„Wir waren heute der Prellbock“

Polizisten zeigen sich empört über Ausschreitungen in Stuttgart

Baden-Württemberg / Lesedauer: 4 min

Mit der massiven Gewalt hat die Polizei nicht gerechnet: 26 Beamte werden bei den Ausschreitungen in Stuttgart verletzt, manche davon schwer. Die Gewerkschaft fordert Konsequenzen.
Veröffentlicht:17.09.2023, 13:42

Von:
  • Deutsche Presse-Agentur
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Die Polizei ist aus eigener Sicht bei den Ausschreitungen in Stuttgart zwischen die Fronten von Anhängern und Gegnern des eritreischen Regimes geraten. „Wir waren heute der Prellbock für einen eritreischen Konflikt, der auf Stuttgarter Straßen mit massiver Gewalt ausgetragen wurde“, teilte der Stuttgarter Polizeivizepräsident Carsten Höfler in der Nacht zum Sonntag mit Blick auf die Ausschreitungen vom Samstag mit.

26 Polizeibeamte seien verletzt worden, zudem vier Teilnehmer der regimenahen Eritrea–Veranstaltung und zwei Oppositionelle. Sechs Beamte wurden im Krankenhaus behandelt. Fünf Polizisten konnten ihren Dienst den Angaben zufolge nicht weiter ausführen. 300 Beamte seien insgesamt am Samstag im Einsatz gewesen.

Gegner greifen zu mit Nägeln bestückten Holzlatten

Am Rande einer Eritrea–Veranstaltung war es zu den heftigen Ausschreitungen gekommen. Auslöser war eine Versammlung von Eritrea–Vereinen mit rund 80 bis 90 Teilnehmern, die laut Polizei dem diktatorischen Regime in Afrika nahestehen. Mehrere Hundert Veranstaltungsgegner hatten sich zum Protest in der Stadt versammelt.

Ihnen sei ein Versammlungsort zugewiesen worden, der jedoch abgelehnt worden sei, so die Polizei. Anschließend kam es am Römerkastell beim Veranstaltungsort zu massivem Krawall. Gegnern der Veranstaltung hätten Teilnehmer und Polizeibeamte mit teils mit Nägeln bestückten Holzlatten, Metallstangen, Flaschen und Steinen angegriffen.

Holzlatten und Stangen liegen nach Ausschreitungen bei einer Eritrea-Veranstaltung auf einem Gehweg. Bis zu 200 Personen hätten Teilnehmer der Veranstaltung und Polizisten mit Steinen, Flaschen und Holzlatten angegriffen, teilte ein Polizeisprecher mit. (Foto: Jason Tschepljakow/dpa)

Die Polizei wehrte sich mit Schlagstöcken und Pfefferspray gegen die Angreifer. Kräfte wurden aus umliegenden Polizeipräsidien und der Bundespolizei beordert. Auch mit dem Hubschrauber wurden Polizisten eingeflogen.

Die Teilnehmer des Eritrea Treffens wurden unter Polizeischutz nach dem Ende der Veranstaltung vom Ort des Geschehens eskortiert. Zugleich kesselte die Polizei rund 200 Oppositionelle ein. Bis in die Nacht hinein stellten die Beamten Personalien fest und sprachen Platzverweise aus. Die Polizei will an diesem Sonntag  vor Ort Presse–Statements abgeben.

Kritik von der Polizeigewerkschaft

Der Einsatz verdeutlicht aus Sicht der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) die personellen Probleme der Polizei. „Gut, dass wir dort Hilfe aus anderen Polizeipräsidien und der Bundespolizei bekommen haben“, teilte Landeschef Ralf Kusterer am Sonntag mit. Aber das dauere oft sehr lange. Er kritisierte, der Staat sei schwach. „Das müssen wir ändern. Auch weil ein demokratischer Staat durch diesen schwachen Staat gefährdet ist.“ Der öffentliche Dienst und die Polizei müssten endlich gestärkt werden. Die Stuttgarter Beamten hatten massiv Kräfte aus der Umgebung hinzubeordert.

Wir werden nächste Woche sofort mit den in Stuttgart ansässigen Vereinen das Gespräch suchen.

Ein Sprecher der Stadt Stuttgart

Kusterer kritisierte, dass die unangemeldete Gegendemonstration zu dem Eritrea–Treffen eine Demonstrationsfläche zugewiesen bekommen habe, sich aber nicht daran gehalten habe. „Wir machen uns hier zum Affen. Dabei müssten wir unser Demonstrations– und Versammlungsrecht schützen und stärken. Dazu müssen wir konsequent durchgreifen. Wer sich nicht daran hält, verwirkt sein Recht darauf.“

Die Stadt Stuttgart will zeitnah mit den betroffenen Gruppen Kontakt aufnehmen. „Wir werden nächste Woche sofort mit den in Stuttgart ansässigen Vereinen das Gespräch suchen“, teilte der städtische Integrationsbeauftragte Gari Pavkovic am Samstagabend mit. „Unsere Linie in den regelmäßigen Gesprächen mit den verschiedenen Migrantenorganisationen ist, dass wir in Stuttgart keine Auseinandersetzungen und Ausschreitungen zu den Konflikten in den Herkunftsländern dulden.“

Stadt sieht keine Gründe für Verbot

Nach Ansicht der Stadt gab es keine Gründe für ein Verbot der Eritrea–Veranstaltung. „Versammlungen im geschlossenen Raum sind nicht anmeldepflichtig“, teilte die Landeshauptstadt mit. „Es lagen keine Gründe für ein Verbot der heutigen Eritrea–Veranstaltung vor.“ Die Stadt Stuttgart werde aber Konsequenzen aus den Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft ziehen.

Im Juli war es bereits in der hessischen Stadt Gießen zu Ausschreitungen bei einem Eritrea–Festival gekommen. Mindestens 26 Polizisten wurden verletzt, als Gegner der Veranstaltung Sicherheitskräfte mit Stein– und Flaschenwürfen attackierten und Rauchbomben zündeten. Die Beamten hatten unter anderem Schlagstöcke gegen sie eingesetzt. Die Organisatoren des Events in Gießen standen der umstrittenen Führung des ostafrikanischen Landes nahe. In Stockholm kam es im August bei einem Eritrea–Festival zu gewalttätigen Ausschreitungen mit mehr als 50 Verletzten.