Kaplaneihaus
90 Bilder, die es in sich haben
Riedlingen / Lesedauer: 4 min

Schwäbische.de
„Die jungen Jahre der Alten Meister. Baselitz – Richter – Polke – Kiefer“ heißt die aktuelle Ausstellung in der Staatsgalerie in Stuttgart. Eine informative und unterhaltsame Einführung dazu hat die Kunsthistorikerin Barbara Honecker im Vorfeld im Kaplaneihaus gegeben. Der tatsächliche Besuch der Werke folgte am Samstag. Waltraud Jerger und Barbara Bulander vom Kunstkreis '84 in Riedlingen organisierten die beiden Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Donau-Bussen.
Das Schaffen der vier Meister – vorwiegend während der 1960er Jahre – steht in der Staatsgalerie im Vordergrund. Barbara Honecker, Kunsthistorikerin aus Kirchheim/Teck und durch zahlreiche ihrer jedes Mal bemerkenswerten Vorträge in Riedlingen bekannt, erklärte den interessiert lauschenden Zuhörern im kleinen Saal des Kaplaneihauses die Hintergründe der Ausstellung. Ernsthaft und mit Augenzwinkern, in flottem Tempo und doch zum Schmunzeln anregend, „marschierte“ sie durch die deutsche Geschichte in Zusammenhang mit den vier Künstlern. Sie stellte jeden der vier einzeln vor, mit seinem Aufwachsen, seiner Ausbildung, seiner Familie, seinem Umfeld. Dabei spannte sie den Schaffensbogen über die in Stuttgart gezeigte Zeit hinaus. Auch Werke anderer Berühmter dieser Epoche hatte sie zur Verdeutlichung ihrer Thesen am Bildschirm dabei. Sie verglich Gerhard Richter (geboren 1932), Georg Baselitz – eigentlich Hans-Georg Kern, geboren 1938 in Deutschbaselitz – Sigmar Polke (1941 bis 2010) und Anselm Kiefer (geboren 1945) während verschiedener Schaffensperioden, wies auf jeweils Charakteristisches hin. „Wenn Ihnen der Kopf raucht – beschweren Sie sich bei Herrn Adriani!“, schloss sie ihre Ausführungen nach etwa eineinhalb Stunden.
91 Werke von vier deutschen Künstlern, mehr oder weniger bekannt in Deutschland hat der ehemalige Leiter der Tübinger Kunsthalle Götz Adriani für die Stuttgarter Ausstellung zusammengestellt, 112 für den dazu erschienenen 350-seitigen Katalog. Es sei „seine Ausstellung“, seine sehr subjektive Sicht auf die Arbeiten, so Barbara Honecker. Er habe die Idee entwickelt. Mit dieser Ausstellung sollen die vier der Bekanntheit der Alten Meister – Dürer, Holbein d.J., Adam Elsheimer – ebenbürtig werden. Als die wichtigen deutschen Maler der Nachkriegszeit habe Adriani hier diese vier zusammengeführt. „Das sind die herausragenden deutschen Künstler, die man im Ausland wahrnimmt“, zitierte Honecker den Kurator. „Die werden mal Weltruhm erlangen!“ Und noch nie seien sie in einer Ausstellung gemeinsam vertreten gewesen.
Von der Kriegszeit geprägt
Alle vier seien geprägt von der Zeit während des Krieges und danach. Die Väter von dreien seien Lehrer während des Dritten Reiches gewesen und – kriegsbedingt – während des Aufwachsens der Jungen nicht da. Die Auseinandersetzung mit dieser Zeit spiele eine große Rolle in zahlreichen der ausgestellten Bilder. Drei der Künstler – Baselitz, Richter und Polke – seien in der damaligen DDR aufgewachsen und von deren Kunstrichtungen geprägt. Aus den mit dreien der Künstler – Sigmar Polke war bereits tot – geführten Interviews hätte eigentlich ein Buch werden sollen, sagte Barbara Honecker; die Ausstellung mit umfangreichem, informativem Katalog entstand stattdessen. Mit allen vieren sei Adriani persönlich bekannt, befreundet; sie seien in ähnlichem Alter und hätte sich lange Jahre begleitet.
„Das Malen um des Malens willen“ – „L’art pour l’art“ – sei jedem von ihnen wichtig gewesen, zitierte Honecker. Kunst müsse nach deren Empfinden nicht schön sein: „Schön macht’s jeder!“ Neu sei die Darstellung auch des Hässlichen, des Schockierenden gewesen in den 60er Jahren. Von Skandalen beim ersten Erscheinen der Bilder wusste sie zu berichten, von „negativer Publicity“ – bei Baselitz beispielsweise durch Pornographie-Vorwürfe und Verhaftung. „So was hat vorher noch niemand gemacht!“ Die perfekte Technik bei Richters Bildern hob sie hervor. Polke – vom Typ her ruhig und doch schalkhaft, beschreibt ihn Honecker – habe karikiert und ironisiert, wie es damals noch niemand gewagt habe. Als „heftigen Tobak“ stellte sie Kiefers Bilder vor, als „nicht so leicht verdaulich“; er sei jedoch in Frankreich berühmt und geschätzt.
Barbara Honeckers Vortrag bot sich an als Vorbereitung für den Besuch der Ausstellung. In 90 Minuten führte sie die Gruppe am Samstagvormittag durch die Räume der Staatsgalerie. Überraschend großformatig zeigte sich die Mehrzahl der Bilder, geordnet nach den Künstlern, je Künstler in zwei Räumen. „Es sind 90 Bilder, die es in sich haben“, sagte Honecker. Und ergänzt: „Man muss wissen – sonst versteht man nur die Hälfte.“ Das Ganze habe eine andere Tiefe mit dem Kontext. „Eine tolle Ausstellung!“, war der Tenor der Riedlinger Besucher.