50 Jahre Jugendfeuerwehr: „Das rote Auto zieht fast immer.‟
Weingarten / Lesedauer: 9 min

Es sieht anspruchsvoll aus, wie die drei Jugendlichen das Seil verknoten. Die großen weißen Handschuhe, die sie anhaben, erschweren ihnen das Binden.
Gekonnt und akribisch schlingen die Drei das Seil vor sich so zusammen, dass der Knoten hält. Noch einmal feste nachziehen — und fertig.

„Knoten zu üben macht Spaß“, sagt Jonas Brenner. Sein orange leuchtender Helm sticht im Übungsraum der Feuerwehr Weingarten heraus — genauso wie die Helme seiner 18 jungen Mitstreiterinnen und Mitstreiter bei der Jugendfeuerwehr in Weingarten.
Es ist Donnerstag: Übungstag für die heranwachsenden Feuerwehrleute. Von 18 bis 19.15 Uhr kommen die Jugendlichen im Feuerwehrhaus zusammen, rollen Schläuche aus, lernen Knoten oder schießen mit einem Wasserstrahl Kegel ab.
Praktische Abwechslung und Kameradschaft
Genau diese Übungen sind es, die Jonas Brenner hier bei der Jugendfeuerwehr so schätzt. Das Praktische, selbst mal Hand anlegen — eine willkommene Abwechslung zum doch sehr drögen, weil theoretischen Alltag in der Schule. „Wir machen nicht immer das Gleiche, sondern ganz verschiedene Übungen“, erzählt er. „Außerdem gibt es auch viele Ausflüge, das ist schon sehr abwechslungsreich.“
Der 16–Jährige ist seit fast fünf Jahren bei der Jugendfeuerwehr in Weingarten, ein Freund hat ihn damals motiviert vorbeizuschauen. „Ein paar Wochen später durfte ich in den Pfingstferien direkt zum Segelausflug mit“, erzählt er. Danach war er so angetan von der Jugendfeuerwehr, dass er bis heute dabei geblieben ist.
Viele neue Mitglieder
Jonas Brenner ist bei Weitem keine Ausnahme. 2022 waren über 30.000 Jugendliche bei den Jugendfeuerwehren in Baden–Württemberg aktiv. Allein im Jahr 2022 kamen über 7.300 neue Mitglieder dazu. Erstaunliche Zahlen, ist doch der Trend bei Sport– oder Musikvereinen im Jugendbereich seit Jahren extrem rückläufig.

„Wir haben wirklich eine Menge Leute bei den Jugendfeuerwehren“, sagt Martin Stürzl–Rieger, stellvertretender Landesjugendleiter der Jugendfeuerwehr Baden–Württemberg.
Und der 43–Jährige hat noch mehr Zahlen dabei: Insgesamt 1575 Jugendgruppen hat die Jugendfeuerwehr Baden–Württemberg, wobei eine Feuerwehr vor Ort auch mehrere Jugendgruppen betreuen kann. Dazu kommen über 10.000 Betreuer. „Wir haben also im Schnitt zehn Betreuer pro Jugendfeuerwehr und etwa 30 Jugendliche pro Gruppe.“
Stürzl–Rieger freut sich über diese Zahlen — und die Entwicklung in seiner Amtszeit. „Man kann schon sagen, dass es ein stetiges Wachstum gibt.“ Er ist ein stolzer Feuerwehrmann, einer der für sein Ehrenamt brennt.

