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Bundeslandwirtschaftsminister

Sorgen schweißen Özdemir und Bauernpräsident zusammen

Eberstadt / Lesedauer: 6 min

Krisen und Ärger über die EU schweißen Agrarminister und Bauernpräsident zusammen
Veröffentlicht:15.07.2022, 19:52

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600 PS bringen auch einen Grünen zum Grinsen: Erstmals, wie er gesteht, ist Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir am Freitagmittag einen Mähdrescher gefahren. „Es macht Spaß, wenn man selber lenkt“, sagt er danach.

Prompt gibt es Lob von Bauernpräsident Joachim Rukwied , auf dessen Feld bei Eberstadt nahe Heilbronn Özdemir gerade eine Reihe Grannenweizen gedroschen hat. „Das hat er gut gemacht“, sagt Rukwied und bescheinigt dem Minister eine „schnelle Auffassungsgabe“.

Angesichts globaler Krisen und der Probleme, mit denen Landwirte zu kämpfen haben, verströmen Deutschlands oberster Agrar-Lobbyist und der für ihn zuständige Minister demonstrativ Harmonie. Konflikte aber bleiben.

Sorgen wegen des Klimawandels verbinden Minister und Bauern

Eine der größten Sorgen verbindet die beiden: die Folgen des Klimawandels. Özdemir und Rukwied knien auf dem Bereich des Weizenfeldes, der bereits abgeerntet ist. „Sie sehen, da ist null Bodenfeuchtigkeit“, sagt Rukwied, der Präsident des Bauernverbands in Baden-Württemberg und Deutschland ist.

Ich hoffe, dass es uns gemeinsam gelingt, den Klimawandel abzuschwächen.

Joachim Rukwied, Präsident des Bauernverbands

Özdemir versenkt eine Hand in einem der vielen Risse, die durch Trockenheit im Boden entstanden sind. „Trockenheit ist eigentlich kein Thema bei uns“, sagt der gebürtige Bad Uracher Özdemir – im Gegensatz etwa zu Brandenburg. „Das zeigt die Dramatik der Klimakrise.“

Özdemir nennt als ein Handlungsfeld im Kampf gegen den Klimawandel den geplanten Umbau der Tierhaltung. „Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich mal als bekannter Vegetarier ein flammendes Plädoyer für Tierhaltung halte“, sagt er. Die sei notwendig in der Landwirtschaft – weil die Gülle der Tiere als Düngemittel benötigt werde und „weil nichts besser wird, wenn unser Fleisch aus dem Ausland kommt“.

Allein 2021 hätten zehn Prozent der Schweinebauern aufgegeben, betont Rukwied und spricht von der größten Krise seit Jahrzehnten. Özdemirs Bekenntnis: „Bauern brauchen Geld, wenn sie ihren Stall umbauen. Und auch der Unterhalt ist dann teurer.“

Dafür habe er im Haushalt nun eine Milliarde Euro zur Verfügung – Geld, das aber aus einem anderen Topf, aus dem Landwirte Unterstützung bekommen, entnommen wird, betont Rukwied. Dennoch, so Özdemir: Weniger Tiere auf mehr Platz im Stall sei gut für den Klimaschutz, für den Tierschutz und auch für die Verbraucher, wenn einheitliche Labels kommen, die Auskunft über die Haltungsbedingungen geben.

Sein geplantes fünfstufiges Modell will er im kommenden Jahr für Schweinefleisch einführen. Klar sei: Die Landwirte könnten den Umbruch nicht durch eigene Erlöse stemmen. Über staatliche Hilfen streitet die Ampel-Koalition in Berlin seit Wochen. „Die Blockade der FDP muss aufgelöst werden“, mahnt Rukwied.

Ab 2023 ändern sich die EU-Agrarregeln

Manchmal kann ein gemeinsamer Gegenspieler einen. Diese Rolle scheinen Özdemir und Rukwied der EU zuzuschreiben. Als besonders problematisch bezeichnet der Bauernpräsident die Unsicherheit, in der Landwirte in Deutschland gerade ihre Felder bewirtschaften. „Ich weiß nicht, ob das, was ich gerade mache, gesetzeskonform bleibt.“

Zum Jahreswechsel ändern sich nämlich die Regeln, nach denen Bauern Fördergeld aus der Gemeinsamen Agrarpolitik, kurz GAP, bekommen. Der größte Topf im EU-Haushalt gibt Grundsätze vor, etwa mehr Ökologie, die Mitgliedsstaaten haben allerdings Spielräume, diese auszulegen.

