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Rettungshubschrauber: Die Pläne für Christoph 45 und den Rest der Flotte

Stuttgart / Lesedauer: 5 min

Neues Konzept für die Luftrettung in Baden-Württemberg vorgelegt
Veröffentlicht:17.11.2022, 18:00

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Innerhalb von 20 Minuten soll ein Rettungshubschrauber jeden Ort in Baden-Württemberg erreichen. Das ist Ziel eines neuen Konzepts für die Luftrettung. Das Landesinnenministerium hat die Pläne am Donnerstag in Stuttgart vorgestellt.

Was sieht das neue Konzept genau vor?

Statt bislang acht Rettungshubschraubern werden zehn Maschinen in Baden-Württemberg verteilt. Eine der neuen Maschinen steht künftig in Lahr (Ortenaukreis), ein weiterer bei Ravenstein (Neckar-Odenwald-Kreis). Der Helikopter Christoph 45 startet in Zukunft nicht mehr vom Klinikum Friedrichshafen aus, sondern von einem neuen Rettungsstützpunkt in Deggenhausertal-Wittenhofen (Bodenseekreis). Bis dieser einsatzbereit ist, werden laut Stuttgarter Innenministerium aber noch etwa drei Jahre vergehen. Ebenso verlegt wird Christoph 41, und zwar von Leonberg (Kreis Böblingen) an die BG Klinik Tübingen.

Welche Vorteile gibt es aus Sicht des Ministeriums?

Die derzeit acht Hubschrauber decken Baden-Württemberg nach Sicht von Experten nicht ausreichend ab – obwohl aus Nachbarbundesländern sowie aus der Schweiz ebenfalls Helikopter zu Einsätzen in den Südwesten fliegen. Aktuell erreichen sie nicht jeden Ort im Land innerhalb von höchstens 20 Minuten. Das gilt unter anderem für Regionen auf der Alb. Das soll sich ändern, wenn in zwei bis fünf Jahren die neuen Stützpunkte fertig sind. Nur ein schmaler Streifen im Osten des Kreises Ravensburg wird in der 20-Minuten-Frist nicht aus dem Südwesten, sondern nur aus dem bayerischen Kempten abgedeckt.

„Es gibt jetzt mehr Standorte für Rettungshubschrauber und mehr Stunden, in denen sie im Einsatz sind. Das ist absolut positiv“, sagte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Südwestdeutscher Notärzte (AGSWN) Professor Matthias Fischer der „Schwäbischen Zeitung“. Dennoch gebe es im Rettungsdienst noch einiges zu tun. „Noch liegt unsere Hilfsfrist für Rettungswagen bei 15 Minuten, die in 95 Prozent der Fälle eingehalten werden müssen, damit sind wir deutschlandweit im hinteren Drittel. Deswegen ist es gut, dass wir uns mit zwölf Minuten ein neues Ziel gesetzt haben. Bis das erreicht wird, dauert es aber leider noch einige Jahre“.

Was ist mit den Nachtflügen?

Bislang ist nur der Rettungshelikopter aus Villingen-Schwenningen dafür ausgerüstet. Deswegen springen nachts oft Maschinen aus der Schweiz oder Bayern ein. Nun wird auch der Hubschrauber in Pattonville bei Stuttgart für Nachtflüge ausgerüstet, die Lärmschutzprüfung läuft. Außerdem verlängert das Land eine Ausnahmegenehmigung für den Ulmer Hubschrauber von 2021. Dieser darf weiterhin kurz vor und nach Sonnenuntergang, wenn die Sicht noch gut ist, starten und landen.

„Gerade für Verletzungen wie zum Beispiel schwere Schädel-Hirn-Traumata oder Hirnblutungen sind Hubschrauber sehr wichtig, weil es die notwendige neurochirurgische Versorgung im Land nicht so häufig gibt. Deswegen wäre es natürlich gut, wenn wir die Möglichkeiten für Flüge in der Nacht oder bei schlechten Sichtverhältnissen noch ausbauen könnten durch die entsprechende Ausrüstung der Maschinen“, sagte AGSWN-Chef Fischer.

