StartseiteRegionalBodenseeFriedrichshafenLeichen, Schiffe, Autos und Bomben - was die Tiefen des Bodensees verschluckt haben

Ruheort

Leichen, Schiffe, Autos und Bomben - was die Tiefen des Bodensees verschluckt haben

Friedrichshafen / Lesedauer: 10 min

Im Bodensee ruhen jede Menge Dinge, die dort eigentlich nichts zu suchen haben. Taucher berichten von kuriosen Entdeckungen. Hinter einigen steht eine dramatische Geschichte.
Veröffentlicht:25.12.2020, 17:30

Von:
  • Stefan Fuchs
Artikel teilen:

Der Bodensee : Idyllischer Ruheort, Anziehungspunkt für Touristen, Badesee und bedeutendes Trinkwasserreservoir. Aber auch eine riesige Fläche Wasser mit bis zu 250 Metern Tiefe.  Und in dieser Tiefe sammelt sich so einiges, was dort nicht hingehört.

Hinweis: Dieser Text erschien bei Schwäbische.de erstmals im Dezember 2020.

Im Hafen sinkt ein Motorboot. (Foto: Christian Flemming/Schwäbische.de)

Eine umfassende Bestandsaufnahme darüber, was sich an Wracks, Müll und anderen Fremdkörpern im und unterm Bodensee befindet, wäre eine Aufgabe, an der ein ganzes Forscherteam über Jahre arbeiten müsste.

Zu groß und tief ist der See mit seinen 48 Milliarden Kubikmetern Wasser, zu lang die Geschichte der menschlichen Nutzung und Besiedelung. Vieles wird aber auf die eine oder andere Weise entdeckt.

Der See als letzte Ruhestätte

Die sterblichen Überreste von mindestens 99 Menschen befinden sich derzeit im See. Das ist zumindest die Zahl, die die verantwortliche Wasserschutzpolizei in Göppingen nennen kann.

"Es handelt sich dabei um vermisste Schwimmer oder verunfallte Personen, teilweise auch Suizidenten. Wir gehen in diesen Fällen davon aus, dass ihre Leichen sich im See befinden müssen", sagt Markus Zengerle, Leiter der Wasserschutzpolizei in Überlingen . Eine entsprechende Liste wird seit 1947 geführt.

Hohe Dunkelziffer

Die Dunkelziffer sei allerdings hoch, niemand wisse genau, wie viele Tote tatsächlich im See ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Für Badende ist der Bodensee nicht ungefährlich. Ein Grund dafür ist, dass im Uferbereich der Grund nach der flachen Zone steil abfällt.

In vielen Fällen können Ertrunkene geborgen werden, wie etwa im Fall eines im Juli beim Bodensee-​Megathlon verunglückten 57-jährigen Sportlers.

Ist eine Leiche allerdings erst einmal in eine Tiefe von etwa 40 bis 50 Metern abgesunken, taucht sie aufgrund des hohen Wasserdrucks meist nicht wieder auf. Zudem verlangsamt die Kälte in bis zu 250 Metern den Verwesungsprozess, der durch die Bildung von Gasen zum Aufsteigen führen würde.

Unter den Leichen im Bodensee befinden sich auch die zweier Flugzeugpassagiere, die im Jahr 1994 in einer Cessna in den Bodensee gestürzt waren.

Die Cessna nach der Bergung. Das Bergungsseil ist immer noch um den Flieger gewickelt. (Foto: Institut für Seenforschung Langenargen/Schwäbische.de)

Der Fall sorgte damals für Aufsehen, weil zuerst radioaktives Cäsium an Bord vermutet wurde. Nach der Bergung konnten diese Befürchtungen entkräftet werden.

Drei Leichen wurden geborgen. Doch der 44 Jahre alte Pilot, eine Passagierin und ein Hund blieben im See.

