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Rezept gegen Hausarztmangel

Wie ein Projekt in Bayern Landärzte gewinnen will

Kirchberg im Wald / Lesedauer: 9 min

Hausärzte im ländlichen Raum werden immer weniger. Ein Projekt im Bayrischen Wald will das ändern und zeigt angehenden Medizinern praxisnah ihre Arbeit.
Veröffentlicht:28.01.2023, 05:00

Von:
  • Simon Müller
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Ein Besuch beim Hausarzt ist für die meisten Patienten unangenehm, schließlich zwickt, sticht oder schmerzt es irgendwo am Körper. Umso besser wenn der Allgemeinmediziner, der einem in der Praxis gegenüber sitzt, seinen Beruf mit Leidenschaft ausübt - und sogar noch eine Prise Humor mitbringt. Wolfgang Blank scheint einer dieser Hausärzte zu sein. „Wenn man auf eine einsame Insel geht, dann nimmt man nicht den HNO-Arzt mit“, sagt er.

Sondern einen Hausarzt, wie er einer ist. Blank arbeitet nicht in einer großen Stadt, renommierten Uniklinik oder im Krankenhaus. Er ist im beschaulichen Bayrischen Wald beruflich glücklich geworden, nahe der tschechischen Grenze – hier sagen sich Hase und Igel Gute Nacht. Doktor Blank praktiziert im ländlichen Raum, genau dort, wo sich deutschlandweit immer weniger Ärzte niederlassen.

Das zeigen auch die Zahlen im Süden. So gab es im Südwesten 2022 laut baden-württembergischem Sozialministerium 7053 Ärzte in der hausärztlichen Versorgung – 35 weniger als 2019. Seit dem Jahr 2015 sind 757 Einzelpraxen weggefallen. Die Bayrische Landesärztekammer vermeldet im vergangenen Jahr 4506 in einer Praxis tätige Allgemeinärzte, im Jahr 2020 sind es noch über 80 mehr gewesen – und das obwohl die Zahl der Ärzte insgesamt in Bayern leicht ansteigt.

Neues Bild von Landärzten

Für Blank liegt das vor allem daran, dass junge Mediziner ein falsches, verstaubtes Bild von der Arbeit des Hausarztes haben. Der Ruf, der Landarzt kümmere sich nur um Schnupfen, Husten und Fußpilz, sei veraltet. „Respekt für unseren Beruf ist nicht immer da. Wenn wir nicht selber durch unser Handeln zeigen, wie attraktiv und anspruchsvoll unser Beruf ist, dann wird das kein anderer tun“, sagt Blank.

Deswegen hat er mit drei anderen Kollegen schon 2014 das Projekt „Die Landarztmacher“ ins Leben gerufen. Das Projekt bietet ein Praktikum für Studenten an – mitten im Bayrischen Wald. Dieses Praktikum nennt sich Famulatur, was nichts anderes als eine vierwöchige Pflichtausbildung für angehende Ärzte im Medizinstudium ist, die sie in einer Arztpraxis oder einer ambulanten Einrichtung absolvieren müssen. Ihre Famulatur können Studenten in ganz Deutschland machen, „viele suchen sich dafür auch die Praxis bei Mama und Papa um die Ecke.

Aber da laufen die meisten nur vier Wochen dem Hausarzt hinterher. Bei uns bekommen sie den Beruf richtig mit“, erklärt Blank. Zum einen werden die angehenden Mediziner von einem geschulten Arzt eins zu eins in seiner Praxis betreut – und zwar einem, der für seinen Beruf brennt, so wie Blank. Zusätzlich gibt es Lehrstunden in der Gruppe, bei denen den Studenten die wesentlichen Fertigkeiten beigebracht werden, die sie für die Arbeit in der Hausarztpraxis brauchen. „Sie können das mit ihrem Lehrarzt bei den Patienten einüben – das entlastet auch den Arzt vor Ort“, betont Blank.

Leben als Selbstversorger

Außerdem leben die Studenten mit zehn bis 15 anderen angehenden Medizinern in einer großen Wohnung im Bayrischen Wald – als Selbstversorger, meistens in einem Ferienhaus. „Das macht den Teilnehmern oft große Freude, weil sie auch als Gruppe zusammenwachsen und die Region gemeinsam erleben“, betont er.

Seit nun mehr neun Jahren leitet Blank das Projekt „Die Landarztmacher“. Zweimal jährlich kommen Studenten aus ganz Deutschland für vier Wochen in den Bayrischen Wald, 440 angehende Ärzte wurden schon von den „Landarztmachern“ betreut. Im Winter nehmen 30, im Sommer 40 Studenten teil. „Wir sind eines der größten nicht-universitären Studentenprojekte in Deutschland“, betont er.

