Trocken abgeblockt

Kretschmann reagiert auf Empörung über Palmer-Zitat nach Tod von Afrikaner

Stuttgart / Lesedauer: 4 min

Tübingens OB steht erneut in der Kritik. Baden-Württembergs Ministerpräsident blockt Nachfragen nonchalant ab - äußert sich aber klar zur Debatte um „Tauben im Gras‟.
Veröffentlicht:28.03.2023, 13:29

Von:
  • Author ImageKara Ballarin
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Mal wieder gibt es viel Kritik an Boris Palmer. Der Grüne, dessen Parteimitgliedschaft auch aufgrund von Rassismusvorwürfen noch bis Ende des Jahres ruht, hat nach dem Tod eines 23-Jährigen eine Diskussion befeuert, für die er seit Jahren viel Kritik einstecken muss.

An dieser will sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) indes nicht beteiligen, wie er am Dienstag in Stuttgart betonte.

Vergangenen Donnerstag ist ein junger Mann aus Gambia im Botanischen Garten in Tübingen erstochen worden. Ein tatverdächtiger Kroate sitzt in Untersuchungshaft.

Palmer sieht Kommunen in Flüchtlingsfrage alleingelassen

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer hatte bald nach der Tat in sozialen Medien erklärt, dass der Ort im Botanischen Garten, an dem der 23-Jährige attackiert wurde, bekannt sei als Drogenumschlagsplatz.

Palmer berichtete davon, wie machtlos Kommunen und Strafverfolgungsbehörden seien, da Asylbewerber aus Gambia sehr häufig im Drogenhandel involviert seien. Auch deshalb, weil sie unter großem Druck stünden, Geld in die Heimat zu schicken, und ihnen juristisch viel zu milde Repressalien in Deutschland drohten.

Derlei Diskussionen haben Teile der Bevölkerung erzürnt. Der Tübinger Grünen-Stadtverband hat Palmer am Dienstag in einer Pressemitteilung indirekt vorgeworfen, die Tat für seine eigene Agenda zu nutzen.

Grüner Stadtverband kritisiert Palmer direkt

Wörtlich schreibt der Verband, man wünsche sich, dass „jegliche Spekulation über die Hintergründe der Tat weder unmittelbar nach der Tat , noch zu einem späteren Zeitpunkt von offizieller Seite angestoßen oder befördert werden‟, und: „Alle Formen der Instrumentalisierung von strafrechtlichen Handlungen lehnen wir ab.‟

Palmer verweist in seinen Beiträgen regelmäßig auf sein Buch „Wir können nicht allen helfen‟, das er unter dem Eindruck der Hochphase der Flüchtlingskrise 2017 geschrieben hatte.

Jeder ist ja erstmal selber dafür verantwortlich, was er sagt.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne)

Darin und auch in offenen Briefen - zuletzt in einem mit dem bayerischen Grünen-Landrat Jens Marco Scherf an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verfassten - fordert er unter anderem, dass mehrfach straffällig gewordene Asylbewerber nicht mehr in Städten leben dürften. Sie sollen zwangsweise in Einrichtungen des Landes wohnen und ausschließlich Sach- statt Geldleistungen erhalten.

Kretschmann, der in früheren Jahren ein sehr enges Verhältnis mit Palmer gepflegt hatte, reagierte am Dienstag leicht gereizt auf das Thema. „Jeder ist ja erstmal selber dafür verantwortlich, was er sagt‟, betonte er. „Ich muss ja nicht die Oberbürgermeister-Kommentare kommentieren, das werde ich nicht machen. Ich bin doch nicht der Papa vom Palmer.‟

Klare Position zur Debatte um „Tauben im Gras‟

Auskunftsfreudiger wurde Kretschmann bei der Debatte um die Abitur-Pflichtlektüre „Tauben im Gras‟.

Obwohl in dem Roman das N-Wort Dutzende Male vorkommt, hält Kretschmann an Wolfgang Koeppens Roman als Abi-Pflichtlektüre fest. „Ich bin der Meinung, dass jede gymnasiale Lehrkraft dazu imstande ist, es ihren Schülern zu vermitteln‟, sagte der Regierungschef am Dienstag in Stuttgart.

Eine Lehrerin aus Ulm hat Protest gegen die Lektüre bekundet. Das N-Wort, das in früheren Zeiten für Schwarze verwendet wurde und heute als degradierend gilt, betreffe sie als Frau dunkler Hautfarbe in ihrer Lebenswelt. Nicht abstrakt, sondern rassistisch konkret.

Dennoch hatte bereits Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) bereits erklärt, nichts am Kanon der Abi-Lektüre ändern zu wollen.

Die Lehrkräfte sind gut vorbereitet und sensibilisiert.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne)

Er habe das Buch zwar nicht gelesen, sagte nun Ministerpräsident Kretschmann. Die Einführung des Buches sei aber von einer zehnköpfigen Kommission entschieden worden, sie sei mit 60 Fortbildungen zur Vermittlung begleitet worden, an denen 500 Lehrkräfte teilgenommen hätten.

Zudem habe jede betroffene Lehrkraft ein 300-seitiges Arbeitsbuch zur Vermittlung an die Hand bekommen. Dabei gehe es ja gerade darum, auf die drastische Sprache in diesem Buch hinzuweisen, dieses Thema sensibel anzusprechen. „Die Lehrkräfte sind gut vorbereitet und sensibilisiert‟, so Kretschmann. Das Buch gehöre zur Nachkriegs- und Trümmerliteratur, in der es ja explizit um den Rassismus gegen afroamerikanische Soldaten im Nachkriegsdeutschland gehe.

Kretschmann verweist auf Rede von Martin Luther King

Es gebe heute Worte, die damals verwendet wurden, die man heute nicht mehr nutze – mit gutem Grund, so Kretschmann. „Man muss man sensibel damit umgehen‟, betonte er. Aber: „Es ist doch mal wichtig zu wissen, dass das Wort auf Englisch in der berühmten Rede von Martin Luther King sehr häufig vorkommt. Wir werden doch diese Rede jetzt nicht aus dem Literaturkanon verbannen.‟

Texte aus früheren Zeiten enthielten häufig ein gewisses Spannungsfeld. Die Frage sei, wie man mit diesem umgehe. „Man muss sie aus ihrem Zeitzusammenhang heraus zu verstehen versuchen‟, so Kretschmann.