Die „Taylor Barracks“ im Mannheimer Nordosten stehen leer. Seit August sind die amerikanischen Soldaten weg. Die Stadt versucht, für die 46 Hektar eine Lösung zu finden. Eine Idee wäre ein Musik- und Medienpark. Xavier Naidoo und Michael Herberger von der Band „Söhne Mannheims“ wollen aus der Brache ein Stadtviertel für Künstler und Kreative machen, aber auch für Menschen, die eher traditionellen Berufen nachgehen und Neues ausprobieren wollen.
Das Ende der Welt grenzt an einen drei Meter hohen Zaun mit Stacheldraht. Vor einem geschlossenen Tor steht ein schwarzer Kleinwagen der „Süddeutschen Überwachung“. Der Mann am Steuer passt darauf auf, dass die Gebäude hinter dem Zaun nicht durch Graffitis verschandelt werden – ein Pförtnerhäuschen mit blinden Fenstern, gelbe Baracken, ehemalige Wohngebäude mit Spitzdächern. Die Zufahrt besteht aus meterlangen Betonplatten. Irgendwo summen Stromleitungen.
Ein bisschen Glanz
Der Sänger Xavier Naidoo ist der wohl erfolgreichste deutsche Soulpopmusiker. Gemeinsam mit Herberger, Keyboarder und Produzent, haben die beiden auch durch ihre Band „Söhne Mannheims“ ihrer Heimatstadt ein bisschen Glanz verliehen. Seit 2005 arbeiten Naidoo und Herberger in direkter Nachbarschaft zu den „Taylor Barracks“. Im Gewerbegebiet Vogelstang hat die Naidoo Herberger GbR ihre Büros und neun Studios. Wer auf der Terrasse im ersten Stock steht, blickt auf das ehemalige Militärgelände der „Taylor Barracks“. Herberger hat sich immer wieder überlegt, was man mit der Fläche machen könnte. „Ich habe schon vor Jahren bei der Stadt angerufen und gesagt: ,Wenn die Amis gehen, will ich der erste sein, der informiert wird‘“, erzählt der 40-jährige Mannheimer. Naidoo äußert sich derzeit nicht gegenüber der Presse. Herberger hat mit Freunden gesprochen, Kontakte genutzt. Er hat sich mit dem Existenzgründerzentrum Musikpark Mannheim kurz geschlossen, mit der Filmproduktionsfirma Team Worx aus Ludwigsburg, mit der Popakademie und mit „BB-Promotion“ in Mannheim. Der Tournee-Veranstalter organisiert auch die Konzerte der „Söhne Mannheims“ in Mannheim.
Durch die Popakademie, die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst und die Universität kommen zahlreiche junge Künstler nach Mannheim, sagt Herberger. Doch nach Ausbildung und Studium werde es schwierig. „Was uns in Mannheim fehlt, sind Angebote für Existenzgründer“, sagt der Musiker. „Ich will den jungen Leuten, die hier ihre Ausbildung gemacht haben, eine Zukunftsperspektive in der Region bieten.“ Auf dem ehemaligen Militärgelände sollen unter anderem ein Theater mit 1500 Plätzen entstehen und Proberäume, die stundenweise oder auch für Monate gemietet werden können. Junge Künstler sollen sich dort ihre Studios einrichten können und Platten aufnehmen. Aber auch Hobby-Musiker, die in der eigenen Doppelhaushälfte nicht üben können, sollen sich hier kreativ austoben können.
Drei oder vier Kernprojekte
Restaurants sind angedacht, Clubs mit Live-Musik, eine Kletterhalle und ein Künstlerquartier, wo die im Viertel Arbeitenden auch leben können. „Es braucht drei oder vier Kernprojekte mit Ausstrahlungskraft, die das Projekt so attraktiv machen, dass die Leute kommen wollen“, sagt Herberger. Die Idee: Ein Ort für Kunstschaffende, der nach ihrem Rhythmus funktioniert. „Künstler wollen kreativ sein, wenn sie es sind und nicht, wenn sie es müssen.“ An die Kernprojekte sollen sich weitere Firmen andocken. Der Musiker sieht den Musik- und Medienpark als „Kreativdorf“.