Und das Konzept im Bayrischen Wald hat Erfolg. Die Kurse sind enorm nachgefragt. Für die Sommer-Famulatur 2024 habe er noch Plätze frei, erklärt Blank. Es ist zwar wahnsinnig anstrengend, das Projekt zweimal im Jahr zu organisieren, aber, so erklärt er schmunzelnd, „ich hab ja sonst nichts zu tun.“ Geld erhalten die „Landarztmacher“ von ihrem Projektpartner, der AOK Bayern. „Aber die Förderung geht komplett für die Kosten vor Ort drauf“, sagt Blank. Er und seine Kollegen arbeiten ehrenamtlich.

Erfolg mit dem Projekt

Und die Studenten? „Die müssen sich etwas zu Essen kaufen und wenn Sie zu schnell fahren, auch das Knöllchen zahlen“, sagt Blank. Ansonsten organisieren die „Landarztmacher“ alles – um Unterkunft, Mobilität und Teambuilding-Aktionen müssen sich die Studenten keine Gedanken machen und keinen Cent ausgeben.

Das Erfolgsrezept der „Landarztmacher“ liegt für Wolfgang Blank an der Herangehensweise. „Wir vermitteln Inhalte, die Studierende an der Universität eher nicht bekommen. Die Uni hat eine sehr wissenschaftliche Ausbildung, wir vermitteln mehr die Fertigkeiten und die ärztliche Haltung“, sagt er.

Das Zauberwort heißt: praktische Arbeit. Neben Fähigkeiten wie Ultraschall oder EKG geht es im Projekt aber vor allem auch darum, „dass die Studenten lernen, Patienten zuzuhören und zu verstehen, was der Patient braucht. Das ist auf den ersten Blick nicht spektakulär, aber wenn man mal zwei Wochen da war, merkt man wie spannend das ist, einen Patienten mit seiner Krankheit zu begleiten und einen Krankheitsverlauf zu sehen“, betont Blank.

Auch im Südwesten fehlen Hausärzte

Der Hausarzt weite die Sichtweise auf Krankheiten von rein erhobenen Laborwerten auf die Befindlichkeiten des Patienten aus. „Da fängt Medizin an, das ist Arzt-Sein. Wir machen die Studierenden von Medizinern zu Ärzten.“ Erstaunlich viele, die von den „Landarztmachern“ in ihrer Famulatur begleitet wurden, haben sich später auf dem Land niedergelassen, erzählt Blank. „Das freut uns, denn gerade auf dem Land brauchen wir Hausärzte.“

Krankenhäuser schließen, Patienten bekommen Termine beim Spezialisten erst in Wochen und Monaten. Dadurch steigt der Versorgungsdruck der Hausarztpraxen enorm.

Lutz Weber

Denn Hausärzte fehlen im ländlichen Raum an allen Ecken und Enden. „Wir bemerken aktuell, dass sämtliche Versorgungsstrukturen wegbrechen. Krankenhäuser schließen, Patienten bekommen Termine beim Spezialisten erst in Wochen und Monaten. Dadurch steigt der Versorgungsdruck der Hausarztpraxen enorm“, sagt Lutz Weber. Er ist selbst Allgemeinmediziner mit niedergelassener Praxis in Laupheim und seit dem vergangenen März auch Bezirksvorsitzender des Hausärzteverbands Baden-Württemberg in Südwürttemberg.

Hoher Altersdurchschnitt der Ärzte

Das Hauptproblem für den Hausärztemangel ist das hohe Durchschnittsalter der Hausärzte, meint Weber. 2022 lag das im Südwesten bei 56,2 Jahren – nur sieben Prozent der Hausärzte sind unter 40. „Man braucht bei diesen Zahlen nicht lange rechnen, um zu bemerken, dass hier in den nächsten fünf Jahren eine große Lücke herrschen wird“, betont Weber. Für viele Menschen sei es jetzt schon schwierig, einen Hausarzt zu finden. „Das wird sich in den nächsten Jahren weiter zuspitzen.“

Außerdem sei es für viele junge Ärzte nicht attraktiv, sich niederzulassen – angefangen von der überbordenden Bürokratie in den Praxen bis hin zu fehlender Work-Life-Balance, so Weber. „Keiner möchte mehr einen Beruf ergreifen, der einen 24/7 fordert.“ Und die Politik, die ist in Webers Augen viel zu zögerlich. Mehr Studienplätze oder eine Landarztquote würden nicht helfen, das aktuelle Problem zu lösen. „Der Mangel ist schon da. Wir brauchen also Lösungen, die kurzfristig greifen.“

