Hitzige Debatte
Zum Abschuss freigegeben: Wenn geschützte Tiere ins Fadenkreuz rücken
Baden-Württemberg / Lesedauer: 5 min

Sebastian Winter
Wann darf ein streng geschütztes Tier abgeschossen werden? Das Bundesnaturschutzgesetz besagt: Unter anderem, wenn die Gesundheit des Menschen gefährdet ist oder erhebliche wirtschaftliche Schäden drohen.
Trotzdem verfahren die Länder bei dieser Frage oft unterschiedlich. Was für Wolf, Fischotter und Biber in Baden–Württemberg und Bayern gilt — und was Naturschützer dazu sagen.
Wolf nach 150 Jahren zurück in Baden–Württemberg
Über 150 Jahre wurde er in Baden–Württemberg nicht gesichtet, seit 2015 ist er wieder da: der Wolf. Etwa 20 Exemplare wurden seitdem zumindest auf der Durchreise nachgewiesen, vier gelten laut des baden–württembergischen Umweltministeriums als sesshaft.
Sprecherin Landesbauernverband BWSchadstiftende Wölfe müssen schnell und unbürokratisch entnommen werden können.
Darüber freuen sich nicht alle. Vor allem Landwirte fürchten den Wolf, der sich im Land bereits mehrfach an Schafen und sogar Rindern gütlich getan hat. Das Land fördert deshalb Schutzmaßnahmen und zahlte dafür nach eigenen Angaben seit 2018 etwa zehn Millionen Euro an Nutztierhalter. Diese beklagen aber den hohen Arbeitsaufwand, der für sie etwa durch den Bau von Zäunen entstehe.
Diese Ausnahmen gelten in Baden–Württemberg
Das Töten von Wölfen ist in Deutschland verboten und strafbar. Im Bundesnaturschutzgesetz sind aber Ausnahmen geregelt, die auch in Baden–Württemberg gelten. Verhält sich ein Wolf gegenüber Menschen auffällig oder überwindet er wiederholt Herdenschutzzäune, können die Behörden einen Abschuss erlauben.
Dazu ist es laut Umweltministerium seit der Rückkehr noch nicht gekommen, ebenso wenig zu Attacken auf Menschen. Der baden–württembergische Landesbauernverband wünscht sich dennoch einen anderen Umgang. „Schadstiftende Wölfe müssen schnell und unbürokratisch entnommen werden können“, sagt eine Sprecherin.
Einfacherer Abschuss in Bayern
Was sich Landwirte in Baden–Württemberg wünschen, gilt aufgrund einer neuen Verordnung seit Mai in Bayern: Reißt ein Wolf in einem als nicht schützbar eingestuftem Gebiet ein Nutztier, darf er abgeschossen werden. Als nicht zu schützende Gebiete zählen etwa Almen oder Alpen. Außerdem darf dann auf Verdacht geschossen werden. Ein vorheriges DNA–Verfahren zur eindeutigen Bestimmung des verantwortlichen Tieres sieht die Verordnung nicht vor.
Der Wolf gefährde die Weidewirtschaft, begründete das bayrische Umweltministerium im Frühjahr die Verordnung. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sprach von einem „sehr, sehr guten“ Erhaltungsstand. In Bayern gelten über 20 Exemplare als sesshaft. Laut Umweltministerium sei noch kein Wolf abgeschossen worden.
BUND sieht Verstoß gegen Naturschutzrecht
Derweil gibt es auch auf Bundesebene eine Diskussion um den Abschuss der Wölfe. Sowohl Umweltministerin Steffi Lemke als auch Agrarminister Cem Özdemir (beide Grüne) wollen einen einfacheren Abschuss. Zur genauen Umsetzung will Lemke Ende September konkrete Vorschläge vorlegen.
Nach Ansicht des Bund Naturschutzes (BUND) in Bayern verstößt aber bereits die bayrische Verordnung „massiv gegen europäisches und deutsches Naturschutzrecht“, sagt Artenschutzreferatsleiterin Christine Margraf. Die Anforderungen an die Tötung einer streng geschützten Art würden unterlaufen und der Abschuss auch für Wölfe zugelassen, die kein auffälliges Verhalten gezeigt haben. Kritiker vermuten, dass auch der laufende Landtagswahlkampf CSU und Freie Wähler zu diesem gerade im ländlichen Raum populären Schritt bewogen hat. Gegen die Verordnung hat der BUND in Bayern geklagt.
