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BaWü setzt Lehrer im Kampf gegen Lehrkräftemangel im Südwesten unter Druck
Baden-Württemberg / Lesedauer: 5 min

Kara Ballarin
Das Land macht Ernst: Lehrkräfte im Südwesten dürfen ihre Arbeitszeit künftig nicht mehr beliebig reduzieren ‐ außer, sie haben triftige Gründe hierfür. Auch Sabbatjahre wird die Schulverwaltung seltener gewähren.
Diese Schritte hatte Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) im März angekündigt, nun folgt die Umsetzung. Lehrerverbände befürchten, dass dadurch die Unterrichtsversorgung geschwächt statt gestärkt wird.
Wissenschaftler erstellen „Liste der Grausamkeiten“
Der Lehrkräftemangel ist deutschlandweit immens. Wie dem beizukommen ist? Das wollte die Kultusministerkonferenz der Länder von ihrer Ständigen Wissenschaftlichen Kommission wissen. Deren Gutachten vom Februar nennen Lehrerverbände „Liste der Grausamkeiten“ ‐ denn vor allem die bestehenden Lehrkräfte sollten stärker gefordert werden.
Ein Vorschlag des Beratungsgremiums: Die Länder sollen Grenzen bei der Teilzeit einführen. Neu ist dieses Vorgehen in Baden-Württemberg nicht. Schon Schoppers Vorgängerin Susanne Eisenmann (CDU) hat ihre Schulbehörden angewiesen, Lehrern nur noch mit gutem Grund weniger Stunden einzuräumen ‐ mit überschaubarem Erfolg.
Vielen Lehrer erhöhen Arbeitszeit freiwillig
Schopper und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatten zuletzt an das Verantwortungsgefühl der Lehrkräfte appelliert. Zwei Jahre hintereinander haben sie Briefe an Lehrkräfte verschickt und darum gebeten, die Deputate, also ihre Unterrichtsverpflichtung aufzustocken. Allein in diesem Jahr sind fast 2700 Menschen diesem Bitten nachgekommen und haben so nominal 286 offene Stellen besetzt.

Es braucht mehr Klarheit zur Lehrerarbeitszeit
Statt Lehrer zu Mehrarbeit zu zwingen, sollte das Land erstmal erfassen, wie viel sie neben dem Unterrichten tatsächlich arbeiten, findet Kara Ballarin.
Nun legt Schopper dennoch eine härtere Gangart ein. Damals unter Eisenmann wie auch heute wird nicht an den gesetzlichen Regeln für Teilzeit gerüttelt. Wer aus gesundheitlichen oder familiären Gründen weniger arbeiten möchte, oder mindestens 60 Jahre alt ist, kann das auch weiterhin.
Für alle anderen gilt spätestens ab dem Schuljahr 2024/25 nicht mehr ein Minimum von 50, sondern von 75 Prozent. Diesen Schritt hatte Schopper im März angekündigt, als sie einen 18-Punkte-Plan gegen den Lehrkräftemangel vorgestellt hat. 300 zusätzliche Deputate sollten dadurch aufgefangen werden.
Abstände zwischen Sabbatjahren werden größer
Entsprechende Briefe hat Schoppers Amtschef Daniel Hager-Mann bereits im Oktober an die Regierungspräsidien, die die Anträge genehmigen müssen, und an die Personalräte verschickt ‐ sie liegen der „Schwäbischen Zeitung“ vor.
Beide beginnen mit dem Verweis auf den Lehrermangel bei gleichzeitig steigenden Schülerzahlen wohl noch bis 2035. In dem einen Brief beschreibt er die künftigen Einschränkungen beim Sabbatjahr. Theoretisch ist dies aktuell alle drei Jahre möglich ‐ nach mindestens zwei Jahren Ansparzeit. Am Anfang des Berufslebens und zwischen diesen Phasen müssen Lehrkräfte nun mindestens fünf Jahre unterrichten.
