Südwesten
Fuchs, Marder und Dachs kommen in die Städte – deshalb gibt es im Südwesten jetzt Stadtjäger
Isny / Lesedauer: 9 min

Nebel schwebt durch die Gassen. Eine dunkle Gestalt huscht vorbei, nimmt das Gewehr zur Brust – ein Schuss hallt durch die Straßen. Das ist keine Szene aus einem Krimi, sondern das Bild, das entsteht, wenn das Wort „Stadtjäger“ fällt. Seit Juli dieses Jahres können Stadtjäger wie Uwe Deißler aus Isny im Allgäu in Baden-Württemberg offiziell als solche anerkannt werden. Wenn sie in einer Gemeinde oder Stadt eingesetzt werden, dürfen Jäger ab sofort auch im befriedeten Gebiet jagen. Das heißt aber noch lange nicht, dass fortan Jäger mit der Flinte durch die Fußgängerzone laufen und auf jedes Wildtier schießen.
Wildschweine, die Komposthaufen umgraben, Füchse, die Mülltonnen plündern: Immer mehr Wildtiere kommen in die Städte und suchen die Nähe zu den Menschen. Auch Waschbären, Wildgänse, Marder – sie tauchen laut einer Studie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg immer häufiger in Städten und Dörfern auf.
Dort gebe es für sie einen attraktiven Lebensraum, denn sie werden – zumindest bislang – weniger bejagt, es gibt viele Unterschlupfmöglichkeiten, viel Nahrung und im Winter ein deutlich milderes Klima als in Feld und Flur. Wildtiere schätzen, was auch die Menschen schätzen.
Gemeinden können auf Stadtjäger zugehen
Baden-Württemberg versucht, den Wildtieren in der Stadt unter anderem mit der Anerkennung der Stadtjäger beizukommen. Bereits seit 2017 gibt es im Südwesten die Ausbildung dazu. Seit Juli können die Stadtjäger nun von Städten oder Gemeinden eingesetzt werden.

Mehr als 120 Waidmänner haben die Ausbildung bislang absolviert. Sie können bei den Landratsämtern einen Antrag stellen, dort bekommen sie einen offiziellen Stadtjäger-Ausweis. Wenn sie den in der Tasche haben, können sie sich bei Gemeinden vorstellen und ihre Dienste anbieten.
Kommunen können aber auch gezielt auf Stadtjäger zugehen und sich ihre Dienste sichern. Entweder dauerhaft oder nur für ein akutes Problem mit Wildtieren. Wie die Dienste entlohnt werden, können die Städte und Gemeinden selbst entscheiden.
Dachs gräbt den Garten um
Uwe Deißler hat die Ausbildung zum Stadtjäger 2018 gemacht, wartet nun auf seinen offiziellen Ausweis vom Landratsamt. Der ehemalige Berufssoldat ist pensioniert. Jäger ist er mit Leib und Seele, in der Region Isny ist er Jagdpächter für einige Gebiete. Er kennt sich aus mit den Schwierigkeiten, die Wildtiere in Städten bereiten können. Häufig wird er von der Polizei zu Wildtierunfällen oder Tieren in Not gerufen. Vor Kurzem wurde er von einer Familie angefragt, weil ein Dachs in deren Garten den Boden umgrub.
Der Grund dafür war laut Deißler schnell klar. „Die Oma meinte es ein bisschen zu gut mit dem Vogelfutter“, erzählt der 57-Jährige. Weil das viele Vogelfutter aus dem Vogelhäuschen fiel, kamen die Mäuse. Dann kam der Dachs. Ein Fall, der mit einer Beratung bereits gelöst werden kann. Aufklärung ist auch eine seiner wichtigsten Aufgaben als Stadtjäger. „Man könnte im Vorfeld präventiv einiges ändern“, sagt er mit Blick auf seine künftige Tätigkeit.
Beratung ist die Hauptaufgabe der Stadtjäger
Dass Wildtiere in die Stadt oder in Gärten kommen, ist laut Christian Schwenk , zuständiger Fachmann beim Jagd-, Natur- und Wildtierschützerverband (JNWV) zunächst einmal nicht besorgniserregend. Erst, wenn es zu Konflikten zwischen Wildtieren und Menschen kommt, müsse ein Stadtjäger eingreifen.
