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Masernvirus

Prozess um Masernviren: Glaubensfragen vor Gericht

Ravensburg / Lesedauer: 6 min

Erster Prozesstag vor dem Landgericht Ravensburg um den Nachweis von Masernviren - Entscheidung steht aus
Veröffentlicht:10.04.2014, 19:40

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Die eigentliche Schlacht wird lange vor Prozessbeginn geschlagen. Schon Stunden bevor sich Saal 7 im Landgericht öffnet, haben sich Kläger und Beklagter auf dem Backsteinpflaster des Marienplatzes in Ravensburg eingefunden. Umringt von Kamerateams und Journalisten aus dem ganzen Land; RTL, ARD , Regio TV und Radiosender wollen genauso berichten wie die „Bild“-Zeitung und Nachrichtenagenturen, ein Medienauflauf wie sonst nur bei großen Mordprozessen. Diesmal geht es im historischen Gerichtsbau aber nicht um Hinterlist oder Familiendramen, es geht um eine Frage, die geradezu mittelalterlich anmutet: Gibt es einen Masernvirus? Oder ist dieser eine Erfindung der Wissenschaft?

Der Biologe Stefan Lanka aus Langenargen am Bodensee hat im Internet 100 000 Euro für jenen ausgelobt, der ihm die Existenz des Virus nachweise. Der Mediziner David Bardens will schriftliche Beweise vorgelegt haben, nun fordert er vor Gericht – das sich später vertagen wird – sein Geld ein. Um das Geld geht es aber nur vordergründig. Es geht um weit mehr, nämlich um eine Glaubensfrage, um die Frage, wie wir unsere Welt sehen. Bardens steht für die Überzeugung in die Wissenschaft und ihre Erkenntnisse zum Wohle der Menschen. Lanka für das Rückwärtsgewandte. Für Skepsis und Feindseligkeit gegenüber der Neuzeit. Für jene Menschen, die hinter den Errungenschaften von Technik und Forschung Gefahren sehen. Die statt Wohltaten Schaden fürchten. Die Gegenspieler bei diesem Richtungsstreit könnten nicht unterschiedlicher sein.

Stefan Lanka ist ein großer, bulliger Mann, der sich gerne mit ausladenden Gesten präsentiert. Der aber auch geschickt die Brille zurecht rückt oder auf die Uhr schaut, um vor laufender Kamera seine Seriosität zu unterstreichen. Der 50-Jährige eilt von Reporter zu Reporter, steht dann kerzengerade, drückt das Kreuz fast durch, als wolle er mit jeder Pore signalisieren: Ich bin mir und meinen Thesen sicher. Ich habe Recht.

So, wie er sich zeigt, so spricht er auch, manchmal zu lange am Stück, aber immer im Brustton vollster Überzeugung. „Ich habe nie behauptet, dass es keine Masern gibt“, sagt er in einem seiner vielen Interviews. „Aber es gibt keinen Virus“, die Krankheit entstehe durch Vergiftungen. Keinen Zweifel lässt Lanka daran, was er bewirken will: „In Bayern haben wir schon eine Quote von rund 70 Prozent bei den Impfverweigerern. In Baden-Württemberg sind es etwa 30 Prozent Verweigerer. Da haben wir noch Nachholbedarf.“ Wie er die Leute von der Vorsorge abbringen will, ist auch klar: „Hoffentlich werde ich nicht schon heute freigesprochen – wir brauchen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit.“

Die spielt aber nicht immer so mit, wie Lanka will, auch die „Schwäbische Zeitung“ nicht. Deren Chefredakteur er vor laufender Kamera als „Ayatollah-Leitartikler“ bezeichnet, die Zeitung hätte „Drücker-Kolonnen“ zu seinem Hause geschickt. In Wirklichkeit hatte sich SZ-Chefredakteur Hendrik Groth in einem Kommentar eindeutig für die Masernimpfung ausgesprochen. Für Lanka offenbar ein unerhörter Querschuss bei seiner Mission gegen die Moderne.

