Zuckerfest
Biberacher lieben „Kitchen on the run“
Biberach / Lesedauer: 4 min

Schwäbische.de
Rund 150 Menschen verschiedener Herkunft haben am Wochenende zusammen ein buntes Zuckerfest auf dem Biberacher Viehmarktplatz gefeiert: ein Fest des Fasten- und Aufbrechens. Denn nach sieben Wochen schließt der Kochcontainer des Projekts „Kitchen on the Run“ (die SZ berichtete) seine Türen und reist weiter. Doch damit ist das Integrationsprojekt nicht beendet: Eine Biberacher Gruppe hat das Zepter in die Hand genommen und wird auch in Zukunft Kochabende anbieten.
Noch vor sieben Wochen war den vier Organisatoren des Berliner Vereins Über den Tellerrand Biberach völlig fremd, inzwischen fühlen sie sich heimisch. „Von Anfang an waren die Menschen hier durchweg positiv gestimmt und super neugierig“, sagt Ina.
Nach zweieinhalb Wochen in Biberach waren bereits alle Plätze für die Kochabende besetzt. Nicht nur für Ina und ihre Kollegin Agnes eine Überraschung: „Viele Menschen kamen her und waren selbst verwundert, dass die Biberacher so offen sein können. Die konnten sich nicht vorstellen, dass das hier funktioniert“, sagt Agnes. Auch wenn beide das Reisen und Abschiednehmen schon gewohnt sind, werden sie vieles in Biberach vermissen, ist sich Agnes sicher: „Allein schon die Infrastruktur, hier hatten wir immer kurze Wege.“ Ganz im Gegensatz zu ihrer Heimat Berlin, ergänzt Ina: „Hier ist man durch die Stadt gelaufen und hat drei bis vier bekannte Gesichter getroffen.“ So konnte sich das Team beim Zuckerfest Abschiedstränen nicht verkneifen.
Biberach sei unter dem Strich einer der angenehmsten Standorte gewesen, an dem der Container bisher haltgemacht hat, sagt Ina: „Manchmal nimmt man die Kochabende als selbstverständlich an. Aber da sitzen völlig fremde Menschen an einem Tisch.“ Aus den Begegnungen nehme man vieles mit. Auch wenn das Kochen wesentlicher Bestandteil des Projekts ist, bleibe davon am Ende jedoch am wenigsten hängen, lacht Agnes : „Die Leute glauben immer, ich könnte so gut kochen. Aber das ist das, was ich hier am wenigsten lerne.“
Ein Satellit ist gegründet
Letztlich verfolgt „Kitchen on the Run“ auch ein anderes Ziel: Menschen zusammenbringen, Vorurteile ab- und langfristige Kontakte und Freundschaften aufbauen. „Manchmal stehen wir ganz am Anfang und müssen vor allem sensibilisieren und vortasten. Hier war das anders und wir konnten einen Schritt weiter in der Integrationsarbeit gehen“, sagt Ina. Viele Biberacher kamen, einige gleich zu mehreren Terminen, und manche sind nun so überzeugt von den Kochabenden, dass für sie feststeht: „Das muss man weitermachen. Die Idee ist so einfach, es ist ja auch kein großer Aufwand, aber es bewirkt so viel“, sagt Kerstin. Sie ist eine von insgesamt 16 Leuten, die sich nun zu einem Satelliten des Berliner Vereins Über den Tellerrand zusammengefunden haben.
„Ich war erst nur mit Arbeitskollegen hier, dann hab ich mich gleich ein zweites Mal angemeldet“, erklärt Sandra. Auch sie will weitermachen. Das gemeinsame Essen und Kochen schaffe gleich einen Zugang und biete Gesprächsstoff. Für Samer waren die vergangenen Wochen „ein Schlüssel, um neue Freundschaften zu knüpfen“. Er ist vor dreieinhalb Jahren von Syrien nach Deutschland geflohen und hat im Container als sogenannter Lokalheld die Berliner Truppe unterstützt. Das Zuckerfest zum Abschluss liegt ihm besonders am Herzen: „Ich möchte, dass die Leute ein positives Bild von uns und unserer Kultur bekommen.“ Samer möchte, dass das Fest auch in Zukunft stattfindet und darüber hinaus einen deutsch-syrischen Kulturverein gründen.
Die Zeit im Kochcontainer habe Impulse gegeben, sagt Ina. Damit diese zu konkreten Ideen und umgesetzt werden, unterstützen sie und ihre Kollegen die Biberacher auch nach ihrer Abreise. Wer über den Tellerrand kocht, tut dies im Übrigen nicht nur vor der eigenen Haustür. Die Ableger des Berliner Vereins kommen regelmäßig zu Regionaltreffen oder Konferenzen zusammen: Der Biberacher Satellit ist nun Teil eines deutschlandweiten Netzwerks.
Den ersten eigenen Kochabend hat das Biberacher Team bereits am vergangenen Freitag auf die Beine gestellt – im Kochcontainer und mit den Mitteln des Vereins. Für das Projekt gab es Fördergelder, die Teilnahme in den vergangenen Wochen war kostenlos. Damit die Integrationsküche weitergeht, hoffen die Biberacher nun auf Spenden. Fehlt nur noch ein neuer Treffpunkt: Die Suche nach einer geeigneten Küche liegt jedoch in den letzten Zügen.