Airbus
Großauftrag für Airbus Defence and Space
Baden-Württemberg / Lesedauer: 8 min

Für knapp 360 Millionen Euro hat das Verteidigungsministerium einen Vertrag mit Airbus Defence and Space in Immenstaad am Bodensee unterzeichnet.
Für knapp 360 Millionen Euro hat das Verteidigungsministerium vor wenigen Wochen einen Vertrag mit dem Satelliten- und Aufklärungsspezialisten Airbus Defence and Space in Immenstaad am Bodensee unterzeichnet. Offiziell soll die Bundeswehr dadurch mit präzisen Daten der Erdoberfläche für weltweite Einsätze versorgt werden. Inoffiziell stecken die USA hinter dem Geschäft – das der deutsche Steuerzahler quasi doppelt bezahlen musste.
Die Computerdaten und Grafiken, um die sich diese Geschichte dreht und die 2015 jenseits des Atlantiks für extreme Begehrlichkeiten gesorgt haben dürften, wirken zunächst heimelig und unscheinbar: der Bodensee von oben. Blau strahlt das Gewässer im Dreiländereck Deutschland, Österreich, Schweiz auf einer Grafik, die der Airbus-Konzern Ende November veröffentlicht hat. Wer das Bild vergrößert, dürfte allerdings verblüfft sein, wie detailreich die Erdoberfläche darauf nachgezeichnet ist. Wie ziseliert wirken feinste Strukturen, die jeden kleinen Hügel am Bodenseeufer wie auch jeden Höhenkamm der kilometerhohen Alpen im Süden des Sees markieren.
Das Bild stammt von einem im Wesentlichen bei Airbus in Immenstaad am Bodensee entwickelten Aufklärungssatelliten namens „Tandem X“. Auf zwei Meter genau hat das Radarauge, gemeinsam mit seinem Satelliten-Partner Terra-SAR-X, seit 2010 die Oberfläche der Erde vermessen. Damit wurde die Grundlage für das derzeit wohl genaueste Höhenmodell des Planeten gelegt. Während es bislang zwar exzellente Aufklärungsfotos der Erde gibt oder per Navigationssystem GPS metergenaue Positionen angegeben können, mangelte es trotz aller High-Tech bislang an genauen Höhendaten der Erde – insbesondere was ein komplettes Modell ihrer Oberfläche angeht.
Ideal für Drohnen
Warum solche Daten sehr wertvoll sind, verrät der Blick auf die heimelige Bodenseegrafik nicht. Bundestagsabgeordnete, die im vergangenen Jahr im Haushalts- und Verteidigungsausschuss zum Thema gebrieft wurden, sind da schon schlauer. „Höhendaten werden für ein breites militärisches Spektrum benötigt“, heißt es in einem Ausschuss-Briefing, das der Schwäbischen Zeitung vorliegt. Mit den exakten Höhendaten von Tandem-X ließen sich unter anderem die „Navigation im Tiefflug“ sowie die „Flugplanung militärischer Waffensysteme und Luftfahrzeuge“ verbessern. Gut informierte Kreise erklärten das der SZ vor kurzem noch etwas genauer: Natürlich seien die Daten auch bestens für die Navigation militärischer Drohnen geeignet – dem vor allem von den USA bei Operationen in Syrien, Afghanistan oder dem Irak eingesetzten Kampfmittel der Wahl.
Zum Leidwesen der USA waren die Daten von Tandem-X aber bis vor wenigen Wochen für das Ausland nicht, vor allem nicht kostenlos zu haben, denn die Tandem-X-Daten waren ursprünglich nur für die deutsche, nicht kommerzielle Nutzung durch die Bundesrepublik freigeben. Für alle anderen Anwender verlangt Airbus erhebliche Summen für die Nutzung. Schon Tausende Euros werden laut einer Webseite der Airbus-Tochter Infoterra, für die sich 30 Mitarbeiter am Bodensee um die Pflege und Vermarktung der Daten kümmern, fällig, wenn man nur wenige Quadratkilometer der Erdoberfläche auswerten will.
