Steinzeit-Mysterium
Was es mit den Steinzeit-Hügeln im Bodensee auf sich hat
Wasserburg / Lesedauer: 8 min

Hildegard Nagler
Der Himmel ist wolkenverhangen, der Bodensee aufgewühlt. Vielleicht, weil er ein Jahrtausende altes Geheimnis preisgeben soll: Das, der rund 5500 Jahre alten Hügel in einer Wassertiefe von drei bis fünf Metern. Schätzungen zufolge wurden für die mehr als 200 Haufen am gesamten Bodensee rund 80.000 Tonnen Gestein von Menschenhand aufgeschüttet.
Das entspricht bis zu 40.000 Ladungen auf einem 7,5 Tonner. Damit handelt es sich um eines der weltweit größten Bauwerke der damaligen Zeit. Warum und wofür wurde dieser fast unvorstellbare Aufwand betrieben?
Robert Angermayr sitzt in voller Taucher-Montur auf einem angeschwemmten Holzstamm am Bodensee-Ufer vor Wasserburg. Der IT-Spezialist, Tauchlehrer und technische Taucher wird gleich ehrenamtlich im 12 Grad Celsius kalten Wasser anstrengende Arbeit leisten ‐ wie seine Freunde Gerhard Schlauch, Polizist und Sporttaucher, Gerd Knepel, Architekt, archäologischer Forschungstaucher und Tauchlehrer, Alexander-Dominik Preising, Archäologe und archäologischer Forschungstaucher, sowie Tobias Pflederer, Kardiologe, archäologischer Forschungstaucher und Leiter des Projektes.

Mit 35 Kilogramm auf dem Grund des Bodensees
Rund 35 Kilogramm wiegt die Tauch-Ausrüstung eines jeden. Die Taucher ‐ Mitglieder der Bayerischen Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e. V. ‐ fahren auf den See hinaus, tauchen zu den Hügeln fünf und sechs vor dem Wasserburger Ortsteil Reutenen.
Diese haben einen Durchmesser von bis zu 25 Metern und sind bis zu 1,5 Meter hoch. Die Männer dokumentieren mit einer Unterwasserkamera die Hügel von oben und von den Seiten. Mithilfe eines Computers setzen sie die mehreren hundert Bilder später zu Fotomosaiken zusammen.
Die so entstandenen Aufsichten und Drei-D-Modelle sollen, erklärt Tobias Pflederer, der weiteren Untersuchung dienen. Maximal eineinhalb Stunden konzentrierte Arbeit leisten die Hartgesottenen ‐ dann geht es zum Aufwärmen. Zwei Tauchgänge pro Tag sind möglich. Danach geht es an den Schreibtisch zur ausführlichen Dokumentation.
200 Hügel sind unter Wasser aufgeschüttet
Seit 2015 treibt das Geheimnis um die Hügel die Taucher um. Damals dokumentierte das Institut für Seenforschung bei einer Untersuchung die mehr als 200 Steinaufschüttungen ‐ zuvor waren diese unbekannt. Auch konnte man ihr Alter nicht einordnen.
Mittlerweile weiß man: Mindestens 25 dieser Hügel gibt es zwischen Wasserburg und Lindau, einer davon konnte bislang datiert werden: Zwischen 3500 und 3200 vor Christus und damit in die ausgehende Jungsteinzeit.
Die meisten Exemplare gibt es allerdings am Ufer gegenüber, in der Schweiz zwischen Romanshorn und Altnau, wo die Medien den Begriff „Stonehenge am Bodensee“ geprägt haben ‐ sie spielen damit auf den wohl sagenumwobensten Steinkreis der Welt in Südengland an.
Schon im vergangenen Jahr sind die Männer nach Absprache mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege abgetaucht. Seinerzeit haben sie die fünf ovalen bis kreisrunden Unterwasserhügel vor Lindau, unter Experten Nr. 21 bis Nr. 25, untersucht.
Unter einer bis zu 30 Zentimeter dicken Steinschicht haben sie am Hügel 24 Späne aus Weichholz entdeckt, die unter einer dicken Steinschicht ‐ aber über Seesediment „geologisch schwer vorstellbar sind“, so Tobias Pflederer.
Was dafür spricht, dass die Steinschüttungen von Menschenhand gemacht sind. Eben diese Holzspäne haben die Altersdatierung mittels C14-Analysen auf die Zeit 3500 bis 3200 vor Christus ermöglicht.
Aus dem 37. Jahrhundert vor Christus
Im Fokus dieses Jahres stehen für die Taucher der Bayerischen Gesellschaft für Unterwasserarchäologie die Hügel fünf und sechs, die größten Exemplare vor dem bayerischen Bodenseeufer. „Wenn wir zumindest an einem dieser Hügel wieder Holzreste unter den Steinschüttungen entdecken würden, könnten wir zumindest annäherungsweise sagen, ob die bayerischen Exemplare zeitgleich entstanden sind oder nicht ‐ und ob sich die Ähnlichkeiten zu den Hügeln vor dem Schweizer Ufer bestätigen lassen“, sagt Pflederer.
Auch in der Schweiz haben Forscher in einem Hügel unter den Steinen Holz und sogar angespitzte Pfähle entdeckt ‐ diese wurden in eine ähnliche Zeit, nämlich zwischen das 37. und 34. Jahrhundert vor Christus datiert. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Hügeln in der Schweiz und denen vor dem bayerischen Bodenseeufer?

