Hauptverfahren
Justiz wegen Heckler & Koch in Schusslinie
Baden-Württemberg / Lesedauer: 4 min

Schwäbische.de
Im Mai 2016 hat das Landgericht Stuttgart das Hauptverfahren gegen sechs ehemalige Mitarbeiter der Oberndorf Waffenfirma Heckler & Koch zugelassen. Doch bis heute ist kein Prozess terminiert. Das schürt den Vorwurf der Verschleppung, zumal zu den Angeklagten auch der frühere Präsident des Landgerichts Rottweil, Peter Beyerle, gehört. Er wechselte nach seiner Pensionierung zu Heckler & Koch als Geschäftsführer.
Beyerle war ein hoch geschätzter Jurist, nicht zuletzt unter seinen Kollegen. Jetzt, mit 77 Jahren, muss er sich selbst vor Gericht verantworten, angeklagt wegen schwerer Verbrechen: vorsätzlicher Verstoß gegen das Kriegswaffengesetz in Tateinheit mit bandenmäßigem Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz in zwölf Fällen. Und je länger sich der Prozess verschiebt, umso lauter wird der Vorwurf, Beyerle werde von seinen früheren Kollegen aus der Justiz geschützt.
Warum macht so einer so etwas, warum hat sich der Richter nicht einfach zur Ruhe gesetzt? Das fragen sich viele. Jene, die ihn kennen, machen sich ihren eigenen Reim: Beyerle habe sich mit 65 noch zu fit fürs Altenteil gefühlt, durfte aber von Gesetzes wegen als Richter nicht weiterarbeiten. Mittlerweile ist eine dreijährige Verlängerung möglich. Offenbar, so heißt es, sei Beyerle im Rahmen eines gesellschaftlichen Anlasses auf den Job in Oberndorf angesprochen worden. Er fühlte sich gerüstet, zudem lockte ein dicker Batzen Geld.
Dickicht der Waffengeschäfte
Prompt verhedderte er sich im Dickicht der Waffengeschäfte. Die Folge war am 19. April 2010 eine Anzeige des Tübinger Rechtsanwalts Holger Rothbauer im Auftrag des Freiburger Rüstungsgegners Jürgen Grässlin. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ließ sich viel Zeit für die Ermittlungen und beantragte im September 2015 eine Anklage gegen Beyerle und Kollegen. Im Mai 2016 ließ das Landgericht Stuttgart die Anklage zu.
Demnach sollen die Beschuldigten in den Jahren 2006 bis 2009 in insgesamt 16 Lieferungen das Sturmgewehr G36 samt Zubehör in mexikanische Regionen geliefert haben, für die ein Exportverbot bestand, weil dort bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten.
Allein im Bundesstaat Guerrero sind im Jahr 2014 insgesamt 43 Studenten erschossen worden – von Drogenbanden und der örtlichen Polizei. Wie mexikanische Justizakten nahelegen, wurde mutmaßlich auch mit G36-Gewehren von Heckler & Koch gefeuert, die in dieser ausgewiesenen Konfliktregion nicht hätten auftauchen dürfen.
Angeklagt sind neben Beyerle und einem weiteren Ex-Geschäftsführer vier Mitarbeiter, darunter ein vormals für die Waffenfirma in Mexiko tätiger Verkaufsrepräsentant, zwei frühere Betriebsleiter, und eine ehemalige Vertriebsangestellte. Vier von ihnen haben nach Angaben der Staatsanwaltschaft Teil-Geständnisse abgelegt. Die Ergebnisse und Beweismittel der gut fünfjährigen Ermittlungen sind in 59 Stehordnern dokumentiert. Peter Beyerle findet sich jetzt wegen bandenmäßiger Ausfuhr von Kriegswaffen dort auf der Anklagebank wieder, wo er bis 1998 über andere gerichtet hat. Damals, vor seiner Zeit als Präsident des Landgerichts Rottweil , war er Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Stuttgart.
Prozess lässt auf sich warten
Obwohl die Anklage seit nunmehr nahezu zwei Jahren zugelassen ist, lässt der Prozess auf sich warten. Nicht einmal ein Termin ist in Sicht. Das schürt Misstrauen. Rechtsanwalt Rothbauer spricht deutlich aus, was immer mehr mutmaßen: „Wenn acht Jahre nach meiner Anzeige noch kein Prozess stattgefunden hat, kann es nur daran liegen, dass der Hauptangeklagte, nämlich der Herr Beyerle, der ja Teil der Juristenfamilie – in Anführungszeichen – ist, geschont werden soll.“ Rothbauer hegt einen konkreten Verdacht: „Man verschleppt das Verfahren und will Beyerle so eine goldene Brücke bauen, damit er möglicherweise mit einer Bewährungsstrafe davonkommt.“ Zu erreichen wäre das mit Hilfe der sogenannten Vollstreckungslösung. Sie erlaube Begünstigungen bei der Strafzumessung wegen der langen Verfahrenszeit, erläutert Rotbauer.
Dem widerspricht Johannes Fridrich, Sprecher des Stuttgarter Landgerichts, energisch. „An solchen Vorwürfen ist nichts dran“, betont er. Es liege ausschließlich am großen Arbeitsanfall der Wirtschaftskammer. Andere Verfahren dauerten noch länger. Die Haftsachen hätten Vorrang und müssten zuerst abgearbeitet werden. „Ich kann mir vorstellen, dass der Prozess noch in diesem Jahr stattfinden wird“, sagt Fridrich.
Im Übrigen habe es in der Vergangenheit keinerlei Berührungspunkte zwischen dem Gericht und Beyerle gegeben. Bei dessen Wechsel vom Oberlandesgericht nach Rottweil sei beispielsweise Frank Maurer, der jetzige Vorsitzende Richter, noch gar nicht in Stuttgart tätig, weil zu jung, gewesen. Inoffiziell verlautet, als Prozesstermin sei der 15. Mai ins Auge gefasst. Eine Bestätigung des Gerichts gibt es dafür nicht.