Trotzdem stecken bereits erhebliche Steuergelder in dem Projekt. Mit mehr als 300 Millionen Euro hat das Deutsche Zentrum für Luft- und raumfahrt (DLR), Forschungszentrum der Bundesrepublik, die Entwicklung von Tandem-X vor dem Start im Juni 2010 bezuschusst. Nur rund 80 Millionen Euro musste die damals noch unter dem Namen Astrium firmierende Raumfahrt-Tochter des Airbus-Konzerns zum Projekt beisteuern. Dass der Steuerzahler wenige Jahre später noch einmal die fast gleiche Summe für die gleichen Daten bezahlen würde, ahnte zu dieser Zeit mutmaßlich noch niemand.
Es ist trotzdem so gekommen: Mit der Ende November von Airbus verschickten Bodensee-Grafik wurde ein neuer Geschäftsabschluss verkündet. Für knapp 360 Millionen Euro, das bestätigt die Preisüberwachungsstelle des Regierungspräsidiums Tübingen auf SZ-Anfrage, hat die Bundesrepublik die Daten von Tandem-X Ende November sozusagen ein zweites Mal gekauft.
Bundeswehr plötzlich begeistert
Offizieller Kunde von Airbus beziehungsweise Infoterra ist die Bundeswehr. „Die Bundeswehr benötigt zeitnah hochgenaue Geoinformationen für bestehende und geplante Aufklärungs-, Führungs-, Simulations-, Einsatz- und Waffensysteme“, heißt es dazu von den Preisprüfern aus Tübingen. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtet dazu passend von Bundeswehr-Generälen, die begeistert vom „Himmelsauge“ für die deutsche Armee seien. Es soll der größte Rüstungsdeal von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen seit ihrem Amtsantritt sein.
Mit 35 befreundeten Ländern, darunter sind nach SZ-Informationen viele europäische Partner wie Großbritannien, definitiv aber auch die Vereinigten Staaten, Israel, Chile und Australien, will Deutschland die neuerlich erworbenen Daten nun gemeinsam nutzen und aufbereiten. Ein Problem hat der Tandem-X-Datensatz nämlich noch – in manchen Bereichen wirkt die Genauigkeit der Daten nämlich schädlich, zum Beispiel wenn Wellenberge im Meer fälschlicherweise für Höhenveränderungen der Erdoberfläche gehalten werden. Diese Datenbereinigung, so ein Kenner des Projekts, könne Deutschland keinesfalls alleine leisten.
Der Zugriff von Partnerländern auf die Daten ist allerdings auch der wesentliche Grund für die doppelten Kosten des Projekts. Weil die ursprünglichen Verträge eine andere kostenlose Nutzung als jene durch die Bundesrepublik nämlich nicht vorsahen, durfte der Airbus-Konzern jetzt erneut die Hand für Lizenzen und Software aufhalten.
Das ist insofern pikant, da die Vereinigten Staaten nun den Gratis-Zugriff auf das globale Höhenmodell erhalten: Es spricht vieles dafür, dass sie nicht nur irgendeiner der 35 Nutznießer des Millionendeals sind – sondern das Geschäft wohl vordringlich auf ihren Wunsch hin zu Stande kam.
„Mein Eindruck ist, dass die USA da mächtig Druck gemacht haben“, heißt es auf SZ-Nachfrage in gut unterrichteten Kreisen. Der Spiegel berichtete bereits im Februar von dem geplanten Geschäft. Schon 2014 soll ein US-Unterhändler an die Bundesregierung herangetreten sein. Kurz gesagt soll der Mann verlangt haben, Tandem-X-Daten für den US-amerikanischen Geheimdienst „National Geospatial Intelligence Agency“ (NGA) – einem Geheimdienst für geografische Aufklärung – bereitzustellen.