„Den muss man sogar herstellen“, sagt Simone Benguerel vom Amt für Archäologie des Kantons Thurgau. „Von der Konstruktionsweise her sind die Hügel sehr ähnlich. Vielleicht kann man sogar von einer Normbauweise sprechen.“
Dass sie von Menschen gemacht ist, legt auch das Ergebnis einer Schweizer Georadar-Messung aus dem Jahr 2018 nahe: Damals wurde festgestellt, dass die Steine deutlich über der Moräne liegen, die einst von den Gletschern mitgeschoben und dann abgelagert wurde. Auch die bayerischen Taucher finden unter den Steinschüttungen Seesediment und nicht den eigentlich zu vermuteten Gletscherrücken.
Hügel sind wohl keine Grabstätten
Artefakte wie zerbrochene Gefäße, wie man sie in Pfahlbausiedlungen gefunden hat, oder Skelettteile würden helfen, den Hügeln ihre Geheimnisse zu entlocken. Solche Gegenstände haben die Taucher aber bisher nicht gefunden.
Und: Während die Schweizer Hügel wie auf einer Perlenschnur aneinander aufgereiht wirken, orientieren sich die am bayerischen Ufer des Bodensees an der Tiefenlinie, zeichnen also den Uferverlauf nach.
Weshalb Vermutungen, die Hügel könnten für astronomische Zwecke errichtet worden sein, für Tobias Pflederer „nur schwer vorstellbar“ sind. Dass die Steinaufschüttungen Grabhügel sind, hält er ebenfalls für nicht möglich.
Urs Leuzinger, Archäologie aus ThurgauVorstellbar wären saisonal knapp aus dem Wasser ragende Plattformen als künstliche Inselchen entlang des Seeufers, auf denen rituelle Handlungen im Rahmen einer Bestattungszeremonie stattfanden. Dabei wäre der Übergang vom Land zum Wasser ein zentrales Element des Rituals gewesen.
Auch für künstlich aufgeschüttete Siedlungshügel gibt es bislang wenig stichhaltige Argumente: „Dafür müssten wir auch auf Knochen oder Pfähle oder weitere Siedlungshinterlassenschaften, wie Keramik stoßen.“
Im Mittelmeer vor den Häfen antiker Stätten gibt es zum Beispiel vor der Levante ebenfalls Steinhügel. Die sind laut Pfleiderer so entstanden: Die Schiffe hatten damals Steine an Bord, damit ihr Kiel tief eintauchte. Vor der Hafeneinfahrt allerdings warfen die Seefahrer den Ballast ins Meer.
Für den Bodensee ist das eher unwahrscheinlich. „Hier waren Flachboote Usus“, erklärt Pflederer. Bekannt ist auch, dass im Ossiacher See in Kärnten bis in die Mitte des 19. Jahrhundert Steinhügel für den Fischfang aufgeschüttet wurden. Diese „Wallerburg“ dienten dem Fischfang.
Derlei sei auf der deutschen Seite vorstellbar, sagt dazu Tobias Pflederer, nicht aber unbedingt auf der Schweizer, wo geschätzte 78.000 Tonnen Gestein aufgeschüttet wurden und der Aufwand für den Fischfang damit „immens“ gewesen wäre.
Möglicherweise waren Hügel Teil eines Rituals
„Denkbar wären noch Plattformen in Zusammenhang mit dem Totenkult am Seeufer, wie es auch von den Schweizer Kollegen diskutiert wird“, sagt Tobias Pflederer. Für den Archäologen des Amtes für Archäologie Thurgau, Urs Leuzinger wäre eine kultische Nutzung in der Jungsteinzeit möglich:
„Vorstellbar wären saisonal knapp aus dem Wasser ragende Plattformen als künstliche Inselchen entlang des Seeufers, auf denen rituelle Handlungen im Rahmen einer Bestattungszeremonie stattfanden. Dabei wäre der Übergang vom Land zum Wasser ein zentrales Element des Rituals gewesen.“

Keine Antwort gibt es bisher auf die Fragen, warum die Hügel gerade in der Schweiz in einer derartigen Häufung vorkommen, warum am bayerischen Ufer im Vergleich dazu relativ wenige dokumentiert sind und warum am österreichischen Ufer keine bekannt sind, in Baden-Württemberg, genauer gesagt bei Konstanz, dagegen schon.
Letztere seien derzeit allerdings nicht Gegenstand von Untersuchungen, heißt beim baden-württembergischen Landesamt für Denkmalpflege.
Ältester Einbaum Bayerns entdeckt
Tobias Pflederer und seine Kollegen haben es bereist geschafft, den ältesten Einbaum Bayerns aus dem 12. Jahrhundert vor Christus im Bodensee vor Wasserburg zu bergen. Sie haben bei der Suche nach menschlichen Siedlungsspuren im Bereich der Einbaum-Fundstelle eine Schädelkalotte aus dem 10. bis 9. Jahrhundert vor Christus gefunden und geborgen.
In Wasserburg-Reutenen und Bad Schachen waren sie jetzt im siebten Jahr in Folge mit der eigenen Ausrüstung vor Ort. Die Vorbereitung für solche Taucheinsätze ist jedes Mal ein großer Aufwand ‐ bis alle Anträge gestellt und alle Genehmigungen eingeholt sind, vergehen Monate.
In spätestens zwei Jahren soll es mit Unterwassergrabungen auf der bayerischen Seite weitergehen, um mehr Licht ins Hügel-Dunkel zu bringen. Tobias Pflederer: „Es ist spannend, die letzten weißen Flecken auf der Erde mit zu erforschen und ein Puzzlestück dazu beizutragen, wie die Menschen in dieser Zeit am Bodensee gelebt haben. Dafür lohnt sich der ganze Aufwand.“