Wrack der Säntis
Versenktes Dampfschiff soll wieder aus dem Bodensee auftauchen
Romanshorn / Lesedauer: 6 min

Ulrich Mendelin
Der Säntis dominiert mit seinem 2500 Meter hohen Gipfel und dem weithin sichtbaren Sendemast als Landmarke die Kulisse des Bodensees. Die Säntis liegt seit 90 Jahren auf dem Grund des Sees — versenkt, weil man sie nicht mehr brauchte. Sie war eines von 76 Dampfschiffen, die in Spitzenzeiten auf dem Bodensee unterwegs waren.
Silvan Paganini möchte die Säntis wieder ans Licht bringen. Von einer „weltweit einzigartigen Bergungsmission“ spricht der Schweizer, der dazu am Freitagmorgen die Presse nach Romanshorn eingeladen hat, in die Werft der Schweizerischen Bodensee–Schifffahrt.
Paganini ist Präsident des Romanshorner Schiffsbergevereins, den es seit Donnerstag gibt — und dieser Verein sucht Geld.
Für Taucher nicht erreichbar
Auf der Crowdfunding–Plattform Lokalhelden.ch der Schweizer Raiffeisen–Genossenschaft wirbt er um Spenden, die helfen sollen, die Säntis zu bergen. Im Moment ruht sie 210 Meter unter der Seeoberfläche, so tief, dass sie auch für Taucher nicht zu erreichen ist.
Die Tiefe und gleichzeitig die Schwere des Wracks sind der Grund, aus dem Paganini sein Vorhaben mit der Besteigung des Mount Everest vergleicht: „Sie können das planen, aber erst, wenn Sie am Berg stehen, wissen Sie, ob sie hinaufkommen oder nicht.“
Im Hauptberuf bei der Schweizerischen Bodenseeschifffahrt
Hilfreich ist sicherlich, dass der Präsident des Schiffsbergevereins im Hauptberuf Technischer Betriebsleiter für Nautik und Werft bei der Schweizerischen Bodenseeschifffahrt (SBS) ist, also des eidgenössischen Teils der Weißen Flotte. Zuvor war der Ostschweizer Paganini auf Hoher See, als Kapitän des nach seiner Aussage größten Konstruktionsschiffs der Welt, etwa am Bau der Pipeline Nord Stream 2 beteiligt. Die Bergung eines Dampfschiffs ist politisch weniger heikel, aber dennoch eine Herausforderung. „Das ist ein Riesen–Wrack, das wir hier anheben möchten“, sagt Paganini.
400 Personen konnte die 49 Meter lange, fast elf Meter breite Säntis an Bord nehmen. Mit ihrem 450 PS starken Dampfantrieb erreichte das 1892 in Dienst gestellte Schiff Geschwindigkeiten von bis zu 26 Stundenkilometern. Erster Eigentümer war die Schweizerische Nordostbahn, die 1902 in den Schweizerischen Bundesbahnen aufging.
Dampfkessel drohte zu explodieren
In einer Machbarkeitsstudie, die nun für die Bergung erstellt wurde, werden die Umstände beschrieben, unter denen die Säntis versenkt wurde. Bei einer Überprüfung des Dampfkessels 1931 warnte der Kesselinspektor demnach vor Explosionsgefahr. Die Leitung des Schifffahrtsbetriebes erreichte noch eine Verlängerung der Betriebserlaubnis, bis 1933 ein neues Schiff zur Verfügung stand, die MS Zürich.
Daraufhin wurde die Säntis am 2.Mai 1933, nachdem Fenster und Inventar, aber auch wertvolle Materialien wie Messing und Kupfer entfernt worden waren, in die Mitte des Sees geschleppt. „An Bord wird eine Rauchpetarde im Kamin gezündet und das Seeventil im Rumpf des Schiffes wird geöffnet“, heißt es in dem Bericht. „Das Dampfschiff versinkt am Nachmittag am 2. Mai 1933 in nur viereinhalb Minuten vor den Augen von rund 400 Zuschauern im Bodensee.“
Tauchroboter ein zunehmendes Problem
Etwa fünf Kilometer vom Ufer in Romanshorn entfernt in Richtung Langenargen sei das gewesen, sagt Paganini. „Die genauen Koordinaten nenne ich Ihnen nicht.“ Zwar könnten Taucher das Wrack nicht erreichen, wohl aber immer ausgefeiltere Tauchroboter, die von Schatzjägern auf der Suche nach Trophäen genutzt werden. Dieses Phänomen, sagt der Romanshorner Werftchef, „wird immer mehr ein Problem“.
