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Unterhaltung

Lars Reichow teilt aus und alle bekommen etwas ab

Friedrichshafen / Lesedauer: 3 min

Ein verbaler und musikalischer Rund-um-Schlag mit Lars Reichow
Veröffentlicht:07.08.2022, 15:31

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Seichte Unterhaltung, Denkanstöße und jede Menge Musik. Letzteres mal poetisch, mal kritisch und gewürzt mit einer guten Portion Sarkasmus. Lars Reichow war mit seinem neuen Programm „Ich!“ im großen Zelt des Kulturufers. Die Selbstwahrnehmung und den Egoismus hat der Mainzer Humanist in den Mittelpunkt seiner Show gestellt. Ferner gab es die Trumps , Johnsons und Putins dieser Welt, einen kleinen Blick auf die Bundespolitik, einen großen auf Europa und einen eindrucksvollen musikalischen auf Amerika, dem Land der großen „Freiheit“.

Er hat Wunden aufgezeigt, humoristisch und sarkastisch erzählt und in Liedtexte verbaut. So richtig den Finger in die Wunde gelegt hat Lars Reichow jedoch sehr selten, aber schließlich ist er Comedian und hat das gehalten, was er zu Anfang versprochen hat: „Einfach einen vergnüglichen und unterhaltsamen Abend gemeinsam verbringen“. Auch das müsse in den heutigen Zeiten sein: Trotz Pandemie und Krieg. Vielleicht ist das sogar noch wichtiger als je.

Vakuum statt Schläfenlappen

Und Reichow beginnt gleich mit ein paar Spitzen, natürlich völlig reflektiert und wahrheitsgemäß, und begrüßt sein „Lieblingspublikum“, so „10 000 hier im Zelt“, frei nach dem mathematischem Verständnis eines Donald Trump, unter dessen geföhnten Koteletten sich, statt temporaler Schläfenlappen, ein Vakuum befände. Im Plauderton und kumpelhafter Manier lobt er Habeck und Baerbock, denen er diese politischen Ämter nicht zugetraut hätte. Er zieht Bundeskanzler Scholz durch den Kakao, der dann reagiere, wenn das Hinauszögern sein Ultimatum erreicht habe und beglückwünscht Karl Lauterbach als ersten Politiker, der es geschafft habe, durch ein „Talk-Show-Direktmandat“ gewählt zu werden.

Männer im Visier

Er nimmt sich und die Männerwelt ins Visier, bezeichnet sich als Merker und seine Frau als Macher, wünscht sich manchmal eine Tochter wie einen „gut gelaunten Speckmops“, den jedoch der Fitnesswahn voll im Griff hat. Er outet sich als Fan der Queen Mum, die sich den Gin quasi intravenös verabreicht habe und dennoch 101 Jahre alt geworden ist. Er mochte ihren Humor und bedauert die Tochter, die weniger durch das Amt der Königin des Commonwealth belastet sei, sondern durch die vier missratenen Kinder.

Staub auf dem Talar

Lars Reichow setzt in seinem Programm zu einem verbalen und musikalischen Rund-um-Schlag an. In jeder Ecke spickelt er ein wenig und nimmt sich diverser Themen an, die er fließend in das Programm einbaut. Die europäischen Sprachen hat er aufs Korn genommen, dass die Lachtränen flossen. Ernster wurde es beim Thema katholische Kirche, die durch Negativschlagzeilen auffalle und dennoch nicht in der Lage sei, sich den Staub jahrhundertealter Traditionen vom sakralen Talar zu wischen.

Starkes Ende

„So tief muss man sinken, dass man mit der Bearbeitung der Austrittswelle nicht mehr hinterherkommt. Die großen, alten Männer haben vergessen, die Täter in die Hölle zu schicken“. Und schließlich noch Amerika , das Land der Freiheit und der unbegrenzten Möglichkeiten. Musikalisch hat er es verarbeitet und beginnt seicht mit seinen Worten und seiner Melodie. Fast schon kitschig romantisch beschreibt er es, um im Laufe des Songs drastischer zu werden, musikalisch dramatischer und endet mit dem Röcheln des schwarzen amerikanischen Bürgers George Floyds: einem verzweifelt, dahin gehauchten „I can`t breathe“. Ein echter Gänsehautmoment und wohl das stärkste Stück des Abends.