Ministerium hat Problem erkannt

Das Gesundheitsministerium des Landes habe schon verschiedene Maßnahmen auf den Weg gebracht, um junge Mediziner für eine Niederlassung in Baden-Württemberg zu gewinnen, sagt Sprecher Pascal Murmann. So gibt es beispielsweise das Förderprogramm „Landärzte“. Ein Hausarzt erhält dabei bis zu 30.000 Euro Landesförderung, wenn er sich in einer ländlichen Gemeinde niederlässt, deren hausärztliche Versorgung nicht oder in naher Zukunft nicht mehr gesichert ist.

Um junge Mediziner für eine Niederlassung in ländlichen Regionen zu gewinnen, wurde 2021 in Baden-Württemberg auf Drängen der CDU die sogenannte Landarztquote eingeführt, nach der jährlich 75 Studienplätze der Humanmedizin im Südwesten vergeben werden.

Unabhängig vom Abiturschnitt können sich Interessierte auf einen Studienplatz bewerben – im Gegenzug verpflichten sie sich aber, nach Abschluss des Studiums für mindestens zehn Jahre in einem Bedarfsgebiet in Baden-Württemberg hausärztlich tätig zu sein. Ein Tausch sozusagen: Ein Platz an der Uni für zehn Jahre Landarzt. Beim Auswahlverfahren werde ein besonderes Augenmerk auf die persönliche Eignung und Motivation gelegt, erklärt Murmann. Insgesamt hat das Land so 150 Studienplätze in den beiden vergangenen Jahren besetzt. Außerdem setzt das Land darauf, die Hausarzt-Ausbildung bereits an den Universitäten zu stärken, etwa mit eigenen Lehrstühlen.

Eine Frage der richtigen Lösung

Von der Landarztquote hält Lutz Weber nicht besonders viel – wie auch die Grünen im Südwesten, die deshalb lange gegen die Quote waren. „Wie will ein junger Mensch, der gerade sein Abitur gemacht hat und vielleicht noch nie wirklich mit der Medizin und dem Beruf des Hausarztes in Kontakt gekommen ist, sagen, dass er in elf Jahren aufs Land will?“ Vor dem Medizinstudium könne ein angehender Arzt noch gar nicht wissen, was der Job bedeute. „Wir brauchen motivierte Hausärzte auf dem Land, die ihren Beruf aus Leidenschaft und Überzeugung ausüben“, so Weber.

Aus seiner Sicht müsse man sich viel mehr die Frage stellen, welche Gründe junge Mediziner von der Hausarzttätigkeit abhalten. Dabei gelte es, aufzuzeigen, welche Vielfältigkeit im Beruf des Landarztes stecke. Das versuchen Hausärzte auf eigene Faust auch im Südwesten. „Tatsächlich haben wir ein sehr großes Netzwerk – die „Verbundweiterbildung plus“ des KWBW (Kompetenzzentrum Weiterbildung Baden-Württemberg). Das ist ein Netzwerk von Praxen speziell für Medizinstudenten, die dort beraten und weitergebildet werden“, erklärt Weber. Auch der Hausärzteverband organisiere viele Projekte zur Weiterbildung und unterstütze bei der Praxisvermittlung und Niederlassung.

Imagepflege ist Nebeneffekt

Für Wolfgang Blank von den bayrischen „Landarztmachern“ sind alle Programme wichtig, die jungen Menschen den Beruf des Landarztes näher bringen. „Ich glaube, das ist der Kernpunkt, den man an der Uni nicht vermittelt bekommt: Solche Projekte zeigen, welche Freude der Hausarztberuf machen kann“, betont er. Doch Studenten aufs Land zu locken oder zu überreden, das will Blank nicht. „Das ist totaler Käse. Wir wollen keine Studenten überreden, sondern ihnen in den vier Wochen unsere Freude präsentieren, die wir niedergelassenen Ärzte an unserer täglichen Arbeit haben“, sagt er. Das überzeuge von ganz allein.

Und das übrigens auch ein bisschen aus Eigeninteresse – denn die Studenten, die im Bayrischen Wald ihre Famulatur absolvieren, würden sehen, was Landärzte leisten. „Die haben ihr Leben lang einen großen Respekt vor unserer Arbeit“, sagt Blank. Auch wenn sie später selbst keine Hausärzte werden.