Arbeiten auf dem Bodensee

Jan Sedlatschek fährt Friedrichshafen–Romanshorn viermal am Tag

Friedrichshafen / Lesedauer: 8 min

Er ist Matrose, Steuermann und Ansprechpartner für alle. Wir durften ihm bei der Arbeit über die Schulter schauen. Mit VIDEO.
Veröffentlicht:22.08.2023, 05:00

Von:
  • Ralf Schäfer
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Die Menschen stehen dicht gedrängt im Schatten des Gebäudes, in dem auf der einen Seite die Fahrkarten der Bodensee–Schiffsbetriebe GmbH (BSB) gekauft werden können, auf der anderen Seite der Zoll seinen Sitz hat. Hier legt die Fähre „Friedrichshafen“ an, die aus der Schweiz kommt, da ist eine Zollkontrolle nötig.

Und hier geht auch an diesem Tag Jan Sedlatschek an Bord der Fähre. Er ist Binnenschiffer und arbeitet auf dem Weg zu seinem Traumjob als Schiffsführer derzeit als Steuermann oder Kassiermatrose auf dem Kurs Friedrichshafen–Romanshorn — wir begleiten ihn.

„Das beste an den Job ist, dass wir immer mit ganz vielen Menschen zu tun haben“, sagt Jan Sedlatschek und zeigt den Radfahrern, wo sie ihre Räder hinstellen können. Autos, Fahrräder und Menschen, die aus Romanshorn kommen, verlassen langsam das Schiff, Fußgänger und Radfahrer dürfen als erstes von Bord gehen.

Fachkräftemangel auf den Schiffen

Jan Sedlatschek ist einer von 196 Mitarbeitern der BSB, die auf 15 Schiffen der BSB Dienst tun. Auch hier gibt es einen Fachkräftemangel, den die BSB zu spüren bekommt. Das betrifft laut Christopher Pape, Sprecher der BSB, sowohl die saisonalen Aushilfskräfte an den Schaltern, Landestellen und in den Häfen als auch das nautische und technische Fachpersonal.

Der Frauenanteil bei der BSB lag im vergangenen Jahr bei 20,7 Prozent, in den nautischen Funktionen leider nur bei fünf Prozent, so die BSB. Für 2024 werden wieder bis zu sechs Ausbildungsstellen angeboten: „Auch Facharbeitende aus den Bereichen Mechanik/Mechatronik/Elektrik mit Lust auf Schifffahrt sind als Quereinsteiger genauso herzlich willkommen wie Beschäftigte, die eine saisonale Tätigkeit während der Dauer des Schifffahrtsbetriebes vom Mitte März bis Oktober suchen“, sagt Christopher Pape.

Einweisung durch das Personal

Die Passagiere haben die Fähre verlassen, die anderen warten darauf, sie zu betreten. Ein Mann nur mit kleinem Rucksack und Thermosflasche hat lange Zeit unmittelbar am Anleger in der Sonne gestanden, ihm kommt es offenbar darauf an, gleich einen guten Platz an Bord in der Gastro zu bekommen. Er ist nun einer der ersten, der die Treppe aufsteigt. Nach den Rädern und Fußgängern rollen die ersten Autos auf die Fähre.

Die Fähre fährt in den Friedrichshafener Hafen ein. (Foto: Daniel Windmüller)

Sie werden von Jan Sedlatschek und einem Kollegen eingewiesen. Es sind viele, daher achtet die Besatzung gleich darauf, dass sie eng auf allen drei Spuren stehen und wenig Platz verloren geht. Jan Sedlatschek beginnt, zu kassieren. Länge des Autos und Anzahl der Fahrgäste sind entscheidend für den Preis. Und genau da muss er einiges unterscheiden.

Die Suche nach dem besten Preis

Er hat keinen Barcode, den er scannen kann und der ihm dann den Preis auswirft. Jan muss in diesem Fall nicht nur selbst rechnen, sondern auch immer den besten Preis im Sinne der Passagiere nutzen. Steht da zum Beispiel ein knapp über sechs Meter langes Wohnmobil mit zwei Personen, kann es sein, dass der Ticketpreis günstiger ist, wenn er das Fahrzeug als Lkw einordnet. Lkw–Beifahrer fahren kostenfrei mit der Fähre. Außerdem muss er beachten, dass es Schweizer Ticket– und Kartensysteme gibt, die in Deutschland nicht gelten.

Johannes Oesterle aus Reutlingen braucht ein besonderes Ticket, weil er mit einem anderen Schiff zurückfahren möchte. (Foto: Ralf Schäfer)

Nach dem Fahrzeugdeck geht es in die obere Etage, wo die Radler und Fußgänger sitzen. Und auch da kommt es immer wieder zu Besonderheiten. Johannes Oesterle aus Reutlingen will heute mit seinen beiden Kindern und seiner Frau nach Romanshorn, von dort mit den Rädern weiter und dann von Konstanz Richtung Meersburg wieder mit der Fähre zurück fahren. Klingt einfach, wenn nicht die Fähre Meersburg–Konstanz in Händen des Stadtwerkes Konstanz wäre und wir hier an Bord eines BSB–Schiffes sind. Macht aber nichts, weil es dafür ein Sonderticket gibt.

Sonderwünsche sind machbar

Da nun aber eines der Kinder der Familie einen Ausweis für Menschen mit Behinderung besitzt, macht Jan Sedlatschek den Vater darauf aufmerksam, dass nur der Junge zahlen muss, eine erwachsene Begleitperson dafür frei sei. Und das Fahrrad des Jungen gelte in dem Moment als „Gehhilfe“ und sei ebenfalls frei. Die Familie freut sich, Jan Sedlatschek hat nur seine Arbeit getan.

