Kamera
Türkische Journalisten im Exil: Presse ohne Freiheit
Baden-Württemberg / Lesedauer: 8 min

Es war keine leichte Entscheidung. Nein, wirklich nicht. Viele schlaflose Nächte und schlechte Träume sind ihr vorausgegangen. Vor allem die Angst um ihren Sohn trieb Tülay um. Was soll aus ihm werden, wenn sie im Gefängnis sitzt? Irgendwann habe sie sich in ihrer eigenen Wohnung nicht mehr sicher gefühlt, erzählt sie. Im August 2016 war es dann soweit. Sie, ihr Mann und Sohn packten die Koffer, ließen die Familie und ihr Heimatland hinter sich und kamen nach Deutschland.
Ihren echten Namen möchte die 33-Jährige nicht in der Zeitung lesen. Zu groß ist die Angst davor, dass sie ihre Lieben zu Hause in der Türkei damit in Gefahr bringen könnte. Tülay ist Journalistin. Zehn Jahre lang schrieb sie in Istanbul für die Zeitung „Zaman“ – eine der auflagenstärksten Zeitungen im Land. Am 4. März 2016 stürmen Polizisten die Redaktionsräume. Die Regierung übernimmt die Kontrolle über die Zeitung. Der Grund: „Zaman“ steht der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen nahe. Nachdem es zwischen Gülen und Präsident Recep Tayyip Erdogan zum Zerwürfnis kam, erklärte die türkische Regierung die Bewegung zur Terrororganisation. „Sie haben unsere Zeitung in eine Propagandamaschinerie verwandelt. Es gab keine einzige regierungskritische Zeile mehr“, sagt Tülay, die heute in Augsburg lebt. Nach der Übernahme wird sie entlassen. Ohne Vorwarnung. Ohne Entschädigung.
Lange Liste Verhafteter
So wie Tülay soll es einige Monate später noch Tausenden anderen gehen. Nach dem Putschversuch im Juli 2016 wurden nicht nur Lehrer, Soldaten und Ministeriumsmitarbeiter entlassen, sondern auch kritische Zeitungen, Fernseh- und Radiostationen geschlossen. Die Organisation „ Reporter ohne Grenzen “ spricht von 150 Medienhäusern und Redaktionen. Darunter auch „Zaman“. Laut „Reporter ohne Grenzen“ steht die Türkei derzeit auf Platz 151 von 180 Ländern, was die Pressefreiheit angeht – und damit noch hinter Russland oder Pakistan. Überhaupt von Pressefreiheit zu sprechen, falle im Bezug auf die Türkei schon länger schwer, sagt Anne Renzenbrink von „Reporter ohne Grenzen“. Vor allem angesichts der vielen Verhaftungen:
1. Abdulkadir Turay
2. Abdullah Kilic
3. Abdullah Özyurt
4. Ahmet Altan ...
Die Liste der Namen auf der Webseite der „Europäischen Journalisten Föderation“ (EJF) ist lang. Wer bis zur Nummer 62 durchhält, stößt auf Hayati Yildiz. Das Bild, das die linke türkische Tageszeitung „Evrensel“ am 18. Februar auf ihrer Internetseite von Hayati Yildiz veröffentlicht, zeigt einen jungen Mann. Unter dem dunklen Schnurrbart macht sich ein Lachen breit, die Augen blicken fröhlich in die Kamera. Das Bild, das dem Deutschen Journalistenverband Baden-Württemberg vorliege, zeige einen anderen Hayati Yildiz, sagt Vorsitzende Dagmar Lange . Deutliche Spuren von Gewalteinwirkung seien in seinem Gesicht zu sehen. Hayati Yildiz ist laut EJF einer von 142 inhaftierten Journalisten in der Türkei. „Reporter ohne Grenzen“ spricht von 49 Journalisten, zählt allerdings nur jene, bei denen ein direkter Zusammenhang der Haft mit der journalistischen Tätigkeit nachgewiesen ist. „Diesen Zusammenhang herzustellen, ist sehr schwierig. Denn was ihren Angeklagten vorgeworfen wird, wissen selbst die Anwälte zum Teil nicht“, sagt Renzenbrink.
Auch Tülay lebte seit der Schließung von „Zaman“ mit der Angst, verhaftet zu werden. Viele ihrer Kollegen haben es nicht rechtzeitig geschafft, die Türkei zu verlassen. „Menschen, mit denen ich jahrelang zusammen in einer Redaktion gearbeitet habe, sind inhaftiert und das nur, weil sie ihren Job gemacht haben“, sagt sie. In den Augen von Erdogan seien ihre Kollegen Terroristen. Genauso wie Nummer 37 auf der Liste der EJF : Deniz Yücel. Wer ihn noch nicht kannte, der kennt ihn jetzt. „Welt“-Korrespondent, Deutsch-Türke, eingesperrt in der Türkei. Seit der Journalist sich am 14. Februar im Istanbuler Polizeipräsidium meldete, weil nach ihm gefahndet wurde, sitzt er hinter Gittern. Yücel geht es offenbar den Umständen entsprechend. In einem Brief aus dem Polizeigewahrsam, den die „Welt“ veröffentlicht hat, schreibt er: „Ich habe hier keine Gewalt gesehen und von keiner gehört. Die Beamten, die den Trakt beaufsichtigen, sind manchmal etwas grob im Ton, aber nicht ausfallend oder beleidigend.“
Das Bild von Hayati Yildiz lässt vermuten, dass das nicht immer so ist. „Folter ist in türkischen Gefängnissen keine Ausnahme, sondern immer wieder an der Tagesordnung“, sagt Dagmar Lange vom Deutschen Journalistenverband Baden-Württemberg. Sie erzählt von einem anderen türkischen inhaftierten Kollegen, der schwer am Darm erkrankt sei. Medikamente bekomme er nicht. Auch Human Rights Watch berichtet von Folter. Die Rede ist unter anderem von Schlafentzug, Prügel, sexuellem Missbrauch und Vergewaltigungsdrohungen. Die nach dem Putschversuch erlassene Notverordnung der Regierung setze wichtige Schutzvorschriften außer Kraft, die solche Misshandlungen ermöglichen, sagen die Menschenrechtler.