Silvan PaganiniDas ist ein Riesen–Wrack, das wir hier anheben möchten
Paganini möchte schneller sein. Am Freitag hat er in seiner Eigenschaft als Präsident des Bergevereins seinem Arbeitgeber SBS das Wrack abgekauft, für einen symbolischen Franken. Den Franken nimmt SBS–Verwaltungsratspräsident Hermann Hess entgegen. Der erklärt auch, warum die SBS, die 2007 von den Schweizerischen Bundesbahnen privatisiert und an eine Gruppe regionaler Investoren verkauft wurde, die Bergung nicht selbst übernimmt: „Wir sind kein Museum“, betont Hess, der als Immobilienunternehmer selbst einer der Investoren der Schiffffahrtsbetriebe ist. „Wir müssen unablässig an die Zukunft denken und jeden Franken zweimal umdrehen.“
Standort auf einem Spielplatz?
Die Zukunft des Unternehmens sieht Hess im Ausbau von Eventfahrten, in der Gastronomie und Hotellerie. Nicht in der Bergung eines Wracks. Man stehe dem Vorhaben aber wohlwollend gegenüber, betont er, unter anderem stelle man für das Projekt die Werft bereit.
Und man prüfe, wo die Säntis, sollte die Bergung erfolgreich sein, für die Öffentlichkeit sichtbar gemacht werden könnte. Im Gespräch ist ein geplanter Spielplatz am Ufer, für den bislang ein Holz–Piratenschiff vorgesehen ist. Warum nicht stattdessen die Säntis?
Das kostet die Bergung
Nun startet das Crowdfunding, die Bergung könnte im Herbst folgen. Da es ein großes Bergeschiff auf dem Bodensee nicht gibt, ist zu diesem Zweck die Fähre Euregia für einige Wochen reserviert. Zwei Bergetechniken sind möglich: Entweder kommen so genannte Litzenheber zum Einsatz, hydraulische Unterwasserkräne. Das würde 522.000 Euro kosten.
Mit 196.000 Euro deutlich billiger wäre eine Bergung mittels pressluftgefüllter Hebesäcke, was aber auch größere Risiken bei der Hebung des Wracks mit sich bringen würde. Welche Technik gewählt wird, hängt am Ergebnis der Spendensammelaktion.
240 Tonnen sind zu heben
124 Tonnen wiegt der Koloss: Ein so großes Schiff ist im Bodensee noch nie aus so großer Tiefe geborgen worden. Rechnet man Ablagerungen und Bergematerial ein, vor allem aber den Vakuumeffekt, der das Schiff wie eine Saugglocke am Seeboden hält, muss die Hebetechnik das Gewicht von 240 Tonnen bewältigen.
Um dies zu bewerkstelligen, hat das Unternehmens eigens einen Roboter entwickelt: Mit Wasserdruck kann er eine so genannte Lanze unter dem Rumpf des Wracks herschieben, entlang der eine Verbindungsleine und schließlich ein Stahlseil geschoben werden kann. Am Stahlseil soll die Säntis nach oben gezogen werden.
Roboter heißt wie ein Matrose
Der Roboter wurde auf den Namen Rupflin getauft. So hieß der Matrose an Bord der Jura, eines anderen gesunkenen Bodenseedampfers, der beim Zusammenstoß dieses Schiffes mit dem Schiff Stadt Zürich ums Leben kam. Die Jura liegt heute auf dem Seegrund vor Bottighofen in 38 Metern Tiefe und ist ein beliebtes Ziel für Taucher.
Sollte die Bergung der Säntis misslingen, könnte man sie vielleicht zumindest in flacheres Wasser schleppen, hofft Paganini. Dann hätten Taucher ein weiteres Ziel im Bodensee.