Söder hält Lage für ernster als im März
München / Lesedauer: 4 min

Es war ein Fehler der den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) wahrscheinlich tierisch ärgert: Nach einer staatsmännischen Rede am Freitag in einem Sonderplenum des bayerischen Landtags vergaß er, für den kurzen Gang vom Rednerpult an seinen Platz die Gesichtsmaske aufzuziehen. Landtagspräsidentin Ilse Aigner erinnerte Söder freundlich an diese Verpflichtung. Dass sie es dabei beließ, brachte die AfD-Fraktion auf die Barrikaden. „Sie halten sich an Ihre eigenen Regeln nicht“, sagte AfD-Fraktionschef Ingo Hahn.
Ilse Aigner, LandtagspräsidentinStörungen wie im Bundestag werde ich nicht dulden.
Zuvor wurde bekannt, dass gegen zwei AfD-Abgeordnete ein Ordnungswidrigkeiten-Verfahren eingeleitet wurde, weil sie sich in den Räumen des Landtags ohne Maske bewegt hatten. Landtagspräsidentin Aigner hatte eingangs schon gewarnt: „Störungen wie im Bundestag werde ich nicht dulden.“ CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer machte deutlich, wer gemeint war: Das Verhalten der AfD im Bundestag am vergangenen Donnerstag sei „beschämend“ gewesen.
In einer Regierungserklärung warb Söder für Verständnis für die ab Montag geltenden verschärften Anti-Corona-Maßnahmen. Alle diese Maßnahmen seien „genau überlegt“, so der Ministerpräsident. Die Lage sei „ernster als im Frühjahr“. Weil man Schulen, Hochschulen, Kindertagesstätten, Wirtschaft und Handel nicht lahm legen wolle, müssten die Kontakte vorwiegend im Freizeitbereich deutlich reduziert werden.
Markus SöderWer weiß, wie es endet, und sich nicht traut, zu reagieren, handelt schuldhaft.
Aus den bayerischen Krankenhäusern würden zunehmend Engpässe gemeldet und die Zahl der Todesfälle in Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung habe sich innerhalb einer Woche verachtfacht. Es sei ethisch nicht verantwortbar, zu warten, bis alle Krankenhausbetten belegt seien. „Wer weiß, wie es endet, und sich nicht traut, zu reagieren, handelt schuldhaft“, sagte Söder.
Die Grünen als größte Oppositionsfraktion tragen die Maßnahmen nach den Worten ihres Vorsitzenden Ludwig Hartmann mit. „Die Rasenmäher-Methode müssen wir jetzt anwenden“, sagte Hartmann, griff dann aber die Söder-Regierung scharf an. Die „Arroganz“ der Staatsregierung, in den letzten Monaten alles richtig gemacht zu haben, „muss aufhören“", sagte Hartmann.
Söder habe nach eigenen Worten stets mit einer zweiten Pandemie-Welle gerechnet, es aber versäumt, die Gesundheitsämter entsprechend auszustatten. Noch immer wisse man nicht, wo sich drei Viertel der Infektionen ereignen. „Das muss besser werden“, so der Grünen-Fraktionschef. Mit der unkontrollierten Abreise von 2500 Urlaubern aus dem Hotspot Berchtesgadener Land habe man die Fehler, die Anfang des Jahres im Tiroler Ischgl gemacht worden seien, wiederholt.
Auch die SPD trage die Beschlüsse von Bund und Ländern mit, sagte deren Fraktionsvorsitzender Horst Arnold. Es sei ein „wichtiges Zeichen“, dass die Söder-Regierung sich in die Solidargemeinschaft der Länder eingefügt habe und nicht wieder „als Ichlinge unterwegs“ sei. Arnold forderte zügige unbürokratische Auszahlung der für die besonders betroffenen Branchen zugesagten Hilfen. Dies müsse besser werden als das „maßgeblich vom bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) verursachte Antragschaos“ im Frühjahr.
Die FDP hält nach den Worten ihres Fraktionsvorsitzenden Martin Hagen die Schließung von Restaurants für falsch. Nach den Erkenntnissen des Robert-Koch-Instituts trage die Gastronomie nur in sehr geringem Maße zum Infektionsgeschehen bei, so der FDP-Politiker. Die Corona-Politik sollte auf wissenschaftliche Grundlage gestellt werden und nicht einem „Bauchgefühl“ folgen. Hagen befürchtete anderenfalls einen „Jojo-Effekt“ und einen periodischen Wechsel von Liberalisierungs- und Lockdown-Perioden.
Die Länder Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, in denen die FDP an der Regierung beteiligt sei, hätten die Beschlüsse mitgetragen, betonte Ministerpräsident Söder. Es sei ein „gutes Zeichen“, dass alle demokratischen Parteien bei der Bekämpfung der Pandemie an einem Strang zögen.
Kein aufruf zu Denunziation
Söder stellte klar, dass seine Äußerungen vom Vortag nicht als Aufruf zur Denunzierung verstanden werden dürften. Ob die Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum eingehalten werden, kontrolliere die Polizei, aber „natürlich in den Wohnungen nicht“, stellte Söder klar. Ab kommenden Montag dürfen sich nur noch die Angehörigen zweier Hausstände und maximal zehn Personen treffen. Ein „Aufruf, Hinweise zu geben“ sei „nicht beabsichtigt“.
Für Fundamentalopposition sorgte AfD-Fraktionsvorsitzender Ingo Hahn: „Corona ist nicht die Pest“. Dennoch nehme Söder "das ganze Land in Geiselhaft". Die AFD trete als einzige Partei für „Freiheit, Demokratie und Verfassungstreue“ ein. Dem sonst so bedächtigen Vorsitzenden der Freien Wähler Florian Streibl platzte nach Zwischenrufen aus der AfD der Kragen. „Sie wollen das Land ins Verderben stürzen“, rief Streibl in Richtung der AfD-Fraktion: „Das ist schandbar“.
Die AfD sei „der Totengräber der demokratischen Ideale“.
Erwartungsgemäß unterstützte der Landtag mit Mehrheit einen Dringlichkeitsantrag der Regierungsfraktionen, welche die Beschlüsse der Ministerpräsidenten und deren Umsetzung durch die bayerische Staatsregierung voll unterstützt. Der Landtag kann die Staatsregierung nur zu bestimmten Handlungen auffordern, aber nicht direkt in die Pandemie-Bekämpfung eingreifen. SPD-Fraktionschef Arnold forderte, die Wirksamkeit des Lockdowns in zwei Wochen im Landtag zu diskutieren.