Lange ist sich sicher: Wenn die Namen der Inhaftierten öffentlich gemacht werden – so wie bei Yücel–, ist ein besserer Schutz gewährleistet. Deshalb hat der Deutsche Journalisten-Verband und die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in Baden-Württemberg ein Patenschaftsprojekt ins Leben gerufen. Deutsche Redaktionen sollen so mit türkischen, inhaftierten Kollegen in Kontakt treten und deren Geschichten öffentlich machen.
„Wir glauben, dass es für die Inhaftierten sehr wichtig ist zu wissen, dass es da jemanden gibt, der sich um sie kümmert“, sagt Lange. Auch Yücel betont in einem seiner Briefe, wie dankbar er für die Unterstützung ist. In den vergangenen Wochen gingen Hunderte in Stuttgart, Köln oder Berlin für Yücel auf die Straße, um gegen seine Festnahme zu demonstrieren. Bisher allerdings ohne Erfolg.
Tülay ist froh darüber, dass sich so viele Menschen in Deutschland für Yücels Freilassung einsetzen. „Ich wünschte nur, die deutsche Regierung hätte schon vorher reagiert, als türkische Journalisten verhaftet wurden.“ Die Verhaftung des „Welt“-Korrespondenten wertet sie auch als Einschüchterungsversuch gegenüber allen, die noch unabhängig und kritisch berichten.
Eine von ihnen ist Inga Rogg. Sie arbeitet seit 2012 aus Istanbul als Türkei-Korrespondentin für die „Neue Züricher Zeitung“. Auch die Stimmung gegenüber der ausländischen Presse sei schon lange nicht mehr gut, sagt sie. Ausländische Journalisten stünden unter Beobachtung, müssten sich vorwerfen lassen, sie würden die Türkei mit kritischer Berichterstattung schlechtmachen. Seit dem Putschversuch habe sich die Situation noch verschärft. „Die Menschen sind vorsichtiger geworden mit Interviews gegenüber ausländischen Journalisten“, so Rogg. Viele wollen nicht namentlich genannt werden. Hinzu kommt, dass einige Regionen im kurdischen Südosten zu No-Go-Gebieten geworden sind und eine Berichterstattung so unmöglich gemacht wird. „Wer kritisch über den Kurdenkonflikt berichtet, sieht sich sowieso oft mit dem Terrorismusvorwurf konfrontiert“, sagt Renzenbrink.
Gökay Sofuoglu, Vorstand der Türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg, beobachtet die Einschränkung der Meinungsfreiheit in der Türkei mit großer Sorge. Die Medienlandschaft sei quasi gleichgeschaltet. „Man kann ein Medium nicht mehr von dem anderen unterscheiden. Im Fernsehen laufen teilweise stundenlange Live-Übertragungen von Erdogans Reden“, so Sofuoglu. Auch Rogg sagt, türkische Oppositionspolitiker kämen in staatsnahen Medien quasi nicht zu Wort. Vor allem mit Blick auf das Referendum könne von einer fairen Kampagne nicht die Rede sein. Am 16. April entscheiden die Türken über eine Verfassungsänderung, die Präsident Erdogan wesentlich mehr Macht geben würde. „Die Türkei steht an einem Scheideweg und die Öffentlichkeit wird nicht richtig informiert“, so Rogg. Sie erzählt von einer türkischen Kollegin, die versucht, Erdogan in ihren Texten nicht namentlich zu erwähnen. Aus Angst davor, seinen Zorn auf sich zu ziehen. Aus Angst davor, die Nummer 143 auf der Liste zu werden.
Aber es gibt sie noch, kleine Inseln der Pressefreiheit. Die Zeitung „Cumhuriyet“ oder digitale Medien wie die Nachrichtenseite „bianet“ – doch auch sie arbeiten in einem Klima der Angst. Die Anfragen von türkischen Reportern an das Notreferat von „Reporter ohne Grenzen“ seien seit dem Putschversuch deutlich gestiegen, sagt Renzenbrink. Immer mehr fürchten Verfolgung. Immer mehr entscheiden sich wie Tülay dafür, ihr Heimatland zu verlassen. Auch Can Dündar, ehemaliger Chefredakteur der „Cumhuriyet“, lebt seit dem Sommer 2016 im Exil in Deutschland. Nun hat er mit der gemeinnützigen Recherchegesellschaft Correctiv die zweisprachige, journalistische Onlineplattform „Özgürüz“ ins Leben gerufen. Zu Deutsch: „Wir sind frei.“
Frei sein, das wollte auch Tülay. In der Türkei hatte sie ein gutes Leben, sagt sie. Eine große Wohnung, Familie, Freunde. Nun fängt sie in Deutschland von vorne an. In einem Land, dessen Sprache sie erst noch lernen muss. Ihre Stimme will sie trotzdem erheben. Gemeinsam mit anderen türkischen Journalisten im Exil gründete sie die englischsprachige Nachrichtenseite „turkishminute.com“. „Wir versuchen einfach nur von hier aus zu berichten, was in der Türkei geschieht“, sagt sie. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.