Der erste Strategieplan zur GAP, den Deutschland bei der EU eingereicht hat, muss auf deren Geheiß nachgebessert werden. Dabei müssen die Bauern vielfach schon jetzt ihre Äcker nach der aktuellen Ernte auf den Anbau im kommenden Jahr vorbereiten. So fordert Rukwied: „Das beste wäre, die bestehende GAP um ein Jahr zu verlängern, oder das nächste Jahr sanktionsfrei zu machen.“

Heißt: Keine Strafen für Bauern, die sich nicht an die Regeln halten. Darauf lässt sich Özdemir aber nicht ein. Der verbesserte Strategieplan werde in Absprache mit den Agrarministern der Länder bald erneut in Brüssel eingereicht. „Dann müssen die aber auch den Turbo anwerfen“, so Özdemir.

In die Pflicht nimmt Özdemir die EU auch bei der Frage nach globaler Ernährungssicherheit. Hilfsorganisationen warnen seit Monaten vor einer Hungerkatastrophe, wenn ukrainisches Getreide wegen des Kriegs, den Russland gegen das Land führt, etwa nicht nach Afrika gelangt.

Am Mittwoch vermeldeten die Vereinten Nationen nach internationalen Gesprächen ein mögliches Ende der russischen Exportblockade am Schwarzen Meer. Özdemir traut diesen Ankündigungen offenbar nicht. Er fordert von der EU-Kommission „den Hut aufzuziehen und eine Alternativroute aufzubauen“, über die Getreide aus der Ukraine abtransportiert werden kann.

Bund und EU sollen von Baden-Württemberg lernen

Eine Absage erteilte der Minister dem erneuten Angebot von Rukwied, ökologische Vorrangflächen vorübergehend zum Anbau etwa von Getreide zu nutzen – wie es andere EU-Länder tun. „Wir könnten auf 200.000 Hektar Weizen anbauen, wenn man uns ließe“, so der Bauernpräsident.

Als Kompromiss hatte Özdemir in Brüssel indes vorgeschlagen, dass dieselben Pflanzen zwei Jahre hintereinander auf demselben Acker angebaut werden dürfen, so dass Weizen etwa auf Weizen folgen kann. Das ist laut GAP-Regeln zum Bodenschutz ab 2023 grundsätzlich verboten.

Zudem müssten mit Blick auf die Welternährung die Bauern im globalen Süden gestärkt werden. „Es gibt Länder, da gehen 20 bis 50 Prozent des Ackerertrags verloren, weil er nicht abtransportiert oder gekühlt werden kann.“ Das müsse sich durch Information, Geld und bessere Infrastruktur ändern.

Einig zeigen sich die beiden in ihrem Wunsch, dass der Bund und die EU von Baden-Württemberg lernen sollen. Ein Volksbegehren zum Insektenschutz wurde im Land dadurch abgeräumt, dass Bauern- und Umweltverbände sich gemeinsam mit der Politik auf Eckpunkte zu einem Biodiversitätsstärkungsgesetz geeinigt haben. Das Gesetz ist seit Mitte 2020 in Kraft. Es sieht unter anderem vor, dass Landwirte auf ihren Äckern in Naturschutzgebieten keine Pestizide mehr einsetzen dürfen, in anderen Schutzgebieten aber schon – allerdings möglichst wenig.

„Wir haben in Baden-Württemberg eine Lösung gefunden“, lobt Rukwied, der dem Kompromiss damals mit den Worten „Für uns Bauern ist das eine große Herausforderung“ noch zähneknirschend zugestimmt hat. Die EU nimmt nun alle Schutzgebiete in den Blick. Nach Plänen der Kommission sollen diese frei werden von Pestiziden. „Die Damen und Herren sitzen in ihren Glaspalästen“, wettert Rukwied. Statt über die Köpfe der Bauern hinweg zu entscheiden, sollten diese, wie im Südwesten, in Entscheidungen einbezogen werden. „Die können von Baden-Württemberg lernen“, so Rukwied.