Frischer Wind im Rathaus
Jung, weiblich, unvoreingenommen: Lena Burth startet als Bürgermeisterin
Ostrach / Lesedauer: 8 min

Simon Müller
Ein Mann in Anzug und Krawatte, mit grauen und lichter werdenden Haaren: Wer dieses Klischee eines Bürgermeisters im Kopf hat und auf das Oberhaupt von Ostrach trifft, erlebt eine Überraschung. Ab September ist Lena Burth Bürgermeisterin der 7000–Einwohner–Gemeinde im Landkreis Sigmaringen.
Jung, fundiert ausgebildet, mutig — und weiblich. In die Rathäuser ziehen neue Chefinnen ein. „Ich freue mich, dass es jetzt endlich losgeht“, sagt Lena Burth.
Im Juli hat sie sich bei der Wahl als parteilose Kandidatin gegen fünf Mitbewerber durchgesetzt und darf sich jetzt jüngste Bürgermeisterin Baden–Württembergs nennen. Mit ihren 26 Jahren ist sie deutschlandweit aktuell die drittjüngste Rathauschefin.
Was bewegt eine Frau mit Mitte 20 dazu, für dieses Amt zu kandidieren? Ihr Werdegang spielt dabei sicher eine Rolle. Burth hat an der Verwaltungshochschule in Ludwigsburg studiert, die als eine der Kaderschmieden für Bürgermeister im Land gilt.
So wurde sie gewählt
Danach war sie als Betriebsprüferin für die Regierungsbezirke Tübingen und Stuttgart tätig. Sie kennt also die Arbeit einer Behörde. Im vergangenen Jahr bekam sie ein Kursangebot ihrer ehemaligen Hochschule. „Das war eine Einladung zum Seminar, Bürgermeister braucht das Land’“, berichtet Burth. Sie nahm teil und schnell wurde der in Ostrach aufgewachsenen Burth klar:
Lena BurthIch möchte etwas in meiner Heimat bewegen.
Bald darauf habe sie den Entschluss gefasst, für das Bürgermeisteramt in Ostrach zu kandidieren. Der ehemalige Rathauschef der Gemeinde hatte seinen Abschied angekündigt. Burth setzte sich bei den Wählern im zweiten Wahlgang knapp durch gegen ihre Mitbewerberin — mit 51 Prozent und 68 Stimmen Vorsprung. „Am Wahlabend habe ich mich riesig gefreut, gleichzeitig aber auch große Demut vor dem Amt empfunden“, sagt sie.
Andere junge Bürgermeister
Für sie sei es wichtig, mit den Menschen aus der Gemeinde in Kontakt zu sein „und direkt vor Ort zu sehen, was ich bewegen kann“, so Burth. Probleme aufgrund ihres jungen Alters sieht sie nicht. Im Gegenteil: „Ich sehe das als Vorteil.“ Sie sei jetzt ungebunden und in der Einarbeitungszeit voll leistungsfähig, lebt mit Freund und Katze nur ein paar Kilometer von Ostrach entfernt.
Ähnlich sehen es auch andere junge Bürgermeister — von denen es im Landkreis Sigmaringen einigen gibt. Severin Rommeler (parteilos) ist in Sauldorf seit März 2023 im Amt, damals war er 26 Jahre alt, aktuell belegt er Platz 14. der jüngsten Bürgermeister in Deutschland. Maik Rautenberg (parteilos) ist im April 2022 sogar schon mit 25 Jahren Rathauschef in Veringenstadt geworden und rangiert damit auf Platz 10.
Sein Alter sei ihm ein Ansporn im Amt und kein Problem, sagt Rautenberg. „Außerdem bringt man auch viel frischen Wind mit im jungen Alter — beispielsweise, wenn es um die Digitalisierung in der Verwaltung geht.“ Natürlich müsse man sich im Klaren sein, dass das Amt für Familie und Freunde ein Einschnitt sei, weil es viel Zeit und Arbeit in Anspruch nehme. „Aber wenn man sich dessen bewusst ist, dann sollten sich unbedingt mehr junge Menschen das Amt zutrauen“, betont Rautenberg.
