Südwesten
Kretschmann will mit dem Südwesten in die digitale Champions League
Friedrichshafen / Lesedauer: 4 min

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) hat eindringlich an die Kommunen in Baden-Württemberg appelliert, die Herausforderungen der Digitalisierung ernst zu nehmen und anzugehen. Die digitale Transformation sei eine Entwicklung, „die alle Lebensbereiche umpflügt“, sagte Kretschmann bei der Hauptversammlung des baden-württembergischen Städtetages in Friedrichshafen.
Kretschmann berief sich in seiner 25-minütigen Rede vor den Kommunalvertretern aus dem Südwesten lange auf seine zehntägige Nordamerika-Reise. „Ein Ergebnis dieser Reise ist ganz klar: Wir sind zu langsam“, rief Kretschmann vom Podium. Die Kommunen im Südwesten müssten sich darum bemühen, Fachkräfte aus den innovativsten Wirtschaftsbranchen in die Region zu locken – und dabei die Vorteile auszuspielen, die Baden-Württemberg etwa im Vergleich zum Silicon Valley, der Heimat vieler Technologieriese im US-Bundesstaat Kalifornien, habe. Dazu zählten günstigerer Wohnraum und mehr öffentliche Sicherheit in den Städten und Ortschaften.
Bei der Hauptversammlung des Städtetags – der Interessenvertretung von 188 kleineren wie großen Städten im Südwesten – kamen am Donnerstag und Freitag knapp 600 Bürgermeister, Oberbürgermeister und Gemeinderäte in Friedrichshafen zusammen. Sie diskutierten dort über die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Kommunen. Am Freitag endete die Hauptversammlung. Die ersten zwei Veranstaltungen drehten sich um Energieversorgung und Pflege, das letzte Diskussionspanel um die politische Kommunikation im digitalen Zeitalter. Kretschmann hielt seine Rede zu Beginn dieses Panels, an der Diskussion selbst nahm auch der Europäische Haushaltskommissar Günther Oettinger teil.
„Wir sind Meister der Hardware“
Kretschmann sprach in seiner Rede auch von den großen Veränderungen, welche die Digitalisierung für die Mobilität in den Kommunen mit sich bringe – und über den Wandel, den die Autoindustrie durchlebe. Er sei „ziemlich zuversichtlich“, dass die hiesigen Unternehmen Vorreiter wie den US-Elektroautohersteller einholen würden, sagte Kretschmann. Allgemein gehe es in Zukunft darum, ob die Betriebe, die die Hardware – also die Geräte – herstellen, künftig auch die Software – also die Computerprogramme – herstellten. Oder umgekehrt. „Wir sind die Meister der Hardware“, sagte Kretschmann mit Blick auf die Wirtschaft im Südwesten. Wenn es den Betrieben gelinge, ihre über hundertjährige Erfahrung an die Welt der Informationstechnologie „anzudocken“, dann hätte Baden-Württemberg die Chancen, „in die Champions League zu kommen.“ „Diese Chance müssen wir nutzen!“ rief Kretschmann.
Kretschmann sprach in seiner Rede auch über die Bildung, die einewichtige Rolle bei der Bewältigung der Digitalisierung spiele. Der Ministerpräsident sprach sich einmal mehr lautstark gegen eine Zentralisierung der Bildung aus – und ermahnte die Bundesregierung, nicht an der föderalen Ordnung und der Gemeindefreiheit in Deutschland zu rütteln. Es sei gut, dass der Bund mehr Geld für die Ausstattung der Schulen zur Verfügung stellen wolle. Das Geld müsse aber aus Steuermitteln kommen, nicht aus Programmmitteln – andernfalls würde das Geld an Bedingungen geknüpft. „Da kommt eine Flut von Grundgesetz-Änderungen auf uns zu. Ich sage ihnen, dem werd’ ich mich widersetzen“, sagte Kretschmann zu den Kommunalvertretern, die für seine Rede kräftigen Beifall klatschten. Eine Zentralisierung in der Bildungspolitik sei falsch – das zeige das Beispiel des zentralistischen Frankreichs, wo man derzeit das Bildungssystem stärker regionalisiere.
Bekenntnis zur Medienfreiheit
In der Debatte zur politischen Kommunikation mit EU-Kommissar Oettinger, dem Städtetagspräsidenten und Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz und der Digitalunternehemerin Ann Cathrin Riedel sprach Kretschmann über die Digitalisierung der politischen Kommunikation. Er sei zwar zuversichtlich, dass sich das „einpendeln“ werde, sagte Kretschmann – aber derzeit sei beunruhigend, wie massiv Feinde der Demokratie soziale Netzwerke nutzten. Oettinger gab ein „Bekenntnis zur Medienfreiheit und zum Qualitätsjournalismus“ ab. Der EU-Hauhaltskommissar forderte zudem mehr Medienerziehung an Schulen. Kindern und Jugendlichen müsse beigebracht werden, wie sie mit sozialen Netzwerken umgehen – und wie und wo sie sich tiefergehende Informationen beschaffen.