Verfassung

Psychiater über Putins geistige Verfassung: „Bis zum bitteren Ende“

Biberach / Lesedauer: 6 min

Psychiater Dr. Hans-Otto Dumke hat sich mit der Psyche von Wladimir Putin befasst
Veröffentlicht:11.03.2022, 05:00
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Wer ist eigentlich Wladimir Putin und wie tickt ein Mensch, der so etwas tut? Das fragen sich weltweit viele Menschen. Die Bilder aus der Ukraine sind grausam, erschütternd und beängstigend.

Der Psychiater und Psychotherapeut sowie ehemalige Ärztlicher Direktor des Zentrums für Psychiatrie, Dr. Hans-Otto Dumke , befasst sich seit mehr als 20 Jahren mit Persönlichkeitsstrukturen von verschiedenen bekannten Menschen und erstellt sogenannte Pathographien – darunter Goethe, Hölderlin, Kleist, Sissi und auch Adolf Hitler.

Welche Ähnlichkeiten zwischen ihm und Putin bestehen und wie ein Psychogramm des russischen Präsidenten aussehen könnte, Tanja Bosch hat mit Dr. Dumke gesprochen.

Dr. Dumke, was für ein Mensch ist Wladimir Putin?

Er ist ein Mann, in dem ein großes Potenzial an Aggressionen steckt, aber auch Cleverness. Und diese Mischung macht ihn so gefährlich. Außerdem ist er unberechenbar und hat eine unglaubliche Wut in sich. Er tritt als Einzelner auf und lässt seit Jahren nur wenige Menschen – vorwiegend „Ja-Sager“ – an sich heran. Eigentlich lebt er in einer „Blase“ und hat den Blick für die Realität zunehmend verloren. Ich habe einiges über ihn gelesen und recherchiert, um ihn zu analysieren.

Was hat Ihre Recherche ergeben?

Es gibt drei Theorien. Zum einen die „Madman-Theorie“. Mit dieser Theorie können politischen Akteuren Vorteile daraus entstehen, wenn sie sich komplett unberechenbar präsentieren, dabei bei einem Widersacher so große Furcht schüren, dass dieser einlenkt. Also die Theorie des „Verrückten“, wenn man das so sagen will. Ähnlich gingen im Übrigen auch die früheren US-Präsidenten Richard Nixon und Donald Trump vor. Des Weiteren geht es darum, welche Gefahr in Putins Gehirn lauern könnte. So hatte der Neurowissenschaftler Ian Robertson in einem Artikel geschrieben, dass wenig Zweifel daran bestünden, dass sich Putins Gehirn neurologisch und physisch so sehr verändert habe, dass er fest und ernsthaft glaube, Russland sei ohne ihn dem Untergang geweiht.

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Lange Perioden absoluter Macht hätten ihn hochgradig egozentrisch, narzisstisch und blind für Risiken gemacht. Die dritte Theorie steht unter dem Titel „Putin als strenger Ideologe“. Der Putin von heute ist ein anderer als noch vor drei Jahren. Er habe sich laut des deutschen Auslandsgeheimdiensts BND zurückgezogen und beschäftige sich ausgiebig mit ihm genehmen historischen und ideologischen Schriften. Seinen inneren Rückzug spüre man auch im Umgang mit anderen Staatschefs. So auch bei den Treffen kürzlich mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz, mit denen er an einem sechs Meter langen Tisch saß, um ihnen nicht zu nahe zu kommen und, um den Genannten auch zu verdeutlichen, wie entfernt er politisch von ihnen ist. Dazu passt auch die oft beschriebene panische Angst Putins vor Corona.

Welche Schlüsse ziehen Sie daraus, welche Diagnose über Putins psychische Verfassung könnte gestellt werden?