Letztlich wollen Herberger und Naidoo die komplette Fläche der „Taylor Barracks“ neu gestalten. Allerdings am liebsten Stück für Stück. Die Stadt spricht von der Hälfte der Fläche. Herberger geht davon aus, dass die Gesamtinvestitionen für das Projekt bei einem dreistelligen Millionenbetrag liegen werden. Auf die Frage nach einem Zeithorizont spricht er zunächst von drei bis fünf Jahren, schränkt dann aber ein: „Solange die Stadt die Fläche nicht von der Bundesimmobilienanstalt gekauft hat, ist die Planung obsolet.“
Wettbewerb bringt 100 Ideen
Mannheim verfügt über die größte Konversionsfläche in Süddeutschland. Die US-Streitkräfte hatten nach dem zweiten Weltkrieg die dortigen Wehrmachtskasernen übernommen. Zuletzt waren in Mannheim 2300 Mitarbeiter der amerikanischen Armee stationiert. 2010 gaben die USA bekannt, bis Ende 2015 alle Soldaten abzuziehen. Die Stadt hat vor einem Jahr zu einem Ideenwettbewerb für die weitere Nutzung der Konversionsflächen aufgerufen. 1000 Ideen kamen zusammen. Darunter der Musik- und Medienpark der „ Söhne Mannheims “, die Bundesgartenschau 2023 und ein Baumhotel.
Insgesamt werden bis Ende 2015 rund 500 Hektar an Flächen frei. Zum Vergleich: Das Fürstentum Monaco ist rund 200 Hektar groß. Fast die gesamten Flächen fallen an den Bund zurück. Verwaltet werden sie von der Bundesimmobilienanstalt (Bima). Die Stadt hat allerdings das Planungsrecht – und findet das Konzept „Kreativdorf“ gut. „Mannheim, in dem von jeher die Kreativen ein Zuhause und auch ein ,Labor‘ für ihre Ideen und Projekte gefunden haben, bietet sich für ein solches Vorhaben an“, sagt Peter Kurz, Oberbürgermeister von Mannheim. Konrad Hummel, Konversionsbeauftragter der Stadt, ergänzt: „Die Idee ist auf Wachstum und Entfaltung orientiert, will bewusst über die Stadt hinaus strahlen und andere anlocken.“
Doch die Stadt will auch sicher sein, dass das Konzept „keine Luftnummer“ ist, wie Hummel sagt. Keine Sorgen macht sich die Stadtverwaltung darüber, dass Naidoo und Herberger über ihre Kontakte genügend Kreative motivieren können. „Bei den Investitionen müssen wir dagegen ein bisschen mithelfen und richtig zusammenführen“, ist Hummel überzeugt. Regelmäßig finden Gespräche mit Interessenten für die Flächen statt. Zuletzt auch wieder für die „Taylor Barracks“ unter anderem mit Herberger. Offen sieht Hummel den Aspekt, inwiefern beispielsweise Großveranstaltungen im Theater über das ganze Jahr gefüllt werden können.
Herberger sagt: „Ich gehe davon aus, dass unser Konzept das Beste für die Stadt ist.“ Auf jeden Fall ist es für die „Taylor Barracks“ eines der umfangreichsten. Bei der Bima ist man für die Nutzung der Fläche als Musik- und Medienpark offen. Allerdings: „Wir sind ein Unternehmen, dass wirtschaftlich zu denken hat“, sagt Michael Scharf, Bima-Projektleiter für die „Taylor Barracks“. „Wir würden natürlich gern in jedem Bereich den höchstmöglichen Preis erzielen.“ Dieser richtet sich allerdings nach der Nutzung der Fläche, die wiederum die Stadt vorschreibt. „Man muss schauen, dass man zu einer vernünftigen Lösung kommt.“
Die Idee von Naidoo und Herberger beurteilen weitere Nachbarn der „Taylor Barracks“ unterschiedlich. Ralf Weil, Inhaber eines Schweißfachbetriebes, würde sich lieber eine andere Nutzung der leeren Hallen mit ihren Krananlagen, ihren leistungsfähigen Stromanschlüssen und ihren breiten Zufahrten wünschen. „Handwerker wie ich würden sich die Finger danach lecken“, sagt der 54-Jährige. Die Anlagen sollten besser ihrem „Zweck entsprechend weiterverwendet werden.“
„Endlich mal Leben in der Bude“
Brigitte Reul, Mitarbeiterin einer Firma für Rolläden und Jalousien, äußert sieht das Konzept mit gemischten Gefühlen: „Wir hätten die Fläche lieber als reines Gewerbegebiet.“ Die Firma möchte dort eine Gewerbehalle mit 1000 Quadratmetern Fläche aufstellen. „Aber vielleicht lässt sich das auch kombinieren“, sagt sie mit Blick auf die 46 Hektar. Martin Klug stellt in seinem Betrieb Spritzgießwerkzeug für die Autoindustrie her. Er findet die Idee gut, auch wenn er kein Fan von Xavier Naidoo ist. „Dann kommt endlich mal Leben in die Bude“, sagt der 59-Jährige. „Wir sind hier doch am Arsch der Welt.“
Abzug der Truppen fordert die Kommunen
Konversion stammt vom lateinischen conversio (Umwendung, Umkehr) ab und steht neben anderem für die neue Nutzung von Flächen und Gebäuden. Der Abzug der US-Streitkräfte und die Schließung von Bundeswehrstandorten fordern aktuell nicht nur Mannheim, sondern auch kleinere Kommunen:
Oberschwabenkaserne Mengen/Hohentengen: Die Oberschwabenkaserne am Standort Mengen/Hohentengen im Landkreis Sigmaringen will die Bundeswehr im ersten Quartal 2013 aufgeben. Zwei Drittel der 90 Hektar liegen hier auf der Gemarkung Hohentengen, ein Drittel auf der Gemarkung Mengen.
Graf-Stauffenberg-Kaserne, Sigmaringen: Wann die Bundeswehrsoldaten vom Standort Sigmaringen abgezogen werden sollen, dazu will sich die Bundeswehr vermutlich im Juni äußern. Die Fläche beträgt rund 215 Hektar.
Reinhardt-Kaserne, Ellwangen: Auch zum Abzugsdatum für den Standort Ellwangen will sich die Bundeswehr vermutlich im Juni äußern. Am Standort soll nach derzeitiger Planung eine Sprachenschule in der Kaserne verbleiben. Die Flächen mit Standortübungsplatz und Schießanlage betragen rund 175 Hektar.
Oberfeldwebel-Schreiber-Kaserne, Immendingen: Immendingen freut sich über die schnelle Weiterverwendung der ehemaligen Bundeswehrflächen: Der Daimler-Konzern will hier auf einem Teil des rund 420 Hektar großen Areals eine Teststrecke für seine Autos bauen.
Bei der Weiterverwendung der ehemals militärisch genutzten Flächen steht in der Regel auf der einen Seite das Interesse der Bundesimmobilienanstalt (Bima), die die Flächen für den Bund möglichst teuer verkaufen will. Auf der anderen Seite haben die Kommunen das Planungsrecht und ein Interesse an einer sinnvollen Nutzung. Seit 2005 war die Bima vom Bund angehalten, die Flächen so teuer wie möglich zu verkaufen. Im März hat der Bund beschlossen, dass die betroffenen Kommunen wie früher auch schon ein Erstverhandlungsrecht bei ehemals militärisch genutzten Flächen haben.