Stuttgart
Kretschmann verteidigt erneut Cohn-Bendit
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Schwäbische.de
Die Trillerpfeifen der Demonstranten waren noch im Weißen Saal des Neuen Schlosses zu hören. „Schämt euch“ skandierten die rund 70 Menschen vor dem Gebäude bei jedem Gast, der zur Verleihung des Theodor-Heuss-Preises gekommen war. Am Samstagmorgen hat die Theodor-Heuss-Stiftung den grünen Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit für seine Verdienste um die deutsch-französischen Beziehungen und die Demokratie in Europa geehrt.
Die Auszeichnung hatte in den vergangenen Wochen zu massiven Protesten von CDU , FDP und Verbänden gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern geführt. Auslöser der Proteste waren Äußerungen Cohn-Bendits in den 70er- und 80er-Jahren über sexuelle Kontakte zu Kindern in Kindergärten gewesen, in denen er damals gearbeitet hatte. Norbert Denef, Vorsitzender des Netzwerks Betroffener von sexualisierter Gewalt, bezeichnete die Auszeichnung Cohn-Bendits am Samstag als „unerträglich“ und „gefühlskalt“.
Vergebung von Irrtümern
Winfried Kretschmann , Ministerpräsident von Baden-Württemberg und politischer Weggefährte Cohn-Bendits, verurteilte in seinem Grußwort die damaligen Aussagen des heute 68-Jährigen als „gänzlich inakzeptabel“. Allerdings bestehe „ein elementarer Unterschied“ zwischen Taten und Worten. Kretschmann bezog sich dabei auf einen Brief, in dem Eltern und Kinder Cohn-Bendit vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs freisprachen. Kretschmann warb um Vergebung von Irrtümern und zitierte die Philosophin Hannah Arendt mit den Worten: „Das Vergeben bezieht sich nur auf die Person und niemals auf die Sache.“ Dabei verwies Kretschmann auf Theodor Heuss, der 1933 unter Adolf Hitler für das Ermächtigungsgesetz gestimmt hatte und später Bundespräsident wurde – „ein Glücksfall für die Bundesrepublik Deutschland“. CDU und FDP hatten Kretschmann im Vorfeld der Preisverleihung aufgefordert, sein Grußwort abzusagen.
Cohn-Bendit bezeichnete in seiner emotionalen Rede seine Äußerungen erneut als „unerträgliche Provokation“, und erklärte sie mit der damaligen Situation in der Gesellschaft: „Wir haben gegen die öffentliche Moral revoltiert.“ Der Preisträger brach in Tränen aus, als er von seiner Kindheit und Jugend als Internatsschüler der Odenwaldschule erzählte, die vom frühen Tod der Eltern geprägt war. Cohn-Bendit, der sowohl für die deutschen als auch für die französischen Grünen im Europaparlament gesessen hat, beschrieb im Anschluss seine Vision von einem „Europa ohne Grenzen“.
In den vergangenen Wochen war auch die Landtagsopposition für ihre Kritik an Cohn-Bendit kritisiert worden. Laudator Roger de Weck, Schweizer Publizist, warnte vor einer politisch motivierten Hetzjagd gegen den Preisträger und davor, „dass Hass salonfähig“ werde. „Der Hintergrund ist viel zu ernst“, sagt er, „um als Kulisse für politische Machtkämpfe zu taugen.“