Baden-Württemberg
Ufos im Anflug: Von der Spinnerei zur ernsthaften Wissenschaft
Ravensburg / Lesedauer: 7 min

Schwäbische.de
Ein wunderschönes Zitat der Weltliteratur: „Es gibt mehr Ding' im Himmel und auf Erden, Horatio, als Eure Schulweisheit sich träumt", ließ der englische Dramatikerheld William Shakespeare vor mehr als 400 Jahren seinen Hamlet sagen. Der Satz hat Ewigkeitscharakter. Vielleicht ging er vergangenen August auch einem Besucher des Europaparks beim badischen Rust durch den Kopf.
Er hatte von Balkon eines Hotels ein Foto gemacht und später darauf seltsame Lichter am Himmel entdeckt. Sein Gedanke: Ufos, unbekannte Flugobjekte. Deshalb schickte er die Aufnahme an eine Uni–Forschungsstelle in der fränkischen Mainstadt Würzburg, die sich mit solchen Phänomen beschäftigt. Wodurch die Geschichte dokumentiert wurde.
Nun mag manch aufgeklärter Zeitgenosse angesichts einer solchen Beobachtung die Nase rümpfen. Schließlich gelten Ufos bei vielen Leuten als unseriöses Thema — zumal, wenn sie noch als fliegende Untertassen verunglimpft werden und grüne außerirdische Männlein enthalten sollen.
Einrichtung für außerirdische Forschungen
Andererseits bringt das Shakespeare–Zitat auf den Punkt, dass es eben Ungewissheiten gibt. Und denen lässt sich nachgehen — auch höchst seriös. Bemerkenswerterweise existieren gerade im deutschen Süden interessante Ansätze dafür. Einer davon wird von Hakan Kayal verantwortet, einem Professor für Raumfahrttechnik. Er sitzt in Würzburg und leitete besagte Forschungsstelle, das Zentrum für Extraterrestrik.
Lapidar formuliert, könnte man von einer Einrichtung für außerirdischen Forschungen sprechen. In ihrer Form ist sie einzigartig in Deutschland. Unter anderem geht es in Würzburg auch um die Suche nach Leben jenseits der Erde. Ebenso wenden sie Wissenschaftler ihre Blick auf Unidentified Aerial Phenomena, also auf unidentifizierte Phänomene in der Luft — letztlich ein erweiterter Begriff für die Ufo–Suche. Wie das bereits erwähnte Beispiel aus dem Europapark zeigt, können schon reine himmlische Lichterscheinungen Rätsel aufgeben.
Unzählige Irrtümer
Tatsächlich ist erst einmal offen, was der Gast des Vergnügungsparks fotografiert hat. „Für die meisten Beobachtungen gibt es sehr einfache Erklärungen“, lautet dazu die Erfahrung von Kayal. „Ballons jeglicher Art, Partylichter, fliegende Tüten oder Verpackungsmaterial, Vögel, Drohnen, Flugzeuge, Planeten, die Liste ist sehr lang.“
Jegliche Irrungen scheinen möglich. So waren Bewohner am östlichen Bodensee im Sommer 2021 irritiert, als auf dem 2502 Meter hohen Gipfel des nahen Säntis grüne Strahlen auffällig wurden. Ein Laserangriff durch Raumschiffe? Aliens am Schwabenmeer? Nein, ein wissenschaftliches Experiment der Uni Genf — zugegeben aber höchst futuristisch wirkend: Die Abwehr von Blitzen bei Gewittern durch Laserstrahlen.
Ungeklärte Beobachtungen
Womit der Fall gelöst ist. Kayal verweist aber darauf, dass diverse Beobachtungen ohne Erklärung bleiben. Der Wissenschaftler beruft sich dabei auf Zahlen offizieller staatlicher Stellen, etwa der französischen Raumfahrtagentur CNES. Wie es heißt, sind gut drei Prozent aller von ihr erfassten Sichtungen rätselhaft geblieben. In absoluten Zahlen wären dies 99 Fälle.
Wesentlich mehr bietet ein amerikanischer Überblick. Er wird vom Direktor der nationalen Nachrichtendienste veröffentlicht, dem Koordinator von 17 US–Einrichtungen, die im Geheimen arbeiten, so dem CIA. Im neuesten Bericht von August 2022 ist von 510 ungeklärten Beobachtungen die Rede. Wobei der betrachtete Zeitraum bis 2004 zurückreicht. Auffallend dabei: Zahlreiche Sichtungen wurden offenbar von verschiedenen technischen Sensoren erfasst. Bordinstrumente von US–Kampfpiloten sollen dabei eine Rolle spielen.
Außerirdisches Leben?
Jedenfalls sind es solch ungeklärten Ereignisse, die Kayal umtreiben. „Diese Beobachtungen bieten das Potenzial, eine der wichtigsten Entdeckungen der Menschheitsgeschichte zu werden“, meint er. „Deshalb müssen wir der Sache auf den Grund gehen.“
Ganz konkret wird Andreas Anton, ein weiterer Wissenschaftler: „Im Vordergrund stand und steht für mich dabei die Frage, die viele Menschen beschäftigt: Sind wir allein? Die Entdeckung außerirdischen Lebens wäre nichts weniger als eine der bedeutendsten wissenschaftlichen Entdeckungen aller Zeiten.“
Mörderische Aliens im Kino
Anton ist gelernter Soziologe. Er arbeitet am Freiburger Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene. Dort im Breisgau am Fuß des Schwarzwaldes treibt ihn um, wie erste Kontakte zu Außerirdischen ablaufen könnten. Zusammen mit seinem Forscherkollegen Michael Schetsche hat er 2018 das Buch „Die Gesellschaft der Außerirdischen“ veröffentlicht.
Ein öfter daraus zitierter Standpunkt lautet: „Wir prognostizieren jetzt schon einmal, dass uns im Hinblick auf die Fremdartigkeit einer außerirdischen Intelligenz noch die eine oder andere große Überraschung bevorstehen wird.“
Bisher prägen eher filmische Blockbuster das Bild von einem möglichen Zusammentreffen. Da gibt es den herzigen E.T., der aus Versehen auf der Erde verloren geht, von bösen Regierungsbeamten gejagt und von lieben Kindern beschützt wird: ein beschauliches Märchen. Gängiger scheinen aber Strickmuster wie beim fast schon legendären Independence Day zu sein: Mörderische Aliens fallen über die Menschheit her.
Die Area 51 und Verschwörungstheorien
Dieser 1996 entstandene Streifen enthält einige Klischees, die Ufo–Enthusiasten abseits seriöser Wissenschaft schon lange elektrifizieren: darunter ein von Außerirdischen zu Forschungszwecken entführter Pilot. Besonders wild erscheint jedoch die filmische Verknüpfung mit der Area 51, ein Lieblingsort von Verschwörungstheoretikern.
Eigentlich ist das Gebiet bloß Sperrgebiet des US–Militärs. Mancher glaubt jedoch, die Amerikaner würden dort Raumschiffteile und Alien–Leichen des sogenannten Roswell–Zwischenfalls aus dem Jahr 1947 lagern.
Die Grundlage des Mythos ist simpel. Ein Rancher hatte rätselhafte Trümmerteile entdeckt. Soldaten bargen sie. Offiziell soll ein Wetterballon abgestürzt sein. Nicht jeder vor Ort glaubte dies — zumal zuvor Eheleute ein großes glühende Objekt am Himmel gesehen haben wollten. Damit waren allerlei Spekulationen Tür und Tor geöffnet.
Das Schlüsseljahr der Ufo–Geschichte
1947 gilt als Schlüsseljahr der Ufo–Geschichte. Zuvor hatte es über Jahrhunderte hinweg zwar immer mal wieder Berichte über mysteriöse Flugobjekte gegeben. Doch solche Erscheinungen wurden meist Geistern zugewiesen: in Südwestdeutschland gerne dem durch die Lüfte tobenden Wotans Heer. Erst als im Zuge des Zweiten Weltkriegs die Raketenforschung richtig Fahrt aufnahm, entwickelte sich ein wirkliches Ufo–Interesse.
Die erste dokumentierte Sichtung gab es kurz vor dem Roswell–Ereignis. Angeblich schossen neun hellblau–weiß leuchtende Objekte mit hoher Geschwindigkeit den Himmel im US–Bundesstaat Washington entlang. Der Zeuge Kenneth Arnold beschrieb ihre Bewegung mit der einer „Untertasse, wenn man sie über Wasser springen lässt“. Was sinnigerweise zum Ufo–Synonym „fliegende Untertasse“ führte.
Mehr als 5200 Sichtungen über Deutschland
Von Anfang an waren die USA das klassische Land für Beobachtungen seltsamer Himmelserscheinungen. Je nach Zählart haben Geheimdienste oder das Pentagon zehntausende solcher Ereignisse registriert. In Deutschland versucht die in Nordrhein–Westfalen ansässige Gesellschaft zur Erforschung des Ufo–Phänomens einen Überblick zu gewähren. Ihr sind in den vergangenen 50 Jahren mehr als 5200 Sichtungen gemeldet worden, davon 577 Fälle in Baden–Württemberg.
„Etwa fünf Prozent aller Fälle konnten wir keiner eindeutigen oder wahrscheinlichen Erklärung zuführen“, sagt der Vereinsvorsitzende Hans–Werner Peiniger. Er will aber nicht über mögliche außerirdische Besucher spekulieren. Möglicherweise könnten „uns bisher unbekannte Ursachen dahinter stecken“, Naturphänomene vielleicht oder geheime Militärtechnologie.
Rätselhaftes beim Ravensburger Gefängnis
Vier ungeklärte Sichtungen haben sich in Baden–Württemberg ereignet. Die jüngste wurde vom Ravensburger Gefängnis Hinzistobel aus gemacht. Ein Häftling sah eines Abends im Jahr 2020 aus dem Zellenfenster. Da sei ein Lichtstrahl aus dem Gefängnis gewesen — und darunter eine schwebende zylinderförmige rote Erscheinung mit geschätzten 20 Zentimetern Durchmesser. Zuletzt habe sich das Objekt wie ein Wurm gewandt und sei dann in den Nachthimmel geschossen.
Die anfangs beschriebene Beobachtung am Europapark in Rust wird inzwischen auch bei der Gesellschaft zur Erforschung des Ufo–Phänomens bearbeitet. Bis zu einer abschließenden Beurteilung der Himmelslichter auf der Fotografie kann es dauern.
Wer aber vorsorglich lästern will, kann sich der gegenwärtigen Ballon–Hysterie in den USA anschließen: chinesische Spionage–Apparate — oder darüber hinaus doch echte Ufos? Vielleicht erweisen sich ja die Himmelslichter über dem Europapark als entsprechende Objekte mit dem Ziel der Spaßbeobachtung? Alles ist möglich, wie Shakespeare einst dichtete.