„Wir erleben hier immer wieder besondere Situationen“, erzählt er. Die meisten Menschen seien dankbar, wenn die Besatzung der Fähre sie berät und ihnen den besten Weg zeigt. „Die sind hier in der Regel auch auf dem Weg in den Urlaub, wenn sie nach Romanshorn fahren. Oder entspannt aus dem Urlaub, wenn sie zurückkommen“, sagt er.

Lob für den Schiffsführer

Oder es sind Berufspendler, wie die Schweizerin aus Thurgau, die bei der Ausfahrt aus dem Friedrichshafener Hafen dem Schiffsführer beinahe Beifall klatscht. Nur handbreit ist er auf der Backbordseite an der Mole vorbei gefahren, das Heck des Schiffs ist weder ausgebrochen, noch schrammte es an der Mole entlang.

Bevor Jan Sedlatschek den Weg nicht freigibt, fährt niemand von der Fähre. Zuerst sind Fußgänger und Radfahrer an der Reihe. (Foto: Ralf Schäfer)

Später zeigt sich der gelobte Schiffsführer darüber dankbar und erklärt, dass es einfacher sei, mit dem Bug eng an der Mole entlang zu fahren, als später mit dem Heck Probleme zu bekommen. „Der Mann ist klasse, der schafft das jedes Mal und super genau“, lobt die Schweizerin. Sie kennt die Fähre schon länger.

Datensammeln ist wichtig

Jan Sedlatschek ist mit dem Abkassieren bei den Passagieren nach Romanshorn fertig, der Schweizer Hafen schon greifbar nah. Der Kassiermatrose muss nun seine Tickets sortiert nach Fahrzeug und Personenzahl ins Bordbuch eintragen, die BSB hat damit alle Daten über die transportierten Gäste parat. Aber nicht nur dafür ist die Statistik wichtig.

„Wir müssen immer wissen, wie viele Menschen hier an Bord sind“, sagt Sedlatschek. Im Notfall sei diese Angabe wichtig. Notfälle aber sind auf der Fähre selten. Viel eher kommt es vor, dass die Besatzung einer Fähre oder auch eines Kursschiffes der BSB anderen in Not hilft.

Jeder Handgriff sitzt

„Das wird regelmäßig von uns auch geübt, wir müssen stets in der Lage sein, anderen Schiffen auf dem See zu helfen“, erzählt er, während die Fähre im Romanshorner Hafen auf den Anleger zusteuert. Sedlatschek und sein Kollege, der heute Steuermann ist, bereiten das Anlegen vor.

Die Fähre fährt in den Romanshorner Hafen ein. (Foto: Daniel Windmüller)

Hier sitzt jeder Handgriff, korrekt und vermeintlich vollautomatisch legt das Schiff an und das Deck wird zur Verlängerung der Straße am Ufer. Automatisch aber geht hier nichts. Verantwortlich für die Routine sind die drei Besatzungsmitglieder.

Zahl der Fahrräder steigt

Und die Rückfahrt scheint ruhiger zu sein, zumindest sind es nur drei Autos, die auf die Fähre wollen. Dafür aber sehr viele Fahrradfahrer. „Die Zahl der Radfahrer nimmt stetig zu“, sagt Jan Sedlatschek. Ein Blick in die Statistik der BSB bestätigt das. Waren es 2018 noch 25.000 Räder, sind es 2022 bereits knapp 30.000 Fahrradfahrer, die die Fähre genutzt haben.

Beim Anlegen muss die Fähre gut vertäut sein. (Foto: Ralf Schäfer)

Dabei sind das nur die Zahlen, die der BSB vorliege. Und das ist nur die Hälfte der Wahrheit. Die Schweizerische Bodensee Schifffahrt (SBS), die die Fähre „Romanshorn“ betreibt und mit den BSB zusammen die „Euregia“ fahren lässt, hat vergleichbare Zahlen. 2019 fuhren mit den Schweizern rund 24.000 Radfahrer, 2022 waren es schon über 31.000 Räder, die transportiert wurden.

Passagierzahlen gehen zurück

Das bedeutet aber nicht, dass die Gesamtpassagierzahlen steigen. Nur die Transportmittel wechseln. 2019 haben BSB und SBS 547.144 Passagiere befördert, 2022 nur noch 464.800. Die Zahl der Pkw ist von rund 54.000 im Jahr 2019 auf gut 44.000 im vergangenen Jahr gesunken. Doch auch die Zahl der Lkw ging zurück. hier waren es 2019 noch 7111, im Jahr 2022 nur noch 5519.

Am Fahrpreis kann es nicht liegen, meint Jan Sedlatschek. Die Passagiere staunten oft über den Preis, wenn ein Pkw mit zwei Personen 41 Euro für die einfache Fahrt kostet. Sie würden das oft mit der Fähre Kosntanz–Meersburg vergleichen. „Die fährt aber auch deutlich kürzere Wege. Auf die Minute gerechnet, ist diese Fähre hier preiswerter“, sagt der Kassiermatrose, der das Schiff zum Anlegen in Friedrichshafen vorbereitet.

Beginn des Urlaubs

„Das hier sind die ersten 45 Minuten Urlaub, die die Leute erleben“, sagt er und zieht das Stahltau fest. Und das ist besser, als in Bregenz im Stau zu stehen. Für Jan Sedlatschen ist eine von vier Touren an diesem Tag vorbei. Sein Dienst endet gegen 21 Uhr, wenn die letzte Fähre, die in Romanshorn um 20.24 Uhr ausläuft, wieder in Friedrichshafen angekommen ist.