Fischotterverordnung ebenfalls in der Kritik
Als rechtswidrig bezeichnet Margraf auch die neue Fischotterverordnung in Bayern, die zum 1. August in Kraft getreten ist. Fischotter sollen in Niederbayern und der Oberpfalz erlegt werden dürfen, wenn sie erhebliche wirtschaftliche Schäden verursachen und Abwehrzäune als nicht zumutbar gelten - und zwar ganz ohne Ausnahmegenehmigung. In den Landkreisen leben nach Schätzungen des bayrischen Landwirtschaftsministeriums etwa 650 der streng geschützten Tiere.
Mit der Verordnung will das Land nach eigener Aussage die Teichwirte schützen. Da der Fischotter pro Tag über einen Kilogramm an Fisch fresse, seien diese besonders von Schäden betroffen. „Wenn Fische aus Teichen gefressen werden, übersteigen die Schäden schnell den wirtschaftlichen Ertrag“, sagt ein Sprecher des Ministeriums. Seit 2016 habe sich die Schadenssumme durch Fischotter verzehnfacht.
Umweltministerium Baden-WürttembergBisher besteht in Baden–Württemberg kein Anlass, die Entnahme von Fischottern als mögliche Option in Betracht zu ziehen.
Der BUND in Bayern übt Kritik. Der Erhaltungsstand des Fischotters in Bayern sei ungünstig, die Tötung habe keinen wirksamen Effekt. „Bei Entnahme eines Tieres schließen abwandernde Jungtiere die Lücke oder angrenzende Tiere erweitern ihr Revier“, erklärt Artenschutzreferatsleiterin Margraf.
Der deutsche Fischereiverband (DFV) sieht das anders. In einer Mitteilung, die der Verband am Dienstag veröffentlichte, bezeichnet der DFV den Otter als eine „nicht mehr gefährdete“ Art. Weil er die Fischbestände bedrohe, müsse sein Schutzstatus angepasst werden, fordert der DFV.
Kaum Fischotter in Baden–Württemberg
In Baden–Württemberg ist es derweil noch ruhig um den Fischotter. In den vergangenen Jahren habe es laut Umweltministerium lediglich vereinzelte Sichtungen gegeben — die ersten nach fast 100 Jahren. Eine separate Verordnung gibt es nicht. „Bisher besteht in Baden–Württemberg kein Anlass, die Entnahme von Fischottern als mögliche Option in Betracht zu ziehen“, sagt eine Sprecherin des Ministeriums.
Es sei fraglich, ob die neue Verordnung in Bayern mit europäischem und nationalem Recht vereinbar ist.
Biber–Abschüsse könnten vereinfacht werden
Beim Biber hingegen nähert sich Baden–Württemberg seinem Nachbarland an. Beide Bundesländer gelten als weitgehend besiedelt, verfahren aber aktuell noch unterschiedlich. In Bayern gilt eine Ausnahmeverordnung, die das Töten von Biber vereinfacht. Im vergangenen Jahr seien laut des bayrischen Landesamtes für Umwelt 2315 Biber in Bayern erlegt worden.
Baden–Württemberg hat noch keine separate Verordnung. Im März 2022 startete das Land ein Modellprojekt nach bayrischem Vorbild, unter anderem in den Landkreisen Sigmaringen, Ravensburg und Biberach. Hier gebe es laut Umweltministerium eine starke Besiedlung und vermehrt Konflikte für Landwirte oder Fischzüchter. Einige Konflikte könnten durch aktuelle Methoden nicht gelöst werden.
Das Ministerium will prüfen, inwieweit das bisherige Bibermanagement um die letale Entnahme — also die Tötung — erweitert werden kann. Zwei Konfliktfälle befänden sich derzeit in der abschließenden Prüfung. Es wären laut Ministerium die ersten Biber, die in Baden–Württemberg getötet würden. Das Projekt läuft noch bis Ende des Jahres.