Ich habe den begründeten Verdacht, dass Putin eine paranoide (wahnhafte) Persönlichkeitsstörung hat. Merkmale sind zum Beispiel eine übertriebene Empfindlichkeit, Misstrauen gegenüber allem und jedem, Streitsüchtigkeit, ein beharrliches Bestehen auf Recht, Verschwörungen und einem intensiven Hass auf Andersdenkende. So erlebe ich Putin, besonders seit der Annektion der Krim und Teilen der Ostukraine 2014. Und das ist keine Störung, die plötzlich aufgetreten ist, sie hat sich über die Jahre entwickelt. Sicher spielt dabei auch die genetische Komponente eine Rolle. Ich bin mir aber sicher, dass dies alles insbesondere mit Erlebnissen aus Kindheit und Jugend zusammenhängt.

Was ist über Putins Kindheit oder Jugend bekannt?

Er soll ein schüchterner, gehemmter Junge gewesen sein. In der Schule wurde er oftmals auffällig, wurde gehänselt, galt als Außenseiter und war oft in Schlägereien verwickelt, bei denen er den Kürzeren zog. Er wurde seelisch und auch körperlich verletzt. Mit seinen 1,70 Meter ist er bis heute ein kleiner Mann geblieben. Später begann er ein Jura-Studium und absolvierte eine Ausbildung beim KGB, dem sowjetischen Geheimdienst. Von 1985 bis 1991 war er in Deutschland stationiert, in der ehemaligen DDR. In Dresden musste er den Untergang des Sowjetreichs miterleben.

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Damals hat er von einer geopolitische Katastrophe gesprochen, die ihn nie in Ruhe gelassen hat. Daraufhin versuchte er politisch aufzusteigen und hat es auch geschafft. So war er unter anderem stellvertretender Bürgermeister von Sankt Petersburg und wurde 1999 Ministerpräsident unter Boris Jelzin bis er 2000 seine erste Amtszeit als Präsident begann.

Wie schätzen Sie die Gefahr ein, die von Putin ausgeht?

Da bin ich selbst ratlos. Er ist einfach unberechenbar. Keiner weiß, was aus diesem kranken Gehirn noch entstehen kann. Aktuell ist er jedenfalls auf dem Höhepunkt seiner Macht. Aber er hat sich offensichtlich verschätzt und nicht mit einem solchen Widerstand der Ukraine gerechnet. Dabei bringt er allergrößtes Leid über die Menschen. Und das ist für uns alle wohl nur sehr schwer zu ertragen. Die Situation ist gerade fast ausweglos.

Sie haben sich ebenfalls in früheren Jahren intensiv mit der Persönlichkeitsstruktur von Adolf Hitler beschäftigt. Bestehen Parallelen zu Putin?

Auch bei ihm würde ich die gleiche Diagnose stellen wie bei Putin. Auch Hitler hatte viele Merkmale einer paranoiden Persönlichkeitsstörung. Im Übrigen halte ich beide strafrechtlich für voll verantwortlich für ihr Handeln. Sie sind voll schuldfähig und wissen genau, was sie tun. Das Problem bei Hitler war, dass er bis zuletzt alles versucht hat. Er hat solange gekämpft, bis er feststellte, dass es keinen Ausweg mehr gibt und sich am Ende umgebracht.

Glauben Sie, das könnte im Fall Putin auch das Ende sein?

Wie das bei Putin läuft, bleibt offen. Ich würde diese Möglichkeit aber eher ausschließen. Er wird bis zum bitteren Ende kämpfen. Und das Ende der „Ära Putin“ ist meines Erachtens bereits durch seine Wahnsinnstat eingeleitet und es besteht durchaus die Möglichkeit, dass er durch seine eigenen Leute ein Ende findet.

Zur Person

Der Biberacher Psychiater Dr. Hans-Otto Dumke ist 79 Jahre alt und war viele Jahre Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Nervenheilkunde und verfasste mehr als zehn Pathographien von berühmten Menschen. Darüber hielt er Vorträge unter anderem bei Kongressen. (tab)