Allzu große Sorgen müssen sich Haustierbesitzer aber auch hier erst einmal nicht machen. Schwenk gibt ein Beispiel: Er hat kürzlich eine Frau beraten, die einen Hund besitzt. Nun habe sie immer wieder einen scheinbar kranken Fuchs in ihrem Garten bemerkt und sich gesorgt, ihr Hund könne sich bei dem Wildtier anstecken.

Der Hund halte sich meistens im Haus auf und sei im Garten nur an der Leine, weil er sich noch eingewöhne. Schwenk habe ihr erklärt, dass es dadurch sehr unwahrscheinlich sei, dass ihr Hund sich bei dem Wildtier ansteckt. Warum der Fuchs immer in ihren Garten kam, stellte sich auch heraus: Sie legte immer Futter für die freilaufenden Katzen in der Nachbarschaft in ihrem Garten aus. Auf den Rat des Stadtjägers stellte sie das zehn Tage lang ein und der Fuchs kam nicht wieder.
Landestierschutzverband kritisiert die Neuerung
Wie in diesem Fall sind es häufig die Stadtbewohner selbst, die unbewusst Wildtieren das Leben rund um ihr Haus angenehm machen. Grundsätzlich sollte sollte man Wildtiere nicht füttern und Abstand halten, sonst verlieren die Waldbewohner ihre Scheu. Als zweites Mittel versuchen Stadtjäger, die Tiere aus dem städtischen Gebiet zu vertreiben.
Das tun sie zum Beispiel indem sie ihnen die Nahrungsgrundlage entziehen, sie mit Ultraschall wie bei einem Marderschreck vergrämen oder ein Falkner die Wildtiere mithilfe von Greifvögeln vertreibt. „Die Stadtjägerausbildung ist kein Mittel, um jetzt die Tiere auch noch in den Städten zu bejagen“, erklärt Schwenk.
Martina Klausmann, LandestierschutzverbandAus unserer Sicht hätte es das nicht gebraucht. Es war vorher auch handhabbar.
Trotzdem kritisiert der Landestierschutzverband das Vordringen der Jagd in befriedetes Gebiet. „Aus unserer Sicht hätte es das nicht gebraucht. Es war vorher auch handhabbar“, sagt Martina Klausmann vom Landestierschutzverband Baden-Württemberg im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Mit der Anerkennung der Stadtjäger ist unsere Befürchtung, dass es zu Lasten der Tiere in der Stadt gehen wird.“ Wildtiere fänden immer weniger Lebensräume, weil der Mensch in ihren Lebensraum vordringe, sagt Klausmann. Die Stadt werde deshalb immer mehr auch zum Lebensraum der Wildtiere.
Der Landestierschutzverband akzeptiert die Jagd grundsätzlich nur, wenn es auch einen guten Grund dafür gibt – zum Beispiel, wenn ein Tier leidet. Bei der Erneuerung des Landesjagdrechts war der Verband in die Diskussionen eingebunden worden. So habe man erreicht, dass nur noch Lebendfallen genutzt werden dürfen. Die Wildruhe für alle Tiere sei aber bereits wieder aufgehoben worden. Invasive Arten, wie beispielsweise Waschbären, dürfen nun doch wieder ganzjährig bejagt werden, auch wenn sie Junge haben. „Das finden wir nicht gut.“
Das lernen Stadtjäger in der Ausbildung
Bislang bietet nur der Jagd-, Natur- und Wildtierschützerverband die Ausbildung an. Machen kann sie jeder, der einen Jagdschein hat. Nach der erstmaligen Anerkennung müssen die Stadtjäger sich alle fünf Jahre fortbilden. In der Ausbildung lernen sie unter anderem, Wildtierkrankheiten zu erkennen und erfahren, wie man Fuchs, Marder und Co. grundsätzlich aus Wohngebieten fernhält.
Auf dem Lehrplan steht außerdem eine spezielle Schießausbildung. Wichtig ist dabei auch, welche Munition Jäger in der Stadt verwenden dürfen – und eine spezielle Schusstechnik ist auch Pflicht. Unter anderem dürfen sie in der Stadt nur schießen, wenn andere Maßnahmen nicht erfolgreich waren und Gefahr für Sicherheit und Ordnung oder von Tierseuchen besteht.