Junge Menschen können Verantwortung
Amtskollege Rommeler pflichtet ihm bei: „Auch jüngere Menschen können Verantwortung übernehmen, Dinge bewegen und eine Gemeinde gestalten“, sagt er. Er schätze zudem die Vielseitigkeit in seinem Beruf. Termin im Kindergarten, Konferenz zum Glasfaserausbau und danach noch eine standesamtliche Trauung — so bunt könne unter Umständen ein ganz normaler Arbeitstag sein.
Sprecherin des StädtetagesWir brauchen mehr weibliche Vorbilder in diesem Amt, um anderen Frauen Mut zu machen, es selbst mit einer Kandidatur zu versuchen.
Rommeler würde gerne mehr junge Menschen ermutigen, sich als Bürgermeister einer Gemeinde aufstellen zu lassen. „Denn in der Kommunalpolitik kann ich wirklich etwas bewegen und bin direkt von den Bürgern gewählt worden“, so Rommeler.
Mehr weibliche Vorbilder sind nötig
Ganz besonders auch junge Frauen sollten sich das zutrauen, sagt er. Laut baden–württembergischem Innenministerium gibt es Stand April 102 Bürgermeisterinnen im Südwesten, davon sieben Oberbürgermeisterinnen. Damit es mehr werden, hat der Städtetag Baden–Württemberg das Projekt „Ich kann das! Bürgermeisterinnentalente gesucht“ ins Leben gerufen.
„Wir brauchen mehr weibliche Vorbilder in diesem Amt, um anderen Frauen Mut zu machen, es selbst mit einer Kandidatur zu versuchen“, erklärt eine Sprecherin des Städtetags auf Nachfrage. „Frauen können Bürgermeisterin genauso gut wie Männer, wagen es nur nicht so oft.“
Projekt fördert Bürgermeisterinnen
Das Projekt wird vom Innenministerium mit 100.000 Euro unterstützt, stehe aber noch ganz am Anfang. „Das kürzlich bewilligte Fördergeld war der Startschuss, um die Homepage vorzubereiten und weitere Aktivitäten planen zu können“, so die Sprecherin.
Yvonne Heine (parteilos) war schon mutig genug, eine Bürgermeister–Kandidatur anzugehen. Seit März 2022 ist sie in Riedhausen im Landkreis Ravensburg im Amt — mit damals 26 Jahren. „Ich habe mich einfach getraut. Aber schon während meines Wahlkampfes habe ich Unterstützung und großen Zuspruch gespürt — gerade auch von der älteren Generation“, sagt sie.
Jüngere Frauen sollten die Zweifel über Bord werfen, wenn sie mit dem Gedanken spielen, „es sich einfach zutrauen und versuchen. Man hat nichts zu verlieren!“
Sie könne sich vorstellen, dass die achtjährige Amtszeit den Beruf der Rathauschefin unattraktiv macht, weil mögliche Kollisionen mit der Familienplanung nicht ausgeschlossen sind. „Aber da kann man Lösungen finden“, sagt Heine.
Probleme als Amtsträger
Auch wenn die Anforderung an das Bürgermeisteramt groß sind. „Man muss flexibel sein, hat viel Büroarbeit abzuarbeiten und muss als Vermittler tätig sein“, erklärt Heine. Auch wenn sie in ihrer kleinen Gemeinde davon noch nie betroffen war, habe sie zudem von Hass und Hetze im Internet gegenüber Amtskollegen mitbekommen.
Das sagt auch Paul Witt, Professor an der Verwaltungshochschule Kehl, gemeinhin auch als „Bürgermeisterschmiede“ im Südwesten bekannt. „Das Amt ist schwieriger geworden“, sagt er. Viele Bürger seien heute kritischer, Hass und Hetze über soziale Medien hätten zugenommen. Eine Befragung der Universität unter Bürgermeistern aus dem Jahr 2021 zeigt, dass für die Mehrheit der Befragten (70 Prozent) das Bürgermeisteramt an Attraktivität verliert.
