Unterrichtsversorgung
Landeselternbeiratsvorsitzender kritisiert Kultusministerium und gründet neuen Rat
Stuttgart / Lesedauer: 6 min

Dominante Lehrer-Lobby, Stillstand im Schulsystem in Baden-Württemberg , mangelhafte Unterrichtsversorgung: In seiner Funktion als Landeselternbeiratsvorsitzer sieht sich Michael Mittelstaedt mit seiner Kritik zu wenig gehört im Kultusministerium.
Deshalb hat der 52-jährige Physiker mit Gleichgesinnten den Landesbildungsrat gegründet. Ziel des Vereins: Eine Revolution von unten. Wie das gehen soll, erklärt der dreifache Vater aus Bösingen bei Rottweil der „ Schwäbischen Zeitung “.
Die Fähigkeiten der Südwest-Schüler rutschen laut Bildungsstudien zunehmend ab. Warum ist das so?
Interessant finde ich an den ganzen Studien, dass entgegen dem, was sonst die Lobbygruppen, also vorwiegend Lehrergewerkschaften sagen, es alle Schularten betrifft. Parallel hört man immer wieder, dass Unis an der Studierfähigkeit zweifeln, dass Arbeitgeber Azubis bekommen, denen es an Grundlagen fehlt. Die Praxis bestätigt also die Studien.
Der Qualitätsverlust an Schulen liegt zum einen am nicht erfassten Unterrichtsausfall. Der wird wohl bewusst nicht erfasst, sonst müsste man ja was am Elend verändern. Es gibt fast keine Teamarbeit unter Lehrern, was dazu führt, dass Lehrer ohne Vorwissen in einer Klasse Unterricht vertreten müssen. Hinzu kommt, dass unsere Kinder eine immer geringere Aufmerksamkeitsspanne haben. Lesen nimmt ab, gerade auch das längerer Texte. Statt Goethe lesen manche Klassen inzwischen Greg’s Tagebuch. Der Qualitätsverlust bezieht sich also auf Quantität und Qualität des Unterrichts.
Was läuft grundsätzlich schief im Bildungssystem im Südwesten?
Es ist bizarr, wenn Lehrer als Treiber von Veränderung dargestellt werden, die jeden einzelnen Schüler im Fokus hätten. Das behaupten Funktionäre von Lehrerverbänden, und die sind leider die dominanten Meinungsmacher. Es wird viel zu wenig auf die Kinder geschaut. Darauf, ob es richtig ist, dass fast die Hälfte aufs Gymnasium geht, selbst wenn sie dort nicht optimal aufgehoben sind. Auf den Zeitpunkt, wann sie sich auf die weiterführenden Schularten verteilen.
Wir könnten Kinder viel besser fördern als wir das im Moment tun. Stattdessen haben wir eine Schulstruktur, die in sich nicht konsistent ist, aber man will einfach nicht darüber diskutieren. Für jede Schulart gibt's eine eigene Lobbygruppe. Würde man etwas an der Struktur verändern, würden Pöstchen verloren gehen, zum Teil ganze Verbände. Man hat das Gefühl, die Kinder sind nur dafür da, das System zu füttern. Dabei sind sie es, die in 20 Jahren die Gesellschaft in Deutschland bilden werden. Deshalb müssten wir gerade in sie mit Vollgas investieren.
Haben Sie deshalb den Landesbildungsrat gegründet? Sie sind doch bereits oberster Elternvertreter.
Als Eltern wird man nicht in dem Maße gehört wird, wie es für einen Kunden angemessen wäre. Auch jemand, der wenig Geld hat, vielleicht kein Deutsch kann oder einfach unsympathisch ist, muss sein Kind in der Schule abgeben können und sicher sein, dass es genauso gefördert wird wie das Akademikerkind. Wir hätten gedacht, dass die Defizite wie Unterversorgung, mangelnde Digitalisierung und manch unmotivierten Lehrer während Corona auffallen würden und die Politik massiv gegensteuert.
Passiert ist nichts. Wer soll aus diesem zementierten System auch eine Veränderung herbeiführen wollen? Das geht nur durch Menschen, die kein eigenes Interesse verfolgen – außer dem nach guter Bildung. Deshalb wollen wir diese Frage, was gute Bildung ist, mit den Menschen im Land auf möglichst breiter Basis diskutieren.
Auf der Homepage des Landesbildungsrats heißt es, die Beratungsgremien wie Landeseltern- oder -schülerbeirat würden von der Politik als Aushängeschild benutzt, um Entscheidungen scheinbar zu legitimieren. Wie meinen Sie das?
Die Uraufgabe eines Landeselternbeirats sollte beratend sein. Frühzeitig eingebunden werden wir allerdings nie. Wir haben keinen wirklichen Einfluss darauf, was im Bildungssystem passiert. Größere Veränderungen sind zudem nie Thema in Diskussionen, es geht immer um Kleinigkeiten. Zudem sind wir ja ebenfalls strukturell gebunden.
Landeselternbeiratsvorsitzender bin ich, gewählt wurde ich als Vertreter für die Gymnasien in Freiburg. Gegen die Gymnasien schießen sollte ich also nicht. Dabei müssten wir doch generelle Fragen stellen dürfen, etwa nach dem besten Bildungssystem und ob es dafür Gymnasien in der heutigen Form bräuchte. Die Menschen im Land haben doch ein Gefühl dafür, was deutlich besser werden muss.
Die werden aber nie gefragt oder mit einbezogen. Auch die Kinder nicht. Wenn man also eine Revolution starten möchte, kann die nicht aus dem System entstehen. Zumal Grün-Schwarz im Koalitionsvertrag festgehalten hat, dass es keine Schulstrukturdebatten geben werde. Das war ein Hauptauslöser zur Gründung unseres Vereins. Diskussion müssen immer möglich sein. Dafür braucht es ein Format. Das wollen wir bieten.
Wie genau?
Im Prinzip so, wie es die Montag-Stiftung Denkwerkstatt mit ihrem Bürgerrat Bildung und Lernen auf Bundesebene macht. Man stellt Kriterien auf, anhand derer ein Institut für uns Zufallsbürger auswählt. Wir wollen, dass die gesamte Bürgerschaft abgebildet ist: jedes Alter, Geschlecht, sozialer Hintergrund und so weiter. Mit diesen wollen wir Ideenwerkstätten abhalten, mit Input aus der Wissenschaft, um die Menschen zunächst auf Stand zu bringen.
Unser Wunsch ist, dass die zufällig ausgewählten Bürger Ideen entwickeln, wie unser Bildungssystem heutzutage sein soll, speziell das in Baden-Württemberg. Das wird teuer, also brauchen wir Finanziers, die das bezahlen: Hallenmiete für Veranstaltungen, Wissenschaftler, Reisekosten für die Teilnehmer, denn wir wollen ja die ganze Bürgerschaft einladen.
Die Vereinsmitglieder sind lediglich die den Rahmen bietenden Organisatoren, und wir brauchen auch noch mehr ehrenamtliche Helfer, die das mit uns stemmen. Das wird auch für uns nicht ganz einfach, denn wir haben ja gewisse Hoffnungen an die Ergebnisse. Was rauskommen wird, müssen wir dann natürlich annehmen.
Wann geht’s los und wann gibt es Erkennisse?
Aktuell beschäftigen wir uns mit dem Datensammlen, was ein irrer Aufwand ist. Wir wollen fundierte Informationen, etwa dazu, wieviele Schüler zu welchem Zeitpunkt ihrer Bildungsbiographie aus welchen Gründen gezwungen sind, eine Schule zu wechseln.
Auf jeden Fall wollen wir deutlich vor der Landtagswahl 2026 fertig sein. Unsere Ergebnisse sollen ja als Input für alle politischen Parteien dienen. Wir sehen uns als gezwungene Unterstützung für die Politik. Vielleicht gibt es ja beim nächsten Mal einen anderen Koalitionsvertrag, in dem dann steht, wir brauchen eine Strukturreform.