Warum wird der Rettungshubschrauber vom Klinikum Friedrichshafen verlegt?

Als Grundlage für die Entscheidung hatte das Ministerium ein Gutachten beim Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement (INM) in München in Auftrag gegeben. Das Team um den Notfallmediziner Professor Stephan Prückner werte Einsatzdaten, Flugzeiten, Wetterbedingungen und mehr aus. Die Empfehlung: Um Versorgungslücken nördlich des Landkreises Ravensburg zu schließen, sollte Christoph 45 von Friedrichshafen in Richtung Norden verlegt werden. Volker Wenzel, Chefarzt am Klinikum Friedrichshafen, hatte die wissenschaftliche Qualität des Gutachtens angezweifelt. Es gebe einen Interessenskonflikt, weil das INM vom Ministerium Geld für seine Arbeit bekomme, das öffne Tür und Tor für politische Einflussnahme.

Eine solche wies der zuständige Staatssekretär Wilfried Klenk (CDU) am Donnerstag erneut vehement zurück, ebenso wie Prückner. „Wir haben dem INM nie irgendwelche Vorgaben gemacht“, so Klenk. Auch der Landtag hatte eine von Wenzel gestartete Petition zum Erhalt des Standorts am Klinikum abgelehnt. Der AGSWN-Vorsitzende Fischer betonte: „Das Gutachten des INM bietet eine gute Grundlage für die Entscheidungen. Die Datenbasis ist solide, die Einschätzungen sind nicht aus der Luft gegriffen. Das ist alles sauber und keinesfalls sachfremd oder willkürlich“. Wenzel selbst sagte am Donnerstag: „Die Entscheidung des Innenministeriums, die neue Basis von Christoph 45 nicht in Bavendorf, sondern in Deggenhausertal zu positionieren, ist – wenn eine Verlegung unvermeidbar ist – am sinnvollsten, da dies in Richtung der Versorgungslücke auf der Schwäbischen Alb liegt.“

Was sprach aus Sicht des Ministeriums gegen einen Standort im Kreis Ravensburg?

Als Alternative galt unter anderem eine Gelände im Ravensburger Teilort Bavendorf. Doch auch andere geeignete Grundstücke zwischen Bodensee und Bavendorf seien in den vergangenen Monaten geprüft worden. Die Regierungspräsidien prüften demnach etwa, wie es jeweils um Lärmschutz, Umweltverträglichkeit und Eignung für Hubschrauber bestellt war. Der Standort im Deggenhausertal habe sich als am geeignetsten erwiesen.

Ist ein Hubschrauber auf der grünen Wiese besser aufgehoben als direkt an einem Krankenhaus?

Aus Sicht des INM und des Ministeriums macht es keinen Unterschied, wo der Helikopter startet. Schon jetzt müsse die Besatzung innerhalb von zwei Minuten ausrücken können. Das mache für die Ärzte jede parallele Tätigkeit unmöglich. Wohin ein Hubschrauber einen Patienten fliege, entscheide sich ebenfalls nicht nach dessen Standort. Es gehe vielmehr darum, wo der Betroffene am besten versorgt werden könne.

Wie geht es nun weiter?

Für alle zehn Hubschrauber-Standorte muss das Land die Leistungen neu ausschreiben. In der Regel bewerben sich darauf Organisationen wie die Deutsche Luftrettung oder der ADAC. Getrennt davon können sich Kliniken und andere Anbieter um die ärztliche Betreuung bemühen. Derzeit wird etwa der Helikopter in Friedrichshafen von deren Klinikpersonal mit besetzt. Ob das so bleibt, entscheidet sich nach der Ausschreibung und Entscheidung des Landes für einen Anbieter. Die Einsätze zahlen dann die Krankenkassen. Im Deggenhausertal müssen Land oder Gemeinde nun noch das ins Auge gefasste Grundstück kaufen und erschließen. Dann muss dort der neue Stützpunkt geplant und gebaut werden.