Nur 5,7% der Gewässer in gutem Zustand
Bald keine Fische mehr im Bodensee? Arten sterben, weil Wasser zu warm ist
Baden-Württemberg / Lesedauer: 4 min

- Robin Halle
Laut einer Wasserrahmenrichtlinie der EU aus dem Jahr 2000 müssen alle Oberflächengewässer bis 2025 einen „guten ökologischen Zustand“ erreichen. In Ausnahmefällen wurde die Frist seinerzeit bis 2027 verlängert. Deutschland werde diese Ziele jedoch meilenweit verfehlen, klagt Dr. Werner Baur, der Ravensburger Kreisvorsitzende des Landesfischereiverbands Baden-Württemberg ‐ mit dramatischen Folgen für die Artenvielfalt in hiesigen Gewässern inklusive des Bodensees.
„Aktuell befinden sich nur 5,7 Prozent unserer Gewässer in einem ökologisch guten Zustand“, sagt Baur. Flüsse, Bäche und Seen müssen laut EU renaturiert werden, um ein temperaturbedingtes Artensterben zu verhindern. Wichtig ist dabei die Bepflanzung von Ufergeländen und die Einrichtung tieferer Schutzbereiche, um das Aufheizen der Gewässer zu verlangsamen. Das Umweltbundesamt teilt auf Anfrage von Schwäbische.de zwar mit, dass sich rund zehn Prozent der Gewässer in einem ökologisch guten Zustand befinden, spricht aber von „großen Herausforderungen“ ‐ insbesondere bezogen auf das Fischsterben.
Die Groppe ist fast verschwunden
„Die Behörden unternehmen einfach viel zu wenig“, hält Baur dagegen. Und weiter: „An die 90 Prozent unserer Gewässer sind Ausnahmen von den Ausnahmen. Die Kreise Biberach und Ravensburg sind leider keine Ausnahme, auch wenn sie Ökotitel tragen.“
Werner BaurDer Reichtum an derzeit noch vorhandenen Arten ist in wenigen Jahren Geschichte!
Nach Berechnungen der Fischereiforschungsstelle Langenargen sind in Nordwürttemberg und Nordbaden bis 2030 nahezu alle Bestände der kälteliebenden Groppe verschwunden. Auch Forellen und Äschen, für deren Gewässer die Oberflächengewässerverordnung Höchsttemperaturen von jeweils 18 Grad nennt, werden weitgehend wegen temperaturbedingtem Habitatverlust verschwinden. Baur: „Der Reichtum an derzeit noch vorhandenen Arten ist in wenigen Jahren Geschichte!“
Klimaveränderungen treffen Bodensee
Auf der Grundlage wissenschaftlicher Daten, vor allem vom Deutschen Wetterdienst DWD, der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg LUBW, der Fischereiforschungsstelle Baden-Württemberg FFS und anderer Stellen zeichnet Baur ein düsteres Bild der fischereilichen Zukunft in Baden-Württemberg. Der 1,5 Grad-Temperaturzuwachs, das von Politikern ausgegebene Endziel der Klimaerwärmung, sei derzeit in vielen Regionen Deutschlands erreicht und sogar überschritten.

Baur: „Selbst das Umweltministerium Baden-Württemberg hält eine Erhöhung der Temperaturen bis 2100 um sechs Grad für möglich! Die Groppen haben nach der FFH-Richtlinie der EU so hohen gemeinschaftlichen Schutzstatus, dass für sie sogar besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen. Das erübrigt sich in vielen Bereichen. Es wird sie dort nicht mehr geben.“
Auch der Bodensee sei von der Klimaveränderung betroffen: Die Zunahme der heißen Tage bei gleichzeitiger Abnahme der Eistage führe dazu, dass nicht nur im Untersee und Überlinger See, sondern auch im großen Obersee die Konzentration des Sauerstoffs am Seegrund dramatisch abnehme. Temperaturbedingt kommen immer weniger kühlere Dichteströmungen mit hohem Sauerstoffgehalt zustande, so dass die Defizite an Sauerstoff am Grund immer größer werden, was z.B. die Entwicklung der Felcheneier einschränkt.
Bundesumweltamt widerspricht Kritik
Baur: „Mit wenig Aufwand könnten wir unsere Gewässer in einen guten ökologischen Zustand bringen und das Artensterben hinauszögern. Aber dafür fehlt der politische Wille.“ Als Musterbeispiel für eine gelungene Renaturierung nennt Baur den Sulzmoosbach in Baindt bei Ravensburg, in dem sich nach den Maßnahmen im Jahr 2020 wieder Fische vermehren.
Der Kritik widerspricht das Bundesumweltamt. In der Mitteilung heißt es: „Noch werden die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie für einen Großteil der Gewässer in Deutschland nicht erreicht. Um das zu ändern, haben Bund, Länder und Kommunen mit großem Engagement und hohem finanziellen Aufwand bereits viel geleistet und zahlreiche Maßnahmen angestoßen. Kläranlagen wurden erweitert, Agrar-Umweltprogramme durchgeführt, Flüsse renaturiert, Hindernisse für Fische entfernt und Deiche rückverlegt.“
Deutschland hinkt EU-Plan hinterher
Dirk Messner, der Präsident des Umweltbundesamts, lässt sich wie folgt zitieren: „Es wird in den kommenden Jahren darauf ankommen, die vielen geplanten Maßnahmen in Bund, Ländern und Kommunen auch zügig umzusetzen. Dafür müssen ausreichend Personal und finanzielle Mittel bereitgestellt werden.“
BundesbehördeDie Prognosen zur Entwicklung des Gewässerzustands lassen erwarten, dass die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie auch 2027 nicht erreicht sein werden.
Dennoch räumt die Bundesbehörde ein, dass Deutschland weit hinter dem von der Europäischen Union geforderten Zeitplan hinterherhinkt. „Die Prognosen zur Entwicklung des Gewässerzustands lassen erwarten, dass die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie auch 2027 nicht erreicht sein werden.“