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Mangelhafte Aufklärung?

Ravensburger Gericht weist Corona–Impfklage ab

Ravensburg / Bad Schussenried / Lesedauer: 7 min

2022 verstarb ein 88-Jähriger, der Monate zuvor geimpft worden war. Der Sohn forderte vom Arzt Schadenersatz. Die Frage nach möglichen Impffolgen erhitzt die Gemüter.
Veröffentlicht:16.03.2023, 19:39
Aktualisiert:17.03.2023, 10:22

Von:
  • Dirk Grupe
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Lange braucht der Vorsitzende Richter an diesem Donnerstagnachmittag nicht, um ein Urteil zu fällen. Nach nur wenigen Minuten der Beratung kehrt er mit seinen Beisitzern in Saal 2 des Landgerichts Ravensburg zurück und verkündet: „Die Klage wird abgewiesen.“

Der Kläger ist in diesem Augenblick nicht anwesend, sein Anwalt Eberhard Frohnecke aus Osnabrück ist jedoch sichtlich konsterniert. Wenig später kommentiert er: „Ein politisches Urteil!“ Was der Anwalt damit meint, bleibt offen, juristisch kompliziert wirkt der Fall zumindest nicht.

Der Vorwurf: Mangelnde Aufklärung

Geklagt hatte ein Mann, dessen Vater im Juni 2021 in einer Arztpraxis in Bad Schussenried das erste Mal gegen Covid geimpft wurde, nach einem Aufklärungsgespräch, das offenbar „relativ schnell zu Ende ging“, wie der Richter erklärt. Eine zweite Impfung erfolgte im Juli, eine dritte im Januar 2022, alle jeweils mit dem Wirkstoff Astrazeneca.

Im September 2022 verstarb der Mann, im Alter von 88 Jahren. Für den Sohn besteht zwischen Impfungen und Tod offenbar ein Zusammenhang. Wegen mangelhafter Aufklärung über die möglichen Impffolgen fordert er, in Erbfolge, ein Schmerzensgeld von 7500 Euro für jede Spritze, insgesamt 22.500 Euro. Das Gericht stellt jedoch infrage, ob, abgesehen von der kurzfristigen Wirkung des Piks’, überhaupt „ein immaterieller Schaden vorliegt“.

Es geht ums Recht - und ums Geld

Geltend gemacht wurde ein solcher vom Kläger zumindest nicht, weshalb das Gericht sich auch zu keiner Prüfung veranlasst sah. „Und wo kein Schaden, da auch kein Schmerzensgeld“, so die Anwältin der Arztpraxis.

Was zwar schlüssig klingt, löst an diesem Nachmittag bei einer Prozessbesucherin Ernüchterung aus. „Auch ich habe eine Impfgeschädigte in der Verwandtschaft, mit Lähmungserscheinungen“, sagt die ältere Dame. „Corona muss doch aufgearbeitet werden.“

Dieser Meinung sind viele, dafür bieten sich verschiedene Ebenen an; politische, wissenschaftliche und juristische. Gerade auf letzterer nimmt die Sache an Fahrt auf, auch durch Rechtsanwalt Frohnecke, der die Internetseite www.impfopferschutz.de betreibt.

Dort stellt der Jurist fest: „Hier geht es nicht um Politik oder irgendeine Überzeugung — hier geht es ausschließlich um Ihr Recht!“ Das heißt: Es geht ums Geld. „Sie haben Schmerzensgeldansprüche bereits bei lediglich fehlerhafter Aufklärung durch den impfenden Arzt.“

Jede Behandlung ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit

Warum, das erklärt Frohnecke in Ravensburg so: Jede Behandlung ist für den Patienten ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Im Falle einer Impfung mit einer Nadel, gar juristisch gesehen eine gefährliche Körperverletzung. Verschärft durch die Verabreichung eines mutmaßlich nicht ausreichend getesteten Impfstoffes. „Dies kommt im juristischen Sinne einer Vergiftung gleich.“

Dies kommt im juristischen Sinne einer Vergiftung gleich.

Anwalt Eberhard Frohnecke

Daher müsse der Patient einem solchen Eingriff vorher zustimmen, „nach freiem Willen, ohne Angst und ohne Druck“. Also auf Basis einer vollständigen Aufklärung, in der das Für und Wider der Coronaimpfung erklärt wird, Dringlichkeit, Risiken, mögliche Folgen und auch Erfolgsaussichten. „Geschieht dies nicht, dann ist die Aufklärung unwirksam — und es besteht ein Schadenersatzanspruch.“

Ähnlicher Prozess in Heilbronn

Inwiefern in Bad Schussenried die Pflichten erfüllt wurden, lässt sich an diesem Tag zwar nicht beantworten, Frohnecke behauptet aber, dass 95 Prozent der gegen Covid–Geimpften in Deutschland nicht ausreichend aufgeklärt wurden. Was Juristen ein sehr weites Feld erschließen würde.

Entsprechend kam es erst kürzlich zu einem ganz ähnlichen Prozess vor dem Landgericht Heilbronn. Dort hatte eine Frau gegen ihre damalige Impfärztin geklagt und Schadensersatz gefordert, weil sie vor der Corona–Impfung nicht richtig informiert worden sei und danach unter Lähmungserscheinungen, Kraftlosigkeit und Schmerzen gelitten habe. Das Landgericht wies die Klage aber ab. Es sei auch nicht so gewesen, wie von der Klägerin behauptet, dass die Impfärztin schon mit aufgezogener Spritze und ohne Nachfragemöglichkeit vor ihr gestanden habe.

Ob allerdings überhaupt ein Impfschaden vorliegt, diese Frage musste das Gericht damit nicht weiter untersuchen.