„Zur Sicherung des Unterrichts,“ erklärt Hager-Mann im zweiten Brief: Da das Interesse des Landes an einer sicheren Unterrichtsversorgung in Zeiten des Lehrkräftemangels das Interesse der einzelnen Lehrkraft „grundsätzlich überwiegt“, sollen die Regierungspräsidien in der Regel keine Teilzeit unter mehr unter 75 Prozent genehmigen ‐ und falls doch, befristet auf drei Jahre.
3500 Lehrkräfte bekommen Brief
Wer aktuell weniger als 75 Prozent arbeitet, aber nicht aus familiären oder gesundheitlichen Gründen, bekommt nun einen Brief vom Regierungspräsidium. Laut Kultusministerium sind dies etwa 3500 Lehrkräfte. Spätestens bis zum nächsten Schuljahr sollen sie nämlich alle auf mindestens 75 Prozent aufstocken. Für angestellte Lehrkräfte sollen diese Regelungen genauso gelten wie für verbeamtete.
In einem solchen Brief, der der „Schwäbischen Zeitung“ vorliegt, erklärt das Regierungspräsidium einer Lehrkraft, dass ihre bewilligte Teilzeit zum Schuljahresende ausläuft. Sie solle prüfen, ob sie danach 75 Prozent oder mehr arbeiten könne. Falls die Lehrkraft weiter weniger als 75 Prozent arbeiten wolle, müsse sie ihre Gründe darlegen und gegebenenfalls nachweisen.
Und was, wenn die zusätzlichen Stunden an der Schule der Lehrkraft gar nicht gebraucht werden? Muss sie dann an anderen Schulen unterrichten? „Wir gehen bei der derzeitigen Mangellage nicht davon aus, dass es aufgrund der Teilzeiterhöhungen auf 75 Prozent zu Abordnungen kommen wird“, sagt dazu das Ministerium.
Schaden größer als Nutzen?
Lehrerverbände nennen diese Schritte kontraproduktiv. Im Verhältnis zu den insgesamt rund 110.000 Lehrkräften seien 300 Deputate nicht gerade viel ‐ der Schaden für die Attraktivität des Berufsstands aber umso größer. „So verliert das öffentliche Schulwesen junge Lehrkräfte“, sagt Matthias Schneider, Geschäftsführer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.
Matthias SchneiderDas überwiegt aus unserer Sicht mehr, als noch ein paar Teilzeitstunden rauszupressen.
In Beratungen der GEW äußerten Lehrkräfte schon heute vermehrt, dass sie lieber auf das Beamtentum verzichteten, sich stattdessen etwa an einer Privatschule anstellen lassen, um mehr Freiheiten zu haben.
Thorsten Fahrbach vom Verein Kreidestaub ‐ dieser setzt sich bundesweit für eine bessere Lehrerausbildung aus der Sicht des Nachwuchses ein ‐ bestätigt das. Er hatte Schoppers Plan im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“ jüngst als abschreckend bezeichnet. Ohne eine Aussicht auf Teilzeit sinke die Attraktivität des Lehrberufs zusätzlich.
Attraktivität des Lehrerberufs sinkt
Gerhard Brand, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung, lobt Schopper zwar dafür, dass sie von den besonders harten Vorschlägen der Wissenschaftskommission absehen will ‐ etwa die Klassengrößen zu erhöhen oder eine Deputatsermäßigung für ältere Lehrkräfte zu streichen.
Zu den Maßnahmen nun sagt er: „Das wird kein Mehr an Deputaten geben, aber der Attraktivität schaden.“ Die Schulen stünden inzwischen in Konkurrenz mit der Privatwirtschaft, die auch händeringend nach Fachkräften suche.
Dorthin werden Lehrkräfte aus seiner Sicht abwandern, weil diese mit vielen Trümpfen locken könne. Das sichere Beamtentum verliere gerade bei jüngeren Generationen seinen Reiz, außer flexibleren Teilzeitmodellen und großzügigen Sabbatjahr-Regelungen gebe es nicht mehr viele Trümpfe, um den Lehrerberuf für junge Menschen attraktiv zu halten. „Wenn nun deshalb nur jede 200. Lehrkraft aufgibt, und ich gegenrechne, mit dem, was ich an Deputaten gewinne, wird das nichts bringen.“