Neben dem hohen zeitlichen Aufwand und den gestiegenen Erwartungen, ist es auch immer wieder der nachlassende Respekt, der in der Befragung genannt wird. So haben 53 Prozent der Bürgermeister schon persönliche Anfeindungen in sozialen Netzwerken erlebt, 70 Prozent wurden bereits privat verbal attackiert.
Mehr Hass und Hetze gegen Bürgermeister
Anfeindungen gegen Kommunalpolitiker könnten nach Einschätzung des Gemeindetags viele Menschen davon abhalten, im kommenden Jahr für Gemeinde– und Stadtratswahlen zu kandidieren. „Ich weiß natürlich, dass es immer schwieriger wird, diese Listen zu besetzen, weil leider auch auf kommunaler Ebene ein Mandat sehr schnell öffentlich wird — und über die sozialen Medien kommentiert wird“, klagte Verbandspräsident Steffen Jäger vor ein paar Wochen in Stuttgart.
Im kommenden Jahr wird bei den Kommunalwahlen über die Gemeinderäte, Ortschaftsräte und Kreistage in den 1101 Städten und Gemeinden des Lands abgestimmt. Jäger konstatiert zudem eine sinkende Wertschätzung für kommunalpolitisch Engagierte. „Der Respekt gegenüber Menschen, die Verantwortung tragen, nimmt leider ab“, sagte er. Das sei keine gute Entwicklung.
100 Straftaten gegen kommunale Amtsträger
Um Bürgermeister, Gemeinderäte und sonstige kommunale Amtsträger zu schützen, hat die Landesregierung im Südwesten jüngst die Kommunalwahlordnung zum 1. August verändert, um den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Bewerber zu erweitern und sie damit besser vor Hass, Hetze und Übergriffen zu schützen.
Durch die Änderung der Kommunalwahlordnung wird künftig auf die Angabe der vollständigen Anschrift der Kandidaten in Wahlbekanntmachungen und Stimmzetteln verzichtet. Anstelle der vollständigen Adresse wird bei Bürgermeisterwahlen nun nur noch der Wohnort angeben. Für das Jahr 2022 ergab eine Auswertung laut Innenministerium 100 Straftaten gegen kommunale Amtsträger im Südwesten, darunter eine Gewaltstraftat.
Keiner bereut den Schritt in die Kommunalpolitik
Eine Idee, um mehr junge Frauen und Männer in die Kommunalpolitik zu locken, ist die Senkung des Mindestalters für das Bürgermeisteramt von 25 auf 18 Jahre, wie es der Landtag im März erst beschlossen hat. „Das halte ich für zu früh“, sagt Verwaltungswissenschaftler Witt. „Die fachlichen Qualitäten und die sozialen Kompetenzen für das Amt sind in diesem Alter noch nicht ausgereift.“ Selbstverständlich könnten jedoch mehr junge Menschen, die vielleicht nicht gerade frisch 18 geworden sind, die Herausforderung des Bürgermeisteramts annehmen — besonders auch Frauen.
„In männerdominierten Gemeinderatsgremien können Frauen meines Erachtens sogar besser moderieren“, sagt Witt. Deswegen seien alle Bemühungen sinnvoll, die mehr Frauen und junge Menschen in der kommunalen Politik fördern.
Keine Tipps von den Kollegen
Yvonne Heine, Severin Rommeler und Maik Rautenberg haben alle den Schritt ins Bürgermeisteramt in ihren 20ern gemacht — und keiner bereut es. Ab September gesellt sich nun also auch Lena Burth als junge Bürgermeisterin in der Region dazu.
Von ihren Kollegen hat sie sich ganz bewusst keine Tipps eingeholt. „Ich will unvoreingenommen ins Amt gehen und meine eigenen Erfahrungen machen“, sagt sie. Natürlich auch mit eigenem Führungsstil im Ostracher Rathaus — der mit Sicherheit anders, jünger und weiblicher sein wird.