Schiffe auf und im See

Wer an einem sonnigen Tag auf den Bodensee blickt, sieht ein lebendiges Gewimmel aus Segelbooten, Fähren, Tretbooten und Motoryachten über die Oberfläche gleiten.

Aber auch unter den Wellen finden sich jede Menge Schiffe. "Eine genau Zahl lässt sich nicht nennen, aber wir gehen davon aus, dass Hunderte Wracks im See liegen", sagt Martin Wessels , stellvertretender Leiter des Seenforschungsinstituts in Langenargen.

Der Bodensee verfügt über sehr effektive Selbstreinigungskräfte.

Martin Wessels, stellvertretender Leiter des Seenforschungsinstituts in Langenargen

Immer wieder stoßen die Mitarbeiter des Instituts auf Überreste von Schiffen und Booten, wenn sie den Grund des Sees mit Echolot oder Sonar scannen.

Besonders bekannt ist das Wrack des Schaufelraddampfers "Jura". Er stieß im Jahr 1864 auf dem Weg von Konstanz nach Lindau mit einem anderen Schiff, der "Stadt Zürich", zusammen und sank.

Taucher am Wrack der „Jura“, das immer wieder Schauplatz tödlicher Unfälle wird. (Foto: imago/Schwäbische.de)

Heute ist das knapp fünfzig Meter lange Schiffsgerippe beliebter Anziehungspunkt für Taucher. An die Oberfläche haben es nur die Schiffsglocke, einige Flaschen, ein Manometer und der Namensschriftzug  geschafft.

Noch ein ganzes Stück älter als die "Jura", allerdings inzwischen geborgen, ist ein Einbaum, den im Jahr 2015 ein Taucher bei Wasserburg entdeckte.

Er hat immerhin schon 3.150 Jahre auf dem Bug . Damit ist das knapp sieben Meter lange, aus einem Baumstamm gefertigte Boot das älteste gefundene Wrack im Bodensee und gleichzeitig das älteste Wasserfahrzeug Bayerns.

Im Dezember 2018 entdeckten Taucharchäologen ganz in der Nähe des Fundorts den Teil eines menschlichen Schädels. Die Datierung steht noch aus, es ist aber anzunehmen, dass er von einer Frau und aus der Bronzezeit stammt. Auf der Liste der Wasserschutzpolizei taucht diese Tote also nicht auf.

Zwei Taucher entfernen das verloren gegangene Fischernetz. (Foto: Tauchteam Bodensee /Schwäbische.de)

Vor Immenstaad, der Insel Reichenau und Sipplingen wurden Schiffe aus dem Mittelalter gefunden. Das Schiff von Immenstaad wird auf das 14. Jahrhundert datiert. Heute befindet es sich allerdings nicht mehr im See, sondern im Archäologischen Landesmuseum in Konstanz.

M0014189 (Foto: Wasserschutzpolizei Überlingen)

Für die Taucher vom Tauchteam Bodensee sind Wracks im See ein beliebter Anziehungspunkt. Aber auch Maren Moldon und Thomas Wagenbreth können nicht sagen, wie viele Schiffe und Boote genau am kalten Grund liegen.

"Für uns sind vor allem die großen, schönen und alten Wracks wichtig, davon gibt es eine überschaubare Anzahl", sagt Wagenbreth. "Was aber an Tretbooten, kleinen Seglern oder Motorbooten gesunken ist, kann wahrscheinlich niemand sagen. Zumal viele davon im Sediment versinken."

P1030809 (Foto: Wasserschutzpolizei Überlingen)

Den Sportlern begegnen während ihrer Tauchgänge allerdings allerhand andere Dinge, die eigentlich nicht ins Wasser gehören.

"Besonders im Uferbereich nach der Tourismussaison finden wir Sonnenbrillen, Stühle, Müll oder Fahrräder. Davon holen wir raus, was wir finden. Je weiter es in den See hinein geht, desto weniger finden wir", sagt Maren Moldon.

Autos im See

Zu den kuriosen Fundstücken der Taucher gehören ein Tresor, Weihnachtsbäume, Munition, Verkehrsschilder, ein Brunnen, Geldbeutel, eine alte Lore und Autos.

"Allein vor Meersburg liegen drei Autowracks", sagt Moldon. In Taucherkreisen erzählt man sich, dass sie aus einer ehemaligen Werkstatt stammen. Der Besitzer habe die Fahrzeuge nach der Schließung einfach im See entsorgt.

Um welche Modelle es sich handelt, kann Wagenbreth nicht sagen. Aber: "Das sind Autos, wie sie unsere Urgroßeltern fuhren. Älter als beispielsweise ein Trabbi." Aber auch moderne Autos landen ab und zu im See - und werden wieder geborgen.

M0010214 (Foto: Wasserschutzpolizei Überlingen )

Ein Problem, das den Tauchern immer wieder begegnet, sind verlorene Fischernetze. Sie verfangen sich in Uferfelsen oder im Sediment und werden zur Lebensgefahr für Seebewohner.

Im Frühjahr 2018 barg ein Team um Maren Moldon ein solches Geisternetz vor Meersburg. In den Maschen hatten zahlreiche Fische einen grausamen Tod gefunden.

Menschliche Spuren finden sich auch in Form einer ehemaligen Torpedoversuchsanlage in Immenstaad. Wo heute Taucher die Überreste in Form von Betonblöcken und einer Bunkeranlage finden, zogen im Dezember 1943 mit Druckluft abgefeuerte Torpedos ihre Bahnen.

Es blieb allerdings beim provisorischen Betrieb. Nach dem Krieg demontierte die französische Marine das Seewerk. Im März 2017 bargen der Kampfmittelbeseitigungsdienst und die Wasserschutzpolizei einen über fünf Meter langen Testtorpedo aus dem Wasser.

Obwohl Moldon und Wagenbreth immer wieder auf Gegenstände stoßen, die eigentlich nichts im See zu suchen haben, sind sie sich einig: Für die riesige Fläche des Sees hält sich die Menge der Funde in Grenzen. „Das ist wirklich nicht die große Masse“, sagt Wagenbreth, „zumal das Sediment mit der Zeit so einiges verschluckt.“

Kampfmittel und Diebesgut auf Grund

Verschluckt hat der See über die Jahre außer Torpedos noch jede Menge andere Kriegswaffen. Fliegerbomben, Granaten und andere Sprengkörper werden immer wieder gefunden.

Wasserschutzpolizei und Kampfmittelbeseitigungsdienst müssen in diesen Fällen anrücken. Im September 2018 etwa fand man 100 Meter vor der Schlosskirche in Friedrichshafen drei Stabbrandbomben in einer Tiefe von 1,30 Metern.

Solche Sprengkörper können auch nach langer Zeit im Wasser noch gefährlich sein. 2008 sorgte der Fund einer 1,30 Meter langen Ankertaumine aus dem Zweiten Weltkrieg bei der Insel Mainau für Aufsehen. Sie stellte sich allerdings als ungefährlich heraus.

Besonders um Friedrichshafen herum, das in den 1940ern mehrfach Ziel von Fliegerangriffen war, tauchen immer wieder Blindgänger und Sprengkörper auf.

Grundsätzlich gilt bei einem Fund von Kampfmitteln: Gegenstand nicht berühren, Abstand halten und die Polizei unter dem Notruf 110 verständigen.

Neben Kriegswaffen blickt Markus Zengerle von der Wasserschutzpolizei in Überlingen auf eine lange Liste von Funden zurück. "Wir finden Tatwaffen wie Messer, Schlagringe und Schusswaffen, aber auch Schmuck oder mal einen aufgebrochenen Zigarettenautomaten." Die Wasserschutzpolizei lässt die meisten Funde allerdings nicht im See liegen.

Bei Bergungseinsätzen kommt in Überlingen inzwischen ein Tauchroboter zum Einsatz - wie im August 2017 bei der Insel Mainau, als ein Flugzeug in den See gestürzt war. Grundsätzlich gilt: Was geborgen werden kann, wird geborgen.

Mikroplastik und anderer Müll

Wie jedes Gewässer in Deutschland enthält auch der Bodensee Mikroplastik. "In einer länderübergreifenden Studie haben Forscher auch im Bodensee geringe Mengen von Mikroplastik entdeckt", sagt Martin Wessels vom Seenforschungsinstitut.

An einer Messstelle bei Romanshorn wurden dabei etwa 17 Partikel in einem Kubikmeter (1.000 Liter) Wasser gefunden, bei Friedrichshafen fünf.

Zum Vergleich: Durchschnittlich wurden in den Binnengewässern 38 Partikel pro Kubikmeter entdeckt. Allerdings fanden Forscher auch in Bodenseefischen die winzigen Teilchen.

Neben Plastik gelangt Abwasser in den Bodensee. Die Filteranlagen und Regenüberlaubecken rund um den See sind allerdings so konstruiert, dass daraus keine Belastung für die Wasserqualität entsteht.

Fäkalien landen im See

Allerdings gibt es Ausnahmen. Im vergangenen Sommer liefen nach starkem Regen wegen einer verstopften Anlage ungefilterte Abwässer in den See. Darunter auch Fäkalien aus dem Klinikum. Mehr als 200 Schwimmer klagten danach beim Gesundheitsamt im Bodenseekreis über Erbrechen und Durchfall.

Neben Noroviren und Salmonellen wurden auf einem begrenzten Gebiet auch chemische Verunreinigungen nachgewiesen . Mehr als eine Woche lang herrschte Badeverbot bei Fischbach und Manzell.

Trotz solcher Vorfälle macht sich Martin Wessels keine Sorgen um seinen See: "Der Bodensee verfügt über sehr effektive Selbstreinigungskräfte. Strömung, Wind, Ablagerung und organische wie chemische Prozesse sorgen dafür, dass Schadstoffe verschwinden. Alle vier bis fünf Jahre ist das Wasser des Sees außer in den tiefen Schichten einmal ausgetauscht. Die Qualität ist heute hervorragend."

In alten Zeiten: See als Müllkippe

Das sei allerdings keine Selbstverständlichkeit - und auch wenn der Schaden sich mittlerweile in Grenzen hält: Manches bleibt lange bestehen. "Früher wurde der Bodensee durchaus als Lagerstätte für Müll genutzt. Noch heute liegen ganze Müllkippen im See - etwa bei Konstanz", sagt Wessels. Der Müll dort sei allerdings abgedeckt und werde überwacht.

Von 1903 bis 1969 leitete am Schweizer Ufer ein Gaswerk tonnenweise Teeröl in den Bodensee. Die Folgen: 17.000 Quadratmeter Seegrund sind verseucht . Eine Untersuchung 2014 kam allerdings zum Ergebnis, dass kein dringender Handlungsbedarf bestehe. Der belastete Boden ist inzwischen mit einer sauberen Sedimentschicht bedeckt.

Handlungsbedarf sieht Martin Wessels beim Schiffsverkehr auf dem Bodensee. Zwar leiten Fähren und Ausflugsschiffe heute nicht mehr ihre Abwässer und Schlacken in den See, allerdings werde durch den menschlichen Eingriff sehr viel Sediment aufgewirbelt, was Flora und Fauna störe.

Auch eingeschleppte Arten wie die Quagga-Muschel, ursprünglich am Schwarzen Meer zu Hause, bereiten Schwierigkeiten. Dennoch ist der Seenforscher zuversichtlich: "Wir haben in den letzten Jahrzehnten so viel für den See erreicht. Und wir sind weiter auf einem guten Weg, den negativen Einfluss durch Menschen gering zu halten."