kunden des Unternehmens seien namhafte Unternehmen aus der Automobilwirtschaft und dem Heizungsbau. Der Jahresumsatz betrug zuletzt 37,8 Millionen Euro.