Odenwaldschule
Missbrauchs-Krimi spielt unter anderem in Wald
Wald / Lesedauer: 4 min

Schwäbische.de
In seinem zweiten Krimi „Wir waren Kinder“ beschäftigt sich Dietrich Hub mit dem jahrzehntelangen sexuellen Missbrauch von Schülern an der hessischen Odenwaldschule. Eine entscheidende Rolle spielen aber auch die Heimschule Kloster Wald und deren Rektorin Anita Haas. Mit SZ-Redakteur Sebastian Korinth spricht Hub über die Hintergründe.
Die Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule werden seit 1999 in Medienberichten, Büchern, Dokumentationen und einem Spielfilm auf verschiedene Weise bearbeitet. Warum haben Sie sich dazu entschieden, das Thema 18 Jahre später trotzdem noch einmal in einem Roman aufzugreifen?
Für meinen neuen Krimi habe ich nach einem Hintergrund gesucht, der es erlaubt, Realität und Fiktion miteinander zu verbinden. Die im Buch genannte Kappelbergschule gibt es zwar nicht wirklich, aber sie ist der Odenwaldschule nachempfunden. Die Rahmenhandlung, die Häuser der Schule oder auch das gemeinsame Duschen von Schülern und Lehrern in einigen Häusern der Odenwaldschule entsprechen der Realität. Darüber hinaus hat mir das Thema die Gelegenheit geboten, mit Zeitzeugen zu sprechen.
Diese haben Ihnen trotz der sensiblen Problematik und der vielen Jahre, die seitdem vergangen sind, Rede und Antwort gestanden?
Einige natürlich nicht. Und andere wollten nicht, dass sie öffentlich genannt werden. Dennoch habe ich mich mit mehreren Zeitzeugen unterhalten können. Erschreckend war, dass einige von der Täterseite nach wie vor behaupten, dass die Berichte von Missbrauchsfällen alle gelogen sind. Mit den Haupttätern konnte ich nicht sprechen – die sind alle schon gestorben.
Lisa, die Hauptfigur Ihres Romans, kommt aus einem zerrütteten Elternhaus. Gleich am Anfang wird sie von anderen Mädchen verprügelt und mit dem freizügigen Zusammenleben in der Kappelbergschule tut sie sich ebenfalls schwer. Dann aber wird sie innerhalb weniger Monate selbstbewusst und ermittelt auf eigene Faust in einem Vermisstenfall?
Sie wird immerhin die Geliebte eines Lehrers. Das stärkt ihr Selbstbewusstsein und tut ihr natürlich erst einmal gut. Aber es stimmt schon, dass ich ihre Entwicklung zugunsten der Handlung komprimiert habe. Dennoch: Bei der Paulinenpflege Winnenden arbeiten wir zum Beispiel viel mit hör- und sprachbehinderten Jugendlichen zusammen. Wenn gehörlose Jugendliche bei uns merken, dass sie nicht die einzigen mit einem Hörgerät sind, blühen viele von ihnen auf und erbringen auch bessere Leistungen. So etwas klappt nicht innerhalb von ein paar Wochen, aber so etwas erleben wir durchaus. Das Beispiel zeigt, dass bestimmte pädagogische Konzepte das Selbstbewusstsein von Jugendlichen fördern können.
In Ihrem Buch geht es um Missbrauch an der Kappelbergschule, um die Heimschule Kloster Wald, das Kloster Kirchberg bei Sulz – und ein Pfarrer kommt darin ebenfalls vor. Warum spielt das kirchliche Umfeld eine so große Rolle?
Die Heimschule Kloster Wald war passend, weil ich eine Internatsschule brauchte, in der die Hauptfigur ihre Schullaufbahn bis zum Abitur und auch ihre Schreinerausbildung fortsetzen konnte. Nach Hause kann sie nicht zurück, als sie die Schule verlassen muss: Ihr Vater ist tot, ihre Mutter Alkoholikerin. Das Kloster Kirchberg und der Pfarrer tauchen bereits in meinem ersten Buch „Tod auf der Y-Burg“ auf und ich wollte, dass sie wieder eine Rolle spielen.
Aber auch im kirchlichen Rahmen hat es Missbrauchsfälle gegeben. Werden diese durch ein geschlossenes System, beispielsweise das eines Internats, begünstigt?
Meiner Meinung nach ja. Die Missbrauchsfälle gab es ja sowohl an katholischen Klosterschulen als auch an der sehr freien Odenwaldschule. Unterschiedlicher können pädagogische Konzepte nicht sein. Beides waren aber recht geschlossene Systeme. Wenn ein solches System in die Hände der falschen Leute kommt, noch dazu von Leuten, die von außen hoch angesehen werden, dann kann es zu schweren Fehlentwicklungen kommen. Dass Schüler und Lehrer an der Odenwaldschule in „Familien“ zusammengelebt haben, hat das System so störungsanfällig gemacht. Auch bei uns in der Paulinenpflege gibt es Internate. Allerdings trennen wir strikt zwischen diesen und dem Schulbetrieb: Bei uns arbeitet jemand entweder im Internat oder er unterrichtet an der Schule – aber nie beides gleichzeitig. Wenn ein Schüler mit einem Lehrer Ärger hat, will er nicht noch am Abend etwas zusammen mit ihm kochen. Dass an der Odenwaldschule alles in einer Hand lag, hat sich als gravierendes Problem erwiesen.
Auch Anita Haas, die Leiterin der Heimschule Kloster Wald, kommt in Ihrem Buch persönlich vor. Ich nehme an, dass sie nicht gerade begeistert war, dass ihre Schule eine Rolle in einem Krimi über sexuellen Missbrauch spielt.
In der Tat hat Frau Haas zunächst eher zurückhaltend reagiert, aber dann habe ich ihr Teile des Manuskripts vorgelegt. Daraufhin war sie damit einverstanden, dass sowohl die Schule als auch sie persönlich erwähnt werden. Beide spielen in meinem Buch ja eine positive Rolle. Anita Haas unterstützt Lisa dabei, den Vorgängen an der Kappelbergschule auf den Grund zu gehen. Als Vater von drei Töchtern finde ich reine Mädchenschulen übrigens keineswegs altmodisch.