Falls nicht , würden die USA keine hochauflösenden Bilder von ihren Aufklärungssatelliten mehr an Deutschland liefern. Bei Geiselnahmen und während des Afghanistan-Einsatzes soll Deutschland nämlich gerne auf diesen Freundschaftsdienst zurückgegriffen haben. Jetzt hieß es: Supergenaue Bilder, auf denen sogar Nummernschilder und Kleidungsstücke aus dem Weltall erkennbar sein sollen, gibt es nur noch, wenn im Gegenzug supergenaue Höhendaten in Richtung USA fließen.
Nach dem Gespräch mit dem US-Vertreter soll die Bundeswehr, die bislang wenig Interesse an Tandem-X gezeigt haben soll, plötzlich für das Projekt begeistert gewesen sein. Abgeordnete wurden im laufenden Jahr davon unterrichtet, dass das aus dem Jahr 2000 stammende Höhenmodell der Armee die Anforderungen der modernen Systeme „derzeit nur ungenügend und in Zukunft, auf Grund steigender Anforderungen der Systeme, nicht mehr“ erfüllen werde.
Ein Posten von zunächst 475 Millionen Euro soll 2015 im Wehretat aufgetaucht sein, um das angebliche Problem zu lösen. Agnieszka Brugger, Grünen-Obfrau im Verteidigungsausschuss und Abgeordnete im Wahlkreis Ravensburg, macht aus ihrer Einstellung dazu keinen Hehl: „Hat dieses Projekt wirklich die richtige verteidigungspolitische Priorität?“, fragt sie rhetorisch. Zunächst optimistischer ist SPD-Kollege Rainer Arnold aus dem Wahlkreis Nürtingen und auch Mitglied im Verteidigungsausschuss: „Das Projekt hat für alle Beteiligten erheblichen Nutzen. Das Modell ist sehr präzise“, sagt der Politiker, der nicht als Feind militärischer Optionen gilt. Doch auch er räumt ein, die Frage der Kosten sei zumindest „unschön“.
Abhörsicher im U-Boot
Viel mehr ist aus Berlin offiziell nicht zu hören. Das mag auch daran liegen, dass Abgeordnete offenbar unter höchsten Geheimhaltungsrichtlinien über die wahren Hintergrunde des Projekts informiert wurden. Wie das Magazin Stern berichtet, wurden Mandatsträger nur im sogenannten „U-Boot“, einem abhörsicheren Raum im Verteidigungsministerium, von den Zielen der Rregierung und mutmaßlich den USA unterrichtet.
Entsprechend schnell und leise passierte das Millionengeschäft nun im November die Ausschüsse im Bundestag. Es dürfte nur der Arbeit des Bundesrechnungshofs, der das Projekt in der Zwischenzeit heftig kritisiert hatte, und der Preisprüfer aus Tübingen zu verdanken sein, dass die Kosten zuletzt von 475 auf 360 Millionen Euro gesunken waren.
Für den Airbus-Konzern, dem derzeit zum Beispiel wegen des kriselnden Militärtransporters A400M, enorme Rückzahlungen drohen, ist das Geld auf jeden Fall ein wohltuender Ausgleich für entgangene Ausnahmen.
Der Steuerzahler dürfte das anders sehen. Doch immerhin gibt es einen kleinen Lichtblick in den Vertragsbedingungen für das Geschäft: Laut Preisüberprüfungsstelle Tübingen sollen künftig alle mit Tandem-X erwirtschafteten Gewinne in ein damit zusammenhängendes Folgeprojekt investiert werden – das der Steuerzahler dann mutmaßlich mit weniger Geld subventionieren müsste. Was für ein Projekt das sein soll und ob es tatsächlich so kommt, steht in den Sternen. Immerhin hat Grünen-Abgeordnete Brugger angekündigt, darauf ein Auge zu haben: „Ich werde sehr genau hinsehen, ob die Refinanzierungsklauseln eingehalten werden“, sagte sie jüngst im SZ-Gespräch.