In der Ausbildung habe er gemerkt, dass es den Teilnehmern nicht um Munition und die Jagd an sich gegangen sei, sondern um die Weiterbildung und das Wissen über Wildtiere, sagt Christian Schwenk. „Wildtiermanagement“ heißt das, was Stadtverwaltung, Forstamt, Tierschutzvereine und der Stadtjäger vor Ort betreiben. Wenn es ein Problem in der Stadt gibt, wird zuerst abgesprochen, wie man dagegen vorgeht. Ein großer Vorteil des Stadtjägers ist laut Christian Schwenk, dass die Bürger keine Einzelfallgenehmigung mehr brauchen, wenn sie einen Jäger mit der Fallenjagd beauftragen. Denn die kostet Zeit und Geld.
Bei der Fallenjagd mit der Lebendfalle fängt der Jäger ein Tier und setzt es aus oder erschießt es. Sollte sich mal eine Katze verirren, wird sie einfach wieder freigelassen. Es gibt gesetzliche Vorgaben im Jagdrecht, welche Tiere Stadtjäger jagen dürfen: vom Dachs über Fuchs, Nutria, Feldhase zum Blässhuhn, der Ringeltaube bis hin zur Waldschnepfe. Hunde, Katzen, Igel, Mäuse oder Ratten fallen dagegen nicht darunter.
Strenge Regeln für Jäger – im Wald und in der Stadt
Bevor Uwe Deißler die Waffe in der Stadt einsetzt, muss er die Polizei verständigen. Erst dann darf er auch im städtischen Gebiet schießen. Jäger unterliegen beruflich und privat strengen Regeln. Bevor sie von der Jagdbehörde anerkannt werden, wird geprüft, ob sie überhaupt dafür geeignet sind.
Wenn sie ihre Waffe nicht sachgemäß transportieren oder wenn sie sich unabhängig von der Jagd etwas zu Schulden kommen lassen, kann ihnen der Jagdschein entzogen werden und sogar Freiheits- und Geldstrafen drohen. Gemäß der entsprechenden Gesetze muss die Polizei den Stadtjäger auch vorab überprüfen und zustimmen, damit der Jäger in einer Gemeinde eingesetzt werden kann.
Welche Aufgaben ein Stadtjäger vor Ort tatsächlich hat, ist überall anders. In Ballungszentren wie Stuttgart gibt es viele Waschbären, die zu den invasiven Arten zählen und damit nicht ausgesetzt werden dürfen, sollten sie gefangen werden. Sie haben Pfoten, die wie Hände funktionieren und können damit zum Beispiel durch Katzenklappen ins Haus kommen. Im ländlichen Isny sind es eher die Dachse, Füchse und Marder, die in Gärten kommen oder in Hausdächern leben.
Viele Abläufe ergeben sich erst mit der Zeit
Obwohl er sich gerne weiterbildet und auch gerne Stadtjäger geworden ist, schwingt doch leichte Kritik in Uwe Deißlers Erzählungen mit. All ihre Fallen, Kescher und Tierboxen müssen die Stadtjäger selbst kaufen. Dazu kommen Funkmelder, Wildtierkameras, Schutzhandschuhe und vieles mehr. In der Stadt brauchen Stadtjäger wieder andere Gerätschaften, häufig müssen sie in ihrer Arbeit kreativ werden und Equipment umfunktionieren.
Stadtjäger Uwe DeißlerEs wird spannend, wie sich das alles herauskristallisiert.
Außerdem müssen sie ständig auf Abruf bereit sein. Viel zu tun gebe es laut Uwe Deißler für die Stadtjäger allemal. Die meisten Jäger seien ehrenamtlich tätig und hätten „nebenher“ einen Hauptberuf. „Für Berufstätige ist das gar nicht zu schaffen“, sagt er.
Wie genau die Zusammenarbeit von Jäger, Gemeinde, Tierschutz und Bürgern zukünftig sein wird und wie genau die Jäger tätig werden können, das wird sich erst mit der Zeit zeigen. „Es wird spannend, wie sich das alles herauskristallisiert“, sagt Uwe Deißler.