Mit zwölf Jahren trat er selbst in die Feuerwehr ein, seit 2007 ist er stellvertretender Landesjugendleiter. Die Jugendfeuerwehr Baden–Württemberg ist ein eigener Verein, angesiedelt beim Landesfeuerwehrverband im Südwesten. Dieses Jahr feiert sie ihr 50–jähriges Bestehen.
Geschichte der Jugendfeuerwehr
Zwar gab es in örtlichen Feuerwehrgruppen schon seit den 1950er–Jahren erste Jugendarbeit, „da hat man in den einzelnen Landesverbänden in Baden und Württemberg aber so ein bisschen vor sich hingewurschtelt“, sagt Stürzl–Rieger.
Vor 50 Jahren führte man die Jugendfeuerwehren zu einem Dachverband zusammen, nur ein paar Monate nachdem der Landesfeuerwehrverband gegründet worden war. „Man hat gemerkt, dass man die gleiche Arbeit macht. Es war die logische Schlussfolgerung einen einheitlichen Verband fürs ganze Bundesland zu institutionalisieren“, berichtet Strüzl–Rieger.
Bis heute hat sich viel im Verein getan, mittlerweile gibt es drei hauptamtlich angestellte Mitarbeiter. Stürzl–Rieger selbst engagiert sich aber ehrenamtlich, bekommt eine monatliche Aufwandsentschädigung von 350 Euro für seine Reisen als stellvertretender Landesjugendleiter. „Oft werde ich zu Hauptversammlungen oder Jubiläen eingeladen, um Ehrungen vorzunehmen“, erklärt Stürzl–Rieger seine Tätigkeit.
Ehrenamt funktioniert
Fast alles funktioniert bei der Feuerwehr über Freiwillige wie ihn, insbesondere bei der Jugendarbeit. „Uns hebt die ehrenamtliche Struktur in Deutschland ab. In Ländern wie Österreich, Frankreich oder der Schweiz sind alle hauptamtlich angestellt. Das kostet den Staat viel mehr Geld“, betont Stürzl–Rieger.
Aber wie schafft es die Feuerwehr gerade junge Menschen anzusprechen, die sich seit Jahren nicht mehr für Ehrenämter zu interessieren scheinen?
Martin Stürzl-RiegerDas rote Auto zieht fast immer.
Draußen in der Einfahrt steht ein rotes Feuerwehrauto, vier Jugendliche hören gespannt und mit großen Augen einem Betreuer zu. Der erklärt seinen jungen Kollegen, wo sich im Fahrzeug die Ausrüstung befindet: Schläuche, Feuerlöscher, Zusatzausstattung.
Das Feuerwehrfahrzeug fasziniert die Jugendlichen. Für Stürzl–Rieger ist es sogar „die Einstiegsdroge. Jedes Kind hat Kontakt zur Feuerwehr durch das rote Auto, das zieht fast immer.“

Außerdem biete die Jugendfeuerwehr ein vielfältigeres Programm als die meisten andere Vereine, meint Stürzl–Rieger. „Die Mischung aus feuerwehrtechnischen Dingen, aber auch ganz anderen Angeboten machen die Jugendfeuerwehr interessant“, sagt er. Zeltlager, Wettkämpfe, Hüttenwochenende, Kanufahren, Schwimmen, Eislaufen: das Portfolio ist breit.
Einstiegsalter gesenkt, um Nachwuchs zu sichern
Stürzl–Rieger ist es wichtig, junge Menschen so früh wie möglich auf die Feuerwehr aufmerksam zu machen. Deswegen hat er zusammen mit seinen Mitstreitern 2014 offiziell die ersten Kinderfeuerwehren in Baden–Württemberg gegründet.
Martin Stürzl-RiegerDurch die Gründung von Kindergruppen haben wir unsere Jugendarbeit gerettet.
Hier werden die Kleinsten schon mit sechs Jahren an die Arbeit der Feuerwehrleute herangeführt und müssen nicht warten, bis sie — wie in den meisten Jugendfeuerwehren üblich — mit zwölf Jahren anfangen dürfen. „Auch wir haben gemerkt, dass die geburtenstarken Jahrgänge vorbei sind und wir uns auf den zwölf Jahren als Eintrittsalter nicht mehr ausruhen dürfen“, so Stürzl–Rieger.