Ein komplett anderes Bild gibt sein Gegenpart ab, der Jungmediziner David Bardens . Einen Kopf kleiner als Lanka, schmal gebaut, eine ruhige Erscheinung, aber auch einer, der in sich ruht. Auch er gibt bereitwillig und sicher Interviews, auch er wirkt von seiner Position überzeugt. Ausladende Gesten braucht der 29-Jährige dafür nicht. „Die Masern sind bestens erforscht, da gibt es keine Zweifel“, sagt er. Gewinnt er vor Gericht, möchte der Arzt das Geld in ein Impfprojekt für Entwicklungsländer stecken: „Das hätte was: Aus der Kasse der Impfgegner ein Impfprojekt zu finanzieren.“

Bardens will die Impfgegner vorführen, genauso wie diese die Wissenschaft vorführen wollen. Badens braucht dafür die Öffentlichkeit, genauso wie Lanka für sein Anliegen. Für beide eine Gratwanderung und ein Risiko, bedeutet Öffentlichkeit auch immer Werbung. Für die eine, wie für die andere Seite.

Endlich leert sich der Marienplatz und der Gerichtssaal füllt sich, bis auf den letzten Stehplatz. Unter den Besuchern sind nur wenige Impfbefürworter, wie Michèle Meyskens, die von Lanka einst verklagt wurde und sagt: „Hoffentlich wird diesem Mann Einhalt geboten.“ In der großen Mehrzahl sind jedoch die Impfgegner, Lankaanhänger. Die sich herzlich begrüßen und umarmen. Sie wirken wie eine eingeschworene Gemeinschaft, die sich Zweiflern an Lanka und seinen Thesen emotional entgegenstellt. Die der Richter einmal zur Ruhe ermahnen muss, als Badens seine Ausführungen macht.

Unter ihnen ist auch der Landwirt Maximillan Huber aus Altötting. 300 Kilometer ist er gefahren, um dem Prozess beizuwohnen. Auf der Visitenkarte des Impfgegners steht: „In Frieden und Freiheit leben“. Für ein solche Leben braucht der 57-Jährige keinen klassischen Arzt: „Die Schulmedizin hat in unserem Land große Macht und sie wird von der Pharmaindustrie gesponsert“, sagt er. Die Existenz eines Masernvirus etwa sei nicht bewiesen. Was man so verstehen kann: Industrie und Medizin erfinden Viren, um Geld und Macht zu gewinnen.

Für den Bayern geht es aber noch weiter: „Es gibt Strukturen in unserem Land, die über den Interessen des Einzelnen stehen. Oder wer glauben Sie hat den Aufstand Hitlers gesponsert, wer die Oktoberrevolution?" Schon im alten Rom habe der Staat die Menschen mit Brot und Spielen still gehalten. Das klingt alles im allem ungeordnet und auch die Zusammenhänge bleiben in der Kürze unklar. Offenbar ist aber für die Lankas, die Hubers und für viele andere im Saal 7 des Langerichts etwas gehörig faul im Staate Deutschland. Es geht nicht nur um Viren und um Masern, es geht ihnen womöglich um vermeintliche Mächte, die gegen das Allgemeinwohl wirken, ganz sicher geht es ihnen um ihr Bild von der Gesellschaft.

Nicht aber für den Vorsitzenden Richter. Der sachlich die Faktenlage präsentiert. Demnach streitet Stefan Lanka die Auslobung der 100 000 Euro nicht ab. Gibt aber vor, die Ausschreibung habe verlangt, dass der Beweis der Virenexistenz allein über Unterlagen des Robert-Koch-Instituts hätte erfolgen müssen. Bardens hat wissenschaftliche Papiere vorgelegt, aber keine vom Robert-Koch-Institut, das sei aber auch nicht nötig gewesen, weil aus seiner Sicht die Auslobung dies nicht verlangt habe. Diesen Punkt wird das Gericht nun bis zum 24. April klären. Gibt es Bardens Recht, kommt es zu einem langwierigen Prozess, indem es allein um die Frage gehen würde, ob der Mediziner den Virenbeweis erbracht hat.

Für Stefan Lanka ist der Ausgang keine Frage. Nach Ende des Gerichtstages streckt er sich ausgiebig, setzt sich lässig auf den Zeugentisch und sagt zwischendurch: „Gewonnen!“

An Gesten und Worten fehlt es dem promovierten Biologen eben nicht, der sich auch die Rhetorik seiner Kritiker zu eigen macht. So sagt er einmal vor Prozessbeginn: „Wissenschaftsbetrug ist nicht strafbar.“ Und: „Wir müssen einfach wieder anfangen, logisch zu denken.“ Wohl wahr. Offen bleibt allerdings, ob er diese Worte selber beherzigt.