CDU-Sprecher kritisiert Lauterbach

Genau dieses Thema treibt allerdings viele Menschen um. Antworten fallen jedoch schwer. Auch wenn Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sich vor wenigen Tagen dafür ausgesprochen hat, dass Impfschäden schneller anerkannt werden sollen. Er werde Maßnahmen anstoßen, um die Folgen von Long–Covid und Post–Vac zu untersuchen und die Versorgung zu verbessern, erklärte Lauterbach. „Das ist ein Programm, das ich so schnell wie möglich auflegen möchte. Ich bin quasi in den Haushaltsverhandlungen für dieses Geld.“

Mit seiner fatalen Äußerung, die Impfung sei ‚nebenwirkungsfrei‛, hat er die Sorgen und Ängste der Betroffenen kleingeredet.

Tino Sorge (CDU)

Für den gesundheitspolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge (CDU), kommt diese Initiative reichlich spät, er kritisiert Lauterbach. „Der Minister hat viel zu lange gezögert und die Augen vor der Realität verschlossen“, sagt Sorge. „Mit seiner fatalen Äußerung, die Impfung sei ‚nebenwirkungsfrei‘, hat er die Sorgen und Ängste der Betroffenen kleingeredet. Jetzt ist er in der Pflicht, die nötigen Mittel zur Unterstützung bereitzustellen“.

Bei schwerwiegenden Imfpschäden zahlt der Staat

Handlungsbedarf besteht zweifellos, nimmt die Zahl der anerkannten Corona-Impfschäden doch zu. Wenn auch auf weiter sehr niedrigem Niveau. Seit Beginn der Impfkampagne gegen das Coronavirus haben verschiedenen Recherchen zufolge in Deutschland insgesamt 6682 Menschen Anträge auf Anerkennung eines Impfschadens gestellt, mit 1617 entfällt der größte Teil davon auf Bayern.

Bundesweit genehmigt wurden 285 Anträge und 2075 abgelehnt. Die offenen Fälle stecken zumeist noch im Prüfverfahren, was dauern kann. Denn oftmals fehlt es an Erkenntnissen, was den Zusammenhang angeht zwischen einer Covid–19–Impfung und den geltend gemachten Erkrankungen.

Anerkennung fanden bisher vor allem Betroffene von Herzproblemen, Hirnfunktionsstörungen und neurologischen Erkrankungen. Manche Entschädigte leiden auch unter erhöhter Blutungsneigung, unter Narben am Impfarm, Inkontinenz, Lähmungen oder Embolien. Vereinzelt wurden auch Todesfälle in Folge der Impfung anerkannt, etwa nach einer Hirnvenenthrombose.

Jeder Einzelfall eines Impfschadens ist natürlich traurig, aber man muss das in Relation setzen

Carsten Watzl

Bei besonders schwerwiegenden Impfschäden greift das Infektionsschutzgesetz. Dann haben Betroffene Recht auf eine monatliche Grundrente vom Staat, die bis zu 854 Euro pro Monat betragen kann.

„Jeder Einzelfall eines Impfschadens ist natürlich traurig, aber man muss das in Relation setzen“, sagt Carsten Watzl, der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, der „Süddeutschen Zeitung“. „In Deutschland wurden fast 65 Millionen Menschen geimpft.“

Impfstoff-Hersteller haben wenig zu befürchten

Während bei einigen schwerere Nebenwirkungen aufgetreten sind, hätten die Impfstoffe Millionen Menschen vor einem schweren Krankheitsverlauf bewahrt — und Zigtausende vor dem Tod.

Nur wenig zu befürchten bei gesundheitlichen Schäden, haben die Hersteller der Impfstoffe. Weil alle EU–Regierungen sich bei der Beschaffung der Corona–Impfstoffe vertraglich verpflichtet haben, für sämtliche Schadenersatzforderungen aufzukommen.

Karl Lauterbach fordert die Hersteller dennoch auf, sich an möglichen Zahlungen zu beteiligen, das wäre „wertvoll“, so der Minister. „Denn die Gewinne sind ja exorbitant gewesen. Und somit wäre das tatsächlich mehr als eine gute Geste, sondern das könnte man erwarten.“ Entsprechende Signale der Unternehmen bleiben bisher aber aus.

Die Warteliste ist lang

Entgegen der Erfolgsaussichten zieht mancher trotzdem vor Gericht. So hat in Köln ein 37–Jähriger, der eine Hirnvenenthrombose erlitten hatte, gegen Astrazeneca geklagt. In Frankfurt beginnt demnächst ein Prozess gegen Biontech, in Düsseldorf und München sind ebenfalls Herstellerverfahren anhängig.

Aktuell können keine weiteren Mandate angenommen werden.

Eberhard Frohnecke

Im Heilbronner Fall hat der Anwalt der Klägerin Berufung gegen das Urteil angekündigt, zudem verfolge er parallel Schadenersatzansprüche in Höhe von 340.000 Euro gegen Staat und Hersteller. Und auch Anwalt Frohnecke aus Osnabrück kann sich nicht über fehlende Arbeit beschweren.

„Jeden Tag bekomme ich zehn bis 15 neue Anfragen, darunter schwere Fälle“, sagt er bei seiner Visite in Ravensburg. Auf seiner Internetseite muss er potenzielle Klienten bereits vertrösten: „Aktuell können keine weiteren Mandate angenommen werden“, heißt es dort. „Bitte kommen Sie zu einem anderen Zeitpunkt wieder, wenn wir wieder Kapazitäten frei haben.“ Für ihn scheint die Pandemie noch lange nicht am Ende.