Seither steigt die Zahl der Kinderfeuerwehren in Baden–Württemberg stetig. 2022 waren es 331 Kindergruppen mit insgesamt 5.532 Kindern. „Durch die Gründung von Kindergruppen haben wir unsere Jugendarbeit gerettet. Wir haben an der Basis mehr Personal gewonnen, weil die Kinder hoch wachsen“, sagt Stürzl–Rieger.
Ohne Kinderfeuerwehren hätte die Jugendfeuerwehr wohl in den nächsten Jahren Einbußen. Denn die Pandemie ging auch an der Jugendfeuerwehr nicht spurlos vorbei. „Da haben die Zahlen stagniert“, sagt Stürzl–Rieger.
Schwierigkeiten in der Pandemie
Für die Betreuer vor Ort war es während der Lockdowns besonders schwierig die Jugendlichen bei der Stange, zu halten. „Auf Dauer waren die Online–Meetings für uns Betreuer verdammt anstrengend. Oft hatten die Jugendlichen keine Lust mehr, nach dem Homeschooling abends nochmal vor dem Bildschirm zu sitzen“, sagt Tobias Wolf, seit 2014 Jugendwart bei der Jugendfeuerwehr Weingarten. Die Übungen der Jugendfeuerwehr seien geprägt von der praktischen Arbeit — das gehe online nicht.
Tobias Wolf, Jugendwart der JFFW WeingartenWir versuchen hier Grundlagen mit Spiel und Spaß zu vermitteln.
Nur drei Jugendliche haben aber während der zwei Corona–Jahre die Jugendfeuerwehr verlassen. Der Rest ist geblieben, allerdings ist auch niemand dazugekommen.
Kaum ist die Pandemie vorbei, sieht es aber schon wieder deutlich besser aus. Aktuell gibt es 18 Jugendfeuerwehrleute in Weingarten — sieben sind seit den vergangenen drei Monaten neu dabei.

„Wir versuchen hier Grundlagen mit Spiel und Spaß zu vermitteln“, sagt Wolf. Getrennt werden die Jugendlichen dabei fast nie. „Nur, wenn sie sich auf ihre verschiedene Abzeichen vorbereiten.
Es gibt die sogenannte Jugendflamme in der Stufe 1, 2 und 3 — das ist auch altersmäßig abgestuft. Da üben wir auch mal untersch iedlich“, erklärt der 34–Jährige.
Miteinander steht im Fokus
Jonas Brenner will auf jeden Fall weiter in der Feuerwehr aktiv bleiben, spätestens in zwei Jahren darf er in die Einsatzabteilung wechseln.
Jonas Brenner zu seinem Wechsel in die EinsatzabteilungDa freue ich mich schon drauf.
Wie Jonas Brenner wollen die meisten Jugendlichen nicht mit 18 bei der Feuerwehr aufhören, sondern wechseln danach in die Einsatzabteilung — im vergangenen Jahr waren das 3965 junge Menschen im Südwesten.

Martin Stürzl–Rieger glaubt, dass neben den vielen Aktionen vor allem das kameradschaftliche Miteinander die Jugendfeuerwehren besonders macht.
„Respekt, Verantwortung, Toleranz: Das sind wichtige Grundwerte, die Kinder und Jugendliche hier vermittelt bekommen“, sagt er. Jeder sei willkommen, jeder werde mit offenen Armen aufgenommen. „Und wir verfolgen überall das gleiche Ziel: Sich aufeinander verlassen zu können — denn genau das braucht man im Ernstfall.“
Die letzte Amtsperiode
Nach vielen Jahren Jugendarbeit ist für Stürzl–Rieger in diesem Jahr Schluss, Ende September wird er sich nicht mehr als stellvertretender Landesjugendleiter zur Wahl stellen. „Die Welt hat sich gedreht“, sagt er.
Er habe die letzten vier Jahre genutzt, den neuen Landesjugendleiter einzuarbeiten. „Im Amt reichen mir die 16 Jahren jetzt. Da kann ich Angela Merkel verstehen“, sagt Stürzl–Rieger und lacht.
Der Feuerwehr bleibt er aber treu und wird sie weiterhin bei Einsätzen unterstützen. Und vielleicht schaut er auch ab und an bei einer Übungsstunde der Jugendfeuerwehr im Weingartener Feuerwehrhaus vorbei.
Dort inspizieren gerade an einer anderen Station drei Jugendlichen verschiedene Schläuche. Einen dünneren in gelb, einen größeren in weiß. Mit einer Selbstverständlichkeit rollen die jungen Feuerwehrleute die Schläuche aus, als wären sie schon auf einigen Einsätzen gewesen.
Das Engagement der Jugendlichen beruhigt. Falls im Ernstfall die Feuerwehr gebraucht wird, gibt es viele junge Leute, die bereit sind, mit vollem Einsatz zu helfen.