Schlagbaum
Auch ohne Schlagbaum sicher
Bayern / Lesedauer: 4 min

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Vor einer Minute war der Herr im fortgeschrittenen Alter noch freundlich. Doch nach einem kurzen Gespräch mit den Beamten vom Lindauer Zoll ist er sichtlich schlecht gelaunt und gestikuliert wild herum. Gerade haben die Zollbeamten seinen nicht mehr ganz neuen, silbernen Golf zur Seite gewunken. Sie hatten scheinbar den richtigen Riecher. Denn der schlechtgelaunte Golf-Fahrer hat Verdächtiges im Gepäck: vier Schlüssel, die zu Bankschließfächern in der Schweiz gehören.
Was in den Schließfächern liegt, können die Beamten nicht wissen. Vielleicht verheimlicht der Besitzer der Schlüssel etwas vor den deutschen Steuerbehörden? Die Beamten werden ihre Entdeckung an das Bundeszentralamt für Steuern in Essen melden. Hier wird ermittelt, ob die Lindauer an diesem sonnigen Tag am deutsch-österreichischen Grenzübergang bei Zech einem Steuerhinterzieher auf die Schliche gekommen sind.
Die Kontrolle führen die Beamten an einem Kreisel durch. Früher befand sich in der Nähe eine feste Zoll-Kontrollstation. Heute können Passanten und Autofahrer einfach so die Grenze überfahren – weil vor rund 30 Jahren fünf europäische Länder die Einigung des Kontinents vorantreiben wollten. Ein Europa ohne Grenzen war die Vision – ein Prinzip, das heute fester Bestandteil der Europäischen Union ist.
Erfolg dank Kooperation
Aber sind offene Grenzen nicht auch eine Gefahr für die Sicherheit? In der Region um Lindau gibt es jedenfalls vielfältige Sicherheitsvorkehrungen. Da wären die Schleierfahnder unter anderem von der Polizeiinspektion Fahndung Lindau, die unterwegs sind, um Ausweise zu prüfen, nach Waffen und Rauschgift zu suchen oder Menschen ausfindig zu machen, die auf einer Fahndungsliste stehen oder illegal eingereist sind. Bundespolizei und Zoll ermitteln sogar häufig zusammen. Erfreulich: Welche Stelle man auch fragt, die Kooperation mit den Behörden der Nachbarländer wird auf allen Ebenen gelobt. Auch auf lokaler: So schnappten Polizisten in Lindau und Bregenz im vergangenen Jahr gemeinsam ein Trio, das für über 30Einbrüche in der Region verantwortlich war.
Die Hauptaufgabe der Zollbeamten ist es dagegen, den Warenverkehr zu überwachen. Da man nicht weit von der Schweiz entfernt ist, geht es naturgemäß vor allem um Bargeld, das dem Fiskus verschwiegen wurde und nun unbehelligt nach Hause gebracht werden soll. Durch den Fall Hoeneß hat der Bargeldschmuggel auch am Grenzübergang bei Lindau zugenommen. Allein 2013 versuchten Schmuggler im Bereich Lindau 1,6Millionen Euro über die Grenze zu bringen. Doch der Zoll ist präsent.
Aus Sicht der Zollbeamten hat sich die Arbeit durch die Öffnung der Grenzen verändert. „Früher haben wir am Schlagbaum an einer Art Schleuse gearbeitet. Heute müssen wir den Personen, die wir kontrollieren wollen, hinterherfahren. Das ist natürlich mühseliger als früher“, sagt Walter Mesmer, der von seinen neun Kollegen beim Lindauer Zoll lieber Waldi genannt wird. Aber, so ergänzt sein Kollege Hagen Kohlmann, „im Grunde haben die Zollbeamten heute die gleichen Befugnisse wie früher am Schlagbaum.“ Das heißt: Sie können 30 Kilometer um die Grenze herum ohne Untersuchungsbeschluss in Handtaschen oder Koffer schauen – auf der Straße, der Autobahn oder im Zug.
Und an diesem sonnigen Maitag machen die Beamten von ihren Befugnissen ordentlich Gebrauch. Ein Beamter winkt Autos mit der Kelle aus dem fließenden Verkehr, zwei Teams mit jeweils zwei anderen Beamten befragen die Autofahrer, wo sie herkommen und ob sie Bargeld dabei haben. Ab 10 000 Euro besteht Meldepflicht. So will die EU beispielsweise Geldwäsche verhindern. Die Kontrollierten wirken angespannt, die wenigsten aber so verärgert wie der Herr im silbernen Golf.
Welche Autos man am häufigsten herauswinke? Die Frage hat Daniel Remmers, der Leiter der Kontrolleinheit, schon häufig gehört. Man dürfe nicht zu klischeehaft denken. „Nicht jeder Jaguar mit Münchner Kennzeichen hat 10000 Euro im Gepäck. Wir haben auch schon in Kleinwagen viel Geld gefunden.“
Präsenz gezeigt
Die Beamten winken an diesem Nachmittag nicht nur den ein oder anderen Porsche an den Straßenrand, sondern auch Wagen der mittleren und unteren Preisklasse. Sie schauen in Taschen, Kofferräume, Handschuhfächer – manchmal mit Unterstützung von einem Spürhund, der Bargeld erschnüffeln kann.
Die Autofahrer, die nicht herausgewunken werden, wirken erleichtert. Viele schauen noch einmal in den Rückspiegel, um zu sehen, wer aus dem Verkehr gezogen wurde. Die Kontrolle bringt den Beamten noch einige Funde. Auch wenn die Männer und Frauen vom Zoll nicht jedes Auto herauswinken können, haben sie einmal mehr Präsenz gezeigt. Und vielleicht sogar den ein oder anderen Schmuggler abgeschreckt.