Vogelflug
Faszinierende Partituren des Vogelfluges
Eriskirch / Lesedauer: 3 min

Schwäbische.de
Dass im Naturschutzzentrum Eriskirch herrliche Naturbilder zu sehen sind, überrascht keineswegs, wohl aber, dass jetzt Bilder ausgestellt sind, die einerseits Natur abbilden, andererseits weit darüber hinausführen, Natur in Ästhetik pur verwandeln. „Airlines – Vogelspuren in der Luft“ hat Lothar Schiffler seine Bilder überschrieben, die er zur Abgrenzung von Fotografien „Iskiographien“ nennt, denn dahinter steht eine ganz besondere Technik.
Dunkle Linien werden zu konzentrisch sich verjüngenden Spiralen. Feine Striche in geringen Abständen sind wie auf einer Linie aufgefädelt. Das Ganze vor meist blauem Himmel, manchmal über einer im Licht liegenden Landschaft, vor Häusern. Festgehaltene Vogelspuren. Vor Jahrzehnten schon wurde der Soziologe und Medienpädagoge von der Leidenschaft gepackt, Vögel im Flug so festzuhalten, dass sich ihre Bewegung zu einem zart-fragilen Gebilde formt. Lothar Schiffler hatte Bussarde beobachtet, die es daheim auf die Hühner abgesehen hatten, hatte Fliegenschwärme beobachtet – „die Ornithologie ist über mich gekommen“ –, doch noch war es aussichtslos, ihren Flug mit der Kamera einzufangen.
Vor neun Jahren lernte er Nikolai Klassen kennen, der gerade ein Kunst- und Multimedia-Studium anfing, mit dem Ziel, künstlerische Aspekte und Medientechnik zu verbinden. In vielen Gesprächen und Versuchen entwickelte Klassen ein komplexes video- und phototechnisches Verfahren, einen Algorithmus, der es möglich macht, ein Video mit 60 Bildern pro Sekunde von fliegenden Vögeln oder Insekten in Einzelbilder zu zerlegen und so zusammenzufügen, dass man nur das Dunklere sieht, ein „Schreiben mit Schatten“ wie eine in der Realität unmögliche Langzeitbelichtung bei Tag.
Doch genug der Technik. Was man sieht, ist eine eingefrorene, aber keineswegs erstarrte Bewegung. Man mag an den Track denken, den ein Navigationsgerät dank GPS aufzeichnet, und doch ist es die Summe einzelner Bilder einer hochauflösenden Kamera, die hier aneinandergereiht zu verschlungenen Linien werden, auch mal zu Gebilden, die an das Rückgrat einer Schlange, an ein Fischskelett denken lassen.
Spannende Ambivalenz
Es sind grandiose Spuren, die die Vögel in die Luft zeichnen, jeder auf seine Art. Da sind die Schwarzmilane von Raderach, die mit ihrer Flugbewegung die Thermik sichtbar machen, und da sind die Mauersegler, deren phantastischen Tanz er im Sommer in München von seinem Balkon aus beobachte, „meine zuverlässigsten geflügelten Mitarbeiter“. Mit dem Flüggewerden würden sie sofort Tag und Nacht fliegen, im Flug schlafen und fressen, bis nach Afrika. Erst beim Nestbau würden sie zum ersten Mal wieder festen Boden berühren. Dazu Lothar Schiffler: „Von dieser Aerodynamik und Flugeffizienz können die Flugzeugingenieure nur träumen.“ Den Flug der Mauersegler hat er auch an der Klagemauer in Jerusalem und an der Trennmauer in Bethlehem aufgezeichnet: Als Vögel des Friedens würden sie angesehen, da sie weder Staats- noch Religionsgrenzen respektieren, und zu den „Welcoming Parties“ für die Mauersegler würden sich Priester, Rabbis und Imame einfinden.
Für das Einsetzen eines Senders wären die Mauersegler viel zu klein, Fachleute können jedoch anhand der Sequenzen Rückschlüsse ziehen, können ihre Fluggeschwindigkeit bestimmen. Man kommt der Entschlüsselung des Vogelfluges näher und ist gleichzeitig noch weit davon entfernt – eine Ambivalenz, die Spannung aufbaut. Man steht vor den großformatigen Bildern und blickt in eine neue, überraschend spannende Welt, ohne zu wissen, was weiter geschehen wird.