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SPD–Chefin Saskia Esken nimmt Kartellbehörden in die Pflicht

Biberach / Lesedauer: 6 min

SPD–Chefin Saskia Esken fordert Zusammenhalt und Solidarität in der Krisenzeiten. Bei manchen Preissteigerungen will sie deshalb genau hinsehen.
Veröffentlicht:05.05.2023, 18:08

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Als sie ihren Posten als Co–Vorsitzende der SPD antrat, galt Saskia Esken als das linke Gewissen ihrer Partei und politisches Gegengewicht zu Olaf Scholz. Im Interview spricht sie über die Herausforderungen in Krisenzeiten und in einer Koalition, die ihre Differenzen immer wieder nach außen trägt.

Frau Esken, als Sie 2019 gemeinsam mit Norbert Walter–Borjans die Parteispitze übernahmen, war das erklärte Ziel, die SPD in die Spur zu bringen. Inwieweit ist das heute gelungen?

Die SPD hat neue Stärke gewonnen aus einem guten und engen Zusammenhalt vor allem an der Spitze. Im Fünfer–Gremium aus Partei, Fraktion und Regierungsbeteiligung, also mit uns beiden Parteivorsitzenden, dem damaligen Finanzminister Olaf Scholz, dem Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich und dem Generalsekretär Lars Klingbeil haben wir uns — auch wenn wir teilweise unterschiedliche Interessen verfolgen — nicht gegenseitig bekriegt, sondern unterstützt und an einem gemeinsamen Ziel gearbeitet: Die SPD wieder stark zu machen. Das haben unsere Mitglieder gespürt, das haben die Medien anerkannt und die politische Konkurrenz hat den neuen Zusammenhalt der SPD wahrgenommen. Die Streitigkeiten in unserer Partei haben zuvor viel Angriffsfläche geboten — das Problem hatten dann andere. Am Ende, und das sagt auch Olaf Scholz immer wieder, hat das Mitgliedervotum und der daraus erwachsene Zusammenhalt seine Kanzlerschaft erst möglich gemacht.

Angriffsfläche durch Streitigkeiten bietet derzeit aber auch die Ampel–Koalition ...

Wir sind jetzt nicht mehr Juniorpartner, wir sind führende Kraft in dieser Zukunftskoalition. Das macht uns sehr stolz und wir freuen uns, dass wir jetzt durchstarten können. Aber natürlich sind die Herausforderungen gewaltig nach 16 Jahren konservativer Bremse in Fortschrittsfragen. Die Krisen und Herausforderungen, die wir jetzt gleichzeitig zu bewältigen haben — keine 100 Tage war die Ampel im Amt, als Putin die Ukraine überfiel — bringen natürlich riesengroße Aufgaben und auch Verwerfungen mit sich, die wir zu bewältigen haben. Dass es dabei hier und da auch knirscht, halte ich für vollkommen normal. Ich messe uns nicht so sehr an den Umfragewerten, sondern an dem was wir erreichen.

In Krisen haben Sie häufig Gemeinsamkeiten und Zusammenhalt beschworen. Wie kann man den erwarten, wenn die Regierung ihn nicht vorlebt?

Die Stimmung in der Koalition ist besser als das, was nach draußen dringt. Das ist sicher ärgerlich und es wäre gut, wenn wir den Zusammenhalt stärker nach außen leben und Konflikte intern klären würden. Die Bürger mögen den Streit nicht. Gleichzeitig ist es wichtig, dass wir diese Auseinandersetzungen in der Sache führen, weil wir sie stellvertretend für die Gesellschaft austragen. Es gibt unterschiedliche Interessen, die zusammengeführt werden müssen, damit wir gemeinsam nach vorne blicken und uns entwickeln können.

Einer der Streitpunkte in der Ampel ist das Gebäudeenergiegesetz. Kommt die Einigung?

Das Gebäudeenergiegesetz ist im Kabinett beschlossen. Die gemeinsam vereinbarten Eckpunkte bilden die Grundlage für die Beratungen im Parlament. Anders als manche vielleicht denken, ist weder der Koalitionsausschuss noch das Kabinett Gesetzgeber, sondern der Bundestag. Wir werden dort zunächst zwischen den Koalitionspartnern und dann auch mit den demokratischen Oppositionsfraktionen das Gesetz beraten und dabei auch die Lebensrealitäten aus den unterschiedlichen Teilen des Landes und der Gesellschaft zusammentragen und ihnen Rechnung tragen. Insgesamt werden wir ein praktikables, sozial gerechtes und auch leistbares Gesetz formulieren. Leistbar heißt hier nicht nur finanziell, sondern auch die Handwerksleistung und die Produktion müssen umsetzbar sein.

Die befürchtete große Wirtschaftskrise blieb aus. Im Geldbeutel sind die Kriegs– und Pandemiefolgen trotzdem zu spüren. Die Regierung hat Hilfen bewilligt, doch vieles war nur kurzfristig. Wie kann man die Lasten gerecht bewältigen?

Vieles von dem, was wir zur Stärkung des Sozialstaats und im Lohngefüge getan haben, ist auf Dauer. Wir haben für die einen die Steuern und für die anderen die Abgaben gesenkt und so für mehr Netto vom Brutto gesorgt. Wir haben den Mindestlohn massiv angehoben, mit der Einführung des Bürgergelds die Regelsätze erhöht und das Wohngeld massiv ausgeweitet und erhöht. Dazu kommt die Erhöhung von Kindergeld und Kinderzuschlag auf je 250 Euro pro Monat und Kind — die größte Erhöhung seit Jahrzehnten — und entwickeln daraus nun die Kindergrundsicherung. Das ist alles auf Dauer wirksam! Aber natürlich waren und sind einige der Entlastungsmaßnahmen befristet wie zum Beispiel die Strom– und Gaspreisbremse, weil ja auch die besonders schwerwiegende Situation hoffentlich irgendwann überwunden sein wird — die Energiepreise sind ja schon gesunken. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass auch die Lebenshaltungskosten insgesamt sich wieder stabilisieren. Dort, wo die Preise vielleicht ungerechtfertigt hochgehalten werden — wie das teilweise im Lebensmitteleinzelhandel scheint — brauchen wir einen klaren Blick der Kartellbehörden. Sollte es Preisabsprachen gegeben haben, wäre das wettbewerbsrechtswidrig und müsste unterbunden werden.

Sie haben sich wohlwollend zur Vier–Tage–Woche geäußert. Wie ist das mit dem Fachkräftemangel vereinbar?

Ein langfristiger Feldversuch der Universität Cambridge in Großbrittanien in über 60 Betrieben aus ganz verschiedenen Branchen hat ergeben, dass Beschäftigte in vier Tagen sogar mit weniger Stunden effektiver arbeiten, weil sie eine höhere Arbeits– und Lebenszufriedenheit haben. Das sollte uns zu denken geben. Auch der IG–Metall–Vorsitzende Jörg Hofmann hat es ganz deutlich gesagt: Wir haben in Deutschland die höchste Teilzeitquote Europas! Und zwar, weil bei uns die Frauen viel mehr als anderswo nur geringfügig oder geringe Teilzeit arbeiten, weil sie sich um die Familie kümmern müssen. Wenn wir diesen Frauen nun Arbeitsplätze anbieten, die sich auch in Vollzeit besser mit der Familie vereinbaren lassen, können wir ein großes Potential nutzen. Dafür muss aber auch die Infrastruktur rund um Kitas, Hochschulen, bis hin zum Rechtsanspruch auf Tagespflege für pflegebedürftige Angehörige bereitgestellt werden. Für viele Menschen, die in der Pflege oder in der Produktion arbeiten und deshalb keine Möglichkeit für Home–Office oder flexible Arbeitszeiten haben, bietet eine Vier–Tage–Woche die Chance, einen Tag für sich zu gewinnen — für Amtstermine, Arztbesuche oder dafür, in Ruhe einzukaufen. Das ist ein Stück zusätzliche Lebensqualität.