Prozess um Tierquälerei
Freispruch statt Strafe - Schweizer Gericht watscht Veterinäramt ab
Arbon / Lesedauer: 9 min

Erich Nyffenegger
Die Urteilsverkündung am gestrigen Dienstag in der Sache gegen den Landwirt K. beginnt am Bezirksgericht Arbon mit einem Paukenschlag. Genauer gesagt mit einer krachenden Tür, zugeschlagen von zwei Tierschützerinnen, die vom Urteil entsetzt sind. „Da wird mir schlecht!“, ruft eine der beiden den Richtern zu, bevor sie den Saal verlässt.
Der RichterDie Anklage ist in sich zusammengebrochen
Damit hätten die wenigstens gerechnet, dass Ulrich K., von den Boulevardzeitungen „Tierquäler von Hefenhofen“ getauft, nicht die sechseinhalb Jahre Gefängnis wie von der Staatsanwaltschaft gefordert bekommt, sondern in wesentlichen Punkten freigesprochen wird. Der Grund: „Die Anklage ist in sich zusammengebrochen“, erklärt der Vorsitzende Richter, der die vorgelegten Beweise gegen K. in seinen dreistündigen Ausführungen in der Luft zerreißt.
Kontrolleuren fällt ein verletztes Fohlen auf
Dabei schien die Sache so klar, dabei hätte sie so gut ins Bild dessen gepasst, was Behörden und teils Medien über diesen 54 Jahre alten Ulrich K. in Akten und Texten festgehalten haben. Die Liste der dokumentierten Vorfälle ist zwar lang, doch wie weit der Landwirt im Verfahren um den wohl gravierendsten Tierschutzskandal jüngerer Zeit in der Schweiz wirklich zu gehen bereit war, liest sich auf der Seite 73 des Berichts einer Untersuchungskommission des Kantons am eindrücklichsten: Es ist Sommer 2015. Bei einer von vielen Begehungen durch das Veterinäramt des Kantons Thurgau mit dem Amtstierarzt und einem externen Sachverständigen auf dem Hofgut des Landwirts K. fällt den Kontrolleuren ein verletztes Fohlen auf.
Eigentlich sollen sie überprüfen, ob der Bauer endlich Auflagen des Tierschutzes umgesetzt hat, damit er ein Halteverbot doch noch abwenden kann. Die Kontrolleure ordnen an, dass K. mit dem Jungpferd noch am gleichen Tag einen Tierarzt aufsuchen muss. Anderntags stellt sich gemäß Amt heraus, dass K. diese Anweisung — wie schon so viele zuvor — ignoriert hat.
Landwirt erschießt das Fohlen mit Bolzenschussgerät
Das Veterinäramt beschließt daraufhin, das Fohlen zu beschlagnahmen und zur weiteren Untersuchung in das Tierspital Zürich bringen zu lassen. An diesem 2. Juli um 14.30 Uhr eröffnen der Amtstierarzt sowie zwei Polizisten dem Landwirt den Beschluss. Ein Fahrzeug der Tierambulanz wartet schon.
K. reagiert aufgebracht und kündigt an, das Fohlen zu erschießen. Noch bevor die Beamten das Tier verladen können, eskaliert die Situation — K. kommt mit dem Fohlen und einem Bolzenschussgerät herbei und setzt in voller Hast zuerst einen Schuss auf die Stirn und anschließend ins Genick.
Doch selbst das tote Tier gibt K. nicht heraus. Er droht dem Amtstierarzt mit dem Tod, das Messer sitze locker bei ihm. Und er wisse schon, wie er ihn um die Ecke bringen könne. Das werde er nicht selbst tun, sondern fünf Rumänen dafür 1000 Franken in die Hand drücken. Das Veterinäramt versucht eiligst einen Herausgabebefehl durch die Staatsanwaltschaft zu erwirken, um das Fohlen zur Beweissicherung untersuchen zu können.
Wegen eines Formfehlers scheitert die Herausgabe und im Untersuchungsprotokoll wird festgehalten, wie K. die Beamten zum Abschied verhöhnt. „Somit verließen wir den Hof nach vier Stunden ohne etwas. Den Erhalt des (mangelhaften) Herausgabebefehls unterzeichnete K. mit einem großen Lachen.“
Ein „rechtsfreier Raum“, grauenvolle Zustände
Über dem Ort des Grauens — Behörden hatten den landwirtschaftlichen Hof in einem Weiler von Hefenhofen selbst schon als „rechtsfreien Raum“ bezeichnet — wölbt sich am Sonntag vor dem letzten Prozesstag ein wechselhafter Himmel. Wer den Weg vom Bodenseeufer über die Orte und Dörfchen Uttwil, Dozwil und Hamisfeld nimmt, erlebt eine hübsch herausgeputzte Bilderbuch–Schweiz, in der Böses unter dem Eindruck von saftig ergrünenden Wiesen fast unvorstellbar scheint.
Gerade deshalb ist der große Hof, auf dem grauenvolle Zustände geherrscht haben sollen, sofort zu erkennen: Gerümpel und Schrott stapeln sich um die Wirtschaftsgebäude. Dutzende alter Fahrzeuge ohne Nummernschilder stehen wahllos verteilt. Der verwitterte Holzzaun des straßenseitigen Gärtchens ist umflochten von verdorrtem Unkraut, um das sich seit Jahren niemand gekümmert hat. Ein Gerüst am Wohngebäude steht da wie ein Skelett, inzwischen selbst überwuchert und offenbar vor Jahren aufgestellt zu Instandsetzungsarbeiten, die nie stattgefunden haben. Schindeln sind brüchig oder fehlen ganz. An vielen Stellen ist der Putz abgeblättert, sodass Mauerwerk und Holzbalken darunter zum Vorschein kommen.
Der äußere Zustand dieses desolaten Hofguts ist nach allem, was Behörden, Justiz und Tierschützer seit der Jahrtausendwende dokumentieren, der Spiegel dessen, was im Inneren des Landwirts K. vorgeht. Im Gerichtssaal gibt sich der Mann vollkommen gelassen, während der Richter das Urteil verliest, huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Die grauen Haare der Stirnglatze lassen den 54–Jährigen älter erscheinen als er ist. Meist sitzt er mit in die Hosen gesteckten Händen am Tisch neben seinem Verteidiger.
50 Verurteilungen wegen verschiedenster Delikte
Der schmucklose Vortragssaal, randvoll mit Zuschauern und Journalisten besetzt, hält den Atem an und erwartet den Höhepunkt nach einer Justiz– und Gerichtsvergangenheit des Ulrich K., die bis zum heutigen Tag bereits rund 50 Verurteilungen umfasst. Und die von massiven Verstößen gegen das Tierschutzgesetz bis hin zu Bedrohung, Beleidigung, unerlaubtem Waffenbesitz, gewerbsmäßigen Verstößen gegen das Lebensmittelrecht und etlichen weiteren Gesetzen mehr reichen.
Verkürzt gesagt: Der Schweizer Staat und seine Institutionen zeigten sich gegen einen Mann, der offensichtlich alle Beteiligten fast nach Belieben vor sich hertreiben konnte — über 30 Jahre hinweg mehr oder weniger wehrlos. Die Schweizer Boulevardzeitung „Blick“ hatte das ganze Land 2017 mit Fotos von verhungerten oder verhungernden Pferden geschockt, deren Rippen hervorstachen.
Beamte verhöhnt, Tiere systematisch gequält
Eine öffentlich zugängliche Chronologie des Falls Hefenhofen listet haarklein alle seit 1994 aktenkundigen Vorfälle auf. Sie stammt von einer eigens eingesetzten Untersuchungskommission. Die Lektüre zeigt einerseits einen entfesselten Wüterich, der Beamte verhöhnt, Tiere systematisch quält, vernachlässigt und verhungern lässt. Und andererseits verängstigte Behörden, die aus Furcht vor dem Furor des K. nur zögerlich agieren und mit gut gemeinter Milde auf die tauben Ohren eines Akteurs stoßen, der jedes Angebot zur Verständigung konsequent als Schwäche auszunutzen versucht.
Diese Schwäche der Ämter und Behörden, die untereinander nicht effektiv kommunizierten, sind die Grundlage dafür, dass K. überhaupt so lange so agieren konnte. Auch wenn der Untersuchungsbericht das in freundlicheren Worten ausdrückt: Die offiziellen Stellen tragen demnach eine gehörige Mitschuld an den fortwährenden Zuständen, unter denen Pferde, Rinder, Schweine und andere Tiere zu leiden gehabt haben sollen, weil sie nicht früher und konsequenter abgeschafft wurden.
Am Ende rückten im Sommer 2017 die Behörden zu einer Zwangsräumung an, um dem Treiben ein Ende zu setzten. Aus Sicht des Veterinäramts wohl ein konsequenter Schritt gegen einen Mann, den bislang weder Auflagen noch Bußen oder sogar eine kurze Gefängnisstrafe wirklich aufhalten konnten.
Beweismittel nicht verwertbar
Nur: Vor Gericht in Arbon zählt das am Ende alles nichts, denn der Richter stellt klipp und klar fest, dass die Räumung des Hofs rechtswidrig war. Die daraus gewonnenen Beweismittel nicht verwertbar, weil grobe Verfahrensfehler geschehen sind.
Mehr noch: „Wir wussten, wir dürfen die Beweise nicht würdigen, habe es aber trotzdem getan, um zu sehen, was dabei rausgekommen wäre.“ Die Antwort ist „null. nada“. Die Behörden haben nach Auffassung des Gerichts weder bei der Räumung des Hofs, noch bei der Sicherstellung von 150 Pferden und all den anderen Tieren Belege dafür geliefert, dass der Landwirt K. zum Zeitpunkt der Räumung, der davor in Gewahrsam genommen worden war, tatsächlich so desaströs gewirtschaftet hat.
Wer auf den Spazier– und Wanderwegen das große Hofgut umrundet, sieht heute zwar keine Tiere mehr. Doch der verwahrloste Zustand aller Gebäude drückt die Überforderung aus, die geherrscht haben muss — und womöglich heute noch herrscht. In einem Mediationsverfahren zwischen Landwirt und Veterinäramt kurz vor besagter Zwangsräumung war K. schließlich bereit, die Tierzahlen zu reduzieren und nur noch 80 Pferde zu halten.
Überforderung ist auch das Stichwort, wenn es um ähnliche Skandale in der Region geht. Aus jüngerer Zeit sind noch die Verurteilung eines Schweinezüchters aus Merklingen wegen Tierquälerei im Gedächtnis. Und der Fall von Bad Grönenbach, wo Landwirte Kühe und Kälber vernachlässigten, sodass Tiere verendeten. Der Strafprozess in Memmingen ging mit Gefängnisstrafen zu Ende.
Acht Monate auf Bewährung
Die bleibt Ulrich K. nun erspart, sofern er sich nichts mehr zu Schulden kommen lässt. Er kommt am Ende mit acht Monaten auf Bewährung wegen Tierquälerei und anderen Delikten davon — viele bereits verjährt oder aus Mangel an Beweisen oder schlechter Qualität der Beweise nicht als Grundlage einer Verurteilung tauglich, wie der Richter nicht müde wird zu betonen. K. wird auch kein Tätigkeitsverbot auferlegt, allerdings muss er 1800 Franken Strafe bezahlen. Im Vergleich zu den Kosten, die der Prozess verursacht hat, nicht der Rede wert: Allein das Honorar für den Verteidiger von K., das zum allergrößten Teil die Staatskasse trägt, übersteigt gemäß Gericht 150.000 Franken. Pikantes Detail: Für Verunglimpfungen durch die Medien spricht es dem Landwirt einen Betrag von 6000 Franken zu. Der Richter nimmt die Medienvertreter ins Gebet, Vorverurteilungen von Menschen nicht allein auf Grundlage von einzelnen Fotos vorzunehmen.
Bei den Ausführungen des Vorsitzenden, die mehr oder weniger zur Generalabrechnung mit der Veterinärbehörde werden, nickt Ulrich K. immer wieder und lächelt. Dabei zeigen die vielen Urteile in den vergangenen 25 Jahren, dass der Landwirt im Umgang mit Tier und Mensch beileibe kein Waisenknabe ist. Das Urteil des Bezirksgerichts Arbon sagt auch weniger über K. und seine Qualitäten als Tierhalter aus, aber umso mehr über die beteiligten Kantonsbehörden, die entweder gar nicht, zaghaft oder aber ohne Rechtsgrundlage — wie im Falle der Zwangsräumung — handelten. So jedenfalls sieht es das Gericht.
Bald steht der Kantonstierarzt vor Gericht
In einem weiteren Verfahren muss sich der Thurgauer Kantonstierarzt demnächst vor einem Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, ein seit 2013 geltendes Teilhaltungsverbot und nach 2018 erlassenes totales Tierhalteverbot gegen den Landwirt nicht durchgesetzt zu haben. Die beiden Tierschützerinnen, die unter Protest und knallenden Türen den Sitzungssaal verlassen